Aufsteiger des Jahres© DWDL.de
Bei Bedarf kann Christine Strobl eine gesunde Portion Resolutheit an den Tag legen. Das wissen nicht nur ihre Mitarbeiter und Geschäftspartner, sondern seit kurzem auch die "Bunte"-Leser. Im Doppelinterview mit ihrem Mann - dem baden-württembergischen CDU-Chef Thomas Strobl, der gern Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2016 geworden wäre - enthüllte dieser, dass er als Gast auf Medienevents in der Regel unerwünscht sei, wenn sie dort die erste Geige spiele.

Das Private, das Berufliche und erst recht das Politische auseinander zu halten, lernt man vermutlich frühzeitig, wenn man die Tochter eines Spitzenpolitikers wie Wolfgang Schäuble ist. An einer der einflussreichsten Schaltstellen im ARD-Verbund kann diese Fähigkeit ebenso wenig schaden. Mit viel Geschick und einer großen Kraftanstrengung hat Christine Strobl die angeschlagene Produktions- und Einkaufstochter Degeto Film komplett neu aufgestellt. Im zweiten Jahr nach ihrem Amtsantritt sind die Ausmaße nun absehbar.



Um die schwierige Mission zu verstehen, muss man ein paar Zahlen kennen. Rund 400 Millionen Euro Umsatzvolumen bewegt die "mächtigste Geldgeberin" (hr-Fernsehspielchefin Liane Jessen) der ARD pro Jahr, davon stehen rund 160 Millionen für redaktionelle Entscheidungen über Produktionsvergaben und Filmeinkäufe zur Verfügung. Ins Schlingern geraten war die Degeto, weil der frühere Geschäftsführer den Etat auf Jahre hinaus überzogen hatte und so eine programmliche Überversorgung entstanden war. Die Folge: Christine Strobl, zuvor Fernsehfilmchefin des SWR, hatte es in Frankfurt zunächst mit einem Berg von TV-Süßstoff zu tun. Jede Menge Heimat-Romantik, Sonnenuntergänge, Neubauer-Frauen. Viel zu viel - und dann auch noch vom Falschen.

Nach kreativer Dürreperiode und umfassender Neuorganisation aller Verwaltungs- und Controllingstrukturen war 2014 das erste Jahr, in dem die Degeto wieder 100 Prozent ihres vormaligen Auftragsvolumens erreichte und nicht mehr mit angezogener Handbremse agieren musste. "Das waren nicht nur schöne Zeiten", gab Christine Strobl unlängst im "Studio D" zu. "Aber Herausforderungen sind dazu da, dass man sie angeht. Ich kann nach zweieinhalb Jahren sagen: Es ist nicht nur Licht am Ende des Tunnels, sondern wir sind am Ende des Tunnels." Beim Blick auf das, was Strobl plant, drehen lässt und teilweise auch schon gesendet hat, entsteht ein Bild von ihrer Zukunfts-Degeto. Eines, das mit dem alten, nicht unberechtigten Klischee nur noch wenig zu tun hat.

Die Liste von renommierten, aber auch von jungen Autoren, Regisseuren, Produzenten oder Schauspielern, die in diesem Jahr erstmals für die Degeto arbeiten und vorher wohl niemals auf die Idee gekommen wären, ist beeindruckend lang. Dabei geht es nicht in erster Linie um Namedropping, sondern um eine ungekannte Vielfalt und Bandbreite innerhalb des Degeto-Portfolios - einschließlich der 40 Erstausstrahlungen am Freitagabend im Ersten. Leicht, aber nicht seicht will Strobl es dort haben, berührend und relevant zugleich. Die eine oder andere skurrile Komödie hat sich in letzter Zeit schon weit mehr getraut, als man von dem Traditionssendeplatz gewohnt war.

"Sie ist keine, die sich mit dem zufrieden gibt, was sie hat. Sie will sich weiterentwickeln"

SWR-Intendant Peter Boudgoust über Christine Strobl


Zu Strobls Glücksgriffen zählt zweifellos auch die Berufung des langjährigen UFA-Produzenten Sascha Schwingel zum Degeto-Redaktionsleiter. Gemeinsam mit seiner Chefin verbreitet er Aufbruchstimmung - und löst diese auch ein. Etwa mit dem neu eingeführten Prinzip, dass jeder vorgeschlagene Stoff von einem Redakteur vor den Kollegen gepitcht werden muss. Ein "sich selbst reinigendes System" sieht Strobl darin, die den Laden nachhaltig auf Transparenz getrimmt hat. "Sie ist keine, die sich mit dem zufrieden gibt, was sie hat. Sie will sich weiterentwickeln", lautet die Kurzdiagnose ihres früheren Chefs, SWR-Intendant Peter Boudgoust.

Beim SWR, wo sie nach ihrem Jurastudium als Trainee anfing, später Referentin in der Intendanz, dann Leiterin des Kinder- und Familienprogramms wurde, erinnert man sich bis heute daran, dass sie stets deutlich ihre Meinung gesagt und für diese eingestanden habe. Einen besonderen Konflikt musste sie dort mit ihrem letzten großen Werk als Fernsehfilmchefin, dem Biopic "Rommel", durchstehen. Von den Nachkommen des Generalfeldmarschalls gab es erheblichen Gegenwind. "Ich finde an Christine ihre Standhaftigkeit toll", so Nico Hofmann, der Produzent des Films. "Sie ist knallhart bei ihrer Linie geblieben und hat keine Angst gezeigt. Das ist selten in meinem Metier. Die meisten anderen wären eingeknickt."

Standhaft muss Christine Strobl auch in den kommenden Jahren bleiben, wenn sie die ursprünglich 1928 gegründete "Deutsche Gesellschaft für Bild und Ton" auf Dauer als modernes TV-Haus positionieren will. Die verschiedenen Begehrlichkeiten ihrer Gesellschafter, der neun ARD-Anstalten, sind dabei nicht ganz zu vernachlässigen. Welche Zukunft Strobls beherztes Zupacken hat, wird sich auch an dem Prestigeprojekt "Babylon Berlin" ablesen lassen. Die Tom-Tykwer-Serie über einen Kommissar im Berlin der 1920er Jahre soll 2015 für die ARD und Sky gedreht werden, Strobl ist auf ARD-Seite eine der treibenden Kräfte - auch weil sie von der ewigen Debatte über US-Serien als Vorbilder genervt sei. Dass die Degeto sich auch jenseits des Tunnels von immer neuen Seiten zeigen wird, steht bei dieser Chefin zu vermuten.

DWDL-Aufsteiger des Jahres 2014