Die Shows laufen im Rahmen des neuen Entertainment-Konzepts in der Regel nicht mehr einmal, sondern zweimal am Abend: Um 19 und 21 Uhr - also vor oder nach „Stephans Primetime“. Urlauber können so ihr Unterhaltungs-LineUp selbst bestimmen, je nachdem, wann man in einem der Bordrestaurants essen will. Dass das Show-Ensemble des jeweiligen Schiffs am ersten Abend der Reise in einer Show vorgestellt wird, die stets den Einzel-Auftritt auf einen persönlichen Einspieler folgen lässt - ist auch so eine Fernseh-Handschrift von Borris Brandt. Die Protagonisten persönlicher erscheinen lassen; mit ihnen eine Geschichte erzählen - all das gehört heute bekanntlich zum Handwerk jeder Castingshow. Das sind schon spürbare Veränderungen, doch die interessanteste kommt natürlich noch: „Wer wird Millionär“ auf hoher See.

Die Quizshow ist nicht das einzige TV-Format, das von AIDA Entertainment für die Kreuzfahrt-Flotte adaptiert wird. Auf längeren Fahrten wird eine Staffel „The Voice“ in gestraffter Form durchgezogen. Im Mittelmeer jedoch reicht die Zeit nur für einen Abend mit zwei Ausgaben von „Wer wird Millionär“. Was also bleibt vom Reiz des TV-Formats übrig, wenn man es ins Theater eines Kreuzfahrtschiffs verlegt? Überraschend viel. Zunächst einmal gilt es aber zu klären: Um eine Million Euro spielt hier niemand. Der Hauptpreis ist eine mehrwöchige Jungfernfahrt mit dem neuesten und größten AIDA-Schiff, das im kommenden Jahr vom Stapel gelassen wird. Grund genug für hunderte Reisende sich eines der Abstimmungsgeräte ausgeben zu lassen, mit denen die bekannte Vorrunde von „Wer wird Millionär“ gespielt wird.

Der schnellste Urlauber darf dann rauf auf die Bühne. Schon hier fängt der Unterschied zu Jauchs TV-Version an, wie Entertainment Manager und Moderator Stephan Hartmann im Gespräch mit mir anmerkt. Während in der Fernsehfassung Kandidaten wochenlang auf den Termin und ihre Gewinnchance hinfiebern und entsprechend vorbereitet sind, trifft es in der AIDA-Version doch recht spontan eine Urlauberin oder einen Urlauber, die meist weniger Ehrgeiz mitbringen. Das ändert das Prinzip von „Wer wird Millionär“ in mehrerlei Hinsicht, so Hartmann. Zunächst einmal gehe es für die Kandidaten eben nicht um einen Gewinn, der ihr Leben verändert könnte, sondern in erster Linie um den Spaß, dabei zu sein.

Aida Entertainment© DWDL.de

Wichtiger aber noch: Anders als Günther Jauch, der Kandidaten auch mal seine Antipathie spüren lässt, muss Entertainment-Manager Hartmann sich immer wieder bewusst machen, dass er einem zahlenden AIDA-Gast gegenüber sitzt, der noch dazu meist fünf Minuten zuvor noch gar nicht daran dachte, bei der Schiffsversion der Quizshow teilzunehmen und plötzlich vor mehreren hundert Zuschauern auf der Bühne zu sitzen. Der Gast darf also nicht vorgeführt werden. Gags und Kritik haben für Hartmann eine Grenze. Doch die gibt es auch umgekehrt. Trotz der entspannten Atmosphäre an Bord einer Mittelmeer-Kreuzfahrt gilt auch bei den kleineren Gewinnen: Vorsagen ist nicht erlaubt. Es ist ein schwieriger Spagat für Moderator Hartmann - zwischen dem strengen Regelwerk und der ausgelassenen Stimmung des manchmal leicht alkoholisierten Publikums.

„Alles kein Problem“, so Hartmann und lachend fügt er hinzu, „solange mein Kandidat nicht schon zu tief ins Glas geschaut hat“. Auch das habe es schon gegeben. Wenn sich in diesem oder anderen Fällen Kandidaten schon mit der Beantwortung der einfachsten Fragen schwer tun, muss Hartmann dann doch ein bisschen helfen oder aber auf Zeit spielen - damit das Showvergnügen nicht zu kurz ausfällt. Man mag beim Lesen vielleicht denken: Das klingt doch furchtbar weichgespült. Doch an Bord und im Publikum wird man allein durch die durch Licht- und Toninszenierung gepackt. Zusammen mit dem bekannten wie bewährten Spielprinzip entsteht so auch an diesem Abend an Bord kurzweilige Unterhaltung, die sich einfügt in ein Entertainment-Konzept, das spürbar die Handschrift eines Fernsehmachers trägt.

Es hebt die Bespaßung von Reisenden auf ein ernstzunehmendes Level, bei dem man gespannt sein kann, welche Kooperationen und Adaptionen sich noch ergeben könnten. Der Test jedenfalls lief erfolgreich. „Es kommt so gut an, dass wir schon dieses Jahr 4 Schiffe umstellen. Die anderen folgen dann 2015“, kündigt Brandt im Gespräch nach der Reise an. Mit seinen inzwischen zehn Schiffen erreicht die AIDA-Flotte Woche für Woche immerhin mehr als 20.000 Reisende. Dafür ist zum Beispiel bei der Personality-Show „Stephans Primetime“ schon jetzt bewusst eine Werbepause eingeplant. In den ersten Wochen dieses Tests bespielt AIDA diese Werbepause ausschließlich mit Eigenwerbung für Ausflüge oder Angebote an Bord. Wenn das Entertainment-Konzept aber auf alle Schiffe der Flotte übernommen worden ist, könne man die Werbepausen im Unterhaltungsprogramm auch extern vermarkten.

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Ob es noch weitere TV-Adaptionen auf hoher See geben wird? „Ja, aber das verrate ich noch nicht“, sagt Brandt. Und kündigt dann doch noch etwas Neues an: „Zusätzlich bieten wir jetzt auch TV-Produzenten an, neue Shows bei uns an Bord zu pilotieren“, verrät er. „Wir haben die Technik, das Studio und ein tolles Publikum. Win-Win auf hoher See.“ Schon wieder ein Schritt in Richtung Fernsehwelt, den Borris Brandt mit AIDA Entertainment gegangen ist. Was hat ihn eigentlich an dem Wechsel gereizt, über den so viele in der Branche verwundert waren? „Mein erster Besuch an Bord, das Erleben der Professionalität der Unterhaltung und natürlich die Gespräche mit meinen zukünftigen Kollegen haben mich daran erinnert, wie es früher im Fernsehen war: Im kleinen Team mit mutigen Profis Dinge gemeinsam umsetzen. Machen statt Zweifeln und Abwägen“, so Brandt, dessen Showbühne zwar kleiner geworden ist, dafür aber auch nicht mehr im etwas trostlosen Gewerbegebiet Köln-Ossendorf sondern an schöneren Flecken der Erde steht.