Wer die Begriffe "Tatort" und "Flaggschiff" gemeinsam googelt, erhält mehr als eine halbe Million Treffer. Für Schauspieler, Regisseure und Produzenten gilt es gemeinhin als Prestigeangelegenheit, an der sonntäglichen ARD-Krimireihe mitwirken zu dürfen. Umso bemerkenswerter, wenn eine Produktionsfirma ihren "Tatort"-Auftrag nach nur zwei Folgen von sich aus an den Sender zurückgibt.

So ist es ausgerechnet beim besonders prestigeträchtigen Hamburger "Tatort" mit Til Schweiger passiert. Nach Informationen des Medienmagazins DWDL.de hat die Münchner Produktionsfirma Constantin Television dem verantwortlichen NDR schon im Herbst 2013 mitgeteilt, aus dem von ihr selbst mitentwickelten Schweiger-"Tatort" aussteigen zu wollen. Sie hatte zuvor die beiden Folgen "Willkommen in Hamburg" und "Kopfgeld" produziert, die bei ihrer Ausstrahlung im Ersten 12,57 Millionen bzw. 10,12 Millionen Zuschauer erreichten.

Da weder Sender noch Produzent den ungewöhnlichen Vorgang an die große Glocke hängen wollten, wurde der Produzentenwechsel erst vor wenigen Wochen bekannt, als der NDR Mitte September den Drehstart zur neuen Doppelfolge des Hamburger "Tatorts" vermeldete. Die Fortsetzung von Nick Tschillers Kampf gegen den Astan-Clan in "Schwarzer Ritter" (AT) und "Fegefeuer" (AT) produziert nun die Berliner Firma Syrreal Entertainment. Deren geschäftsführender Gesellschafter ist Regisseur Christian Alvart, der schon die ersten beiden Schweiger-Einsätze - damals noch für Constantin Television - gedreht hat.

Wie DWDL.de aus dem NDR-Umfeld erfuhr, lag es am Geld, dass sich die TV-Tochter der Constantin Film AG vom "Tatort" verabschiedete. Dem Vernehmen nach konnte die Firma mit den ersten beiden Schweiger-Filmen keinerlei Gewinn realisieren. Und das, obwohl laut Kalkulation die branchenüblichen 13 Prozent Gewinn und Handlungskosten für den Produzenten vorgesehen waren. Offenbar wurde die Produktion an einigen Stellen aufwendiger als ursprünglich geplant. Mitwirkende berichten von zahlreichen Überstunden. Eine Situation, über die Produzenten auch in anderen Fällen immer häufiger klagen: Vom Sender gibt es keine nachträgliche Extravergütung, so dass der Produzent das Risiko trägt und seinen Gewinn aufbrauchen muss, um dennoch einen guten Film abzuliefern.

"Wir bitten um Verständnis, dass wir die Gespräche mit unserem Senderpartner nicht kommentieren möchten", sagt Friedrich Wildfeuer, Geschäftsführer der Constantin Television und Produzent der ersten beiden Schweiger-"Tatorte", auf DWDL.de-Nachfrage. Grundsätzlich sei die Herstellung eines 90-minütigen Action-TV-Films "mit den von den Sendern vorgegebenen Budgetzahlen immer wieder eine massive Herausforderung". Es könne durchaus vorkommen, so Wildfeuer, "dass wir unter diesen Prämissen den kalkulierten HU und Gewinn nicht realisieren können."

Das sieht man beim NDR ganz anders. Thomas Schreiber, Leiter des Programmbereichs Fiktion & Unterhaltung, weist gegenüber DWDL.de jegliche Verantwortung für Produzentenverluste zurück. "Nachdem Autor, Produzent und Redaktion des Senders eine redaktionell abgenommene Drehbuchfassung erarbeitet haben, kalkuliert der Produzent auf dieser Grundlage die Produktion", so Schreiber. "In einem Kalkulationsgespräch verständigen sich Sender und Produzent, meist nach ausgiebigen und detaillierten Besprechungen, über einen Festpreis. Die wirtschaftliche Steuerung der Produktion erfolgt allein durch den Produzenten. Sollten auf redaktionellen Wunsch hin und nach Abschluss des Kalkulationsgesprächs Mehrkosten entstehen, werden diese im Allgemeinen vom Auftraggeber ausgeglichen."

Von außen betrachtet steckt der Teufel im Detail - und in der oftmals umstrittenen Frage, ob der Sender von vornherein einen realistischen Produktionsaufwand anerkennt oder nicht. Trotz des gern zitierten Flaggschiff-Charakters häufen sich auch bei den "Tatorten" anderer ARD-Anstalten die Klagen über zu wenig Zeit und zu wenig Geld. Auf dem Symposium der Deutschen Akademie für Fernsehen berichtete Ende September etwa die für den Kölner "Tatort: Franziska" nominierte Maskenbildnerin Ulrike Bruns Giffel, sie habe den Darstellern der Gefängnisinsassen zu ihrem Leidwesen nur hastig Tattoos mit Edding aufmalen können - für mehr sei kein Geld da gewesen. Als sie Schauspieler Edgar Selge beim Dreh für den "Tatort: Altes Eisen" in die Transsexuelle Trudi umschminken musste, habe sie dafür nur 45 Minuten gehabt - und sei dennoch von der Produktionsleiterin ermahnt worden, es doch bitte in 30 Minuten zu schaffen. Ähnliche Berichte sind aus nahezu allen Gewerken zu hören.

Produzentin Kirsten Hager, die mit ihrer Hager Moss Film u.a. auch "Tatorte" für den Bayerischen Rundfunk hergestellt hat, sagte auf demselben Symposium: "Auf Gage verzichtet immer zuerst der Produzent. Statt HU plus Gewinn liegt man schnell mal einige Prozent im Minus." Für Akademie-Vorstand und Produzent Gerhard Schmidt lautet das generelle Problem der Branche: "Die Diskrepanz zwischen dem, was Qualitätsprogramme in der Realität kosten, und dem, was die Sender dafür zahlen können oder zahlen wollen, wird immer größer."

Im Vergleich zu den meisten anderen "Tatorten" stehen die NDR-Schweiger-Fälle mit 24 Drehtagen und geschätzten 1,6 Millionen Euro Budget pro 90-Minüter sogar noch gut da. Und doch bezeichnete Til Schweiger selbst das "Tatort"-Budget in einem "Spiegel Online"-Interview vor seiner Nick-Tschiller-Premiere als "Problem" und erläuterte: "Am Anfang der Planungen stand die Überlegung, dass ich eventuell selbst Regie führen könnte. Ich habe es mir aber nicht zugetraut, weil ich diesen extrem engen finanziellen Rahmen beim Fernsehen noch nicht gut genug kenne." Auch als Produzent mochte Schweiger mit seiner erfolgreichen Firma Barefoot Films nicht beim Hamburger "Tatort" einsteigen.

Stattdessen ist nun Christian Alvart - gemeinsam mit seinem Syrreal-Partner Sigi Kamml - Produzent und Regisseur in Personalunion. Ist das für den NDR vielleicht auch deshalb eine günstige Lösung, weil Alvart aufgrund seiner Regie-Gage eine niedrigere Gewinnmarge als Produzent eher verschmerzen könnte? NDR-Manager Schreiber widerspricht dieser Vermutung: "Syrreal hat eine Ausschreibung, an der sich mehrere Firmen beteiligt haben, gewonnen. Zur Höhe von Auftragssummen und Einzelgagen gibt der NDR grundsätzlich keine Auskünfte. Ihre Unterstellung, eine Produktionsfirma sei nicht auf eine Gewinnmarge angewiesen, ist lebensfremd: Jede Produktionsfirma hat Fixkosten, verfügt also z.B. über Angestellte, die üblicherweise aus solchen Margen bezahlt werden."

Genau aus diesem Grund konnte oder wollte Constantin Television es sich offenbar nicht mehr leisten, beim Prestigeprojekt "Tatort" weiter ohne Gewinn zu produzieren und damit de facto draufzuzahlen. Bei der erwähnten Ausschreibung trat die Firma nicht mehr an. Für Syrreal und den NDR könnten sich beim aktuellen Dreh bis Ende November gewisse Synergien daraus ergeben, dass die Doppelfolge in einem Rutsch entsteht. "Für die Wirtschaftlichkeit, zwei Folgen miteinander verzahnt zu drehen, gibt es viele Argumente", erläutert Schreiber. "Bei einer Doppelfolge mit insgesamt 48 Drehtagen lassen sich durch die längere Drehzeit günstigere Konditionen beim Anmieten von technischen Geräten erzielen; müssen bestimmte Drehorte, die in beiden Folgen auftauchen, nur einmal eingerichtet werden; außerdem lässt sich der Drehplan für beide Drehbücher miteinander verzahnen. Dies kann zu Einsparungen bei Darstellerhonoraren für durchgehende Nebenrollen führen. Ein Schauspieler muss z.B. nicht mehr zweimal einen halben Tag, sondern könnte einmal einen Tag beschäftigt werden."

Freilich legt Schreiber großen Wert auf die Feststellung, dass der NDR das Budget für die "Tatort"-Doppelfolge nicht gesenkt habe. "Insgesamt lässt sich sagen, dass all diese Einsparungen der Qualität der Projekte zugute kommen und nicht zu einer Reduzierung der Auftragssumme führen. In diesem konkreten Fall ist es so, dass in den Folgen 1 bis 4 des Hamburger 'Tatorts' mit Til Schweiger und Fahri Yardim eine zusammenhängende Geschichte erzählt wird, die in einer Doppelfolge, die an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen programmiert sein wird, ihren Abschluss findet." Möglicherweise ist der gefährliche Astan-Clan dann ein für alle Mal erledigt, der Streit um realistische Kalkulationen beim "Tatort" wohl eher nicht.