"Wir sind drei Bosse. Der Vorteil ist: Wenn wir abstimmen, gibt es kein Unentschieden." US-Showrunner Todd A. Kessler weiß genau, wie er das europäische Fachpublikum trotz stehender Hitze bei Laune hält. Die Luft im Theater von Fontainebleau sei in etwa vergleichbar mit dem Klima der Florida Keys, dem Schauplatz seiner aktuellen Netflix-Serie "Bloodline".

Kessler, eines der beiden Ks von KZK Productions ("Damages"), ist der amerikanische Stargast des ansonsten europäisch dominierten Seriengipfels "Série Series" in der französischen Kleinstadt nahe Paris. Wie er mit Bruder Glenn und Geschäftspartner Daniel Zelman denn nun genau zusammenarbeite, ist eine der meistgestellten Fragen. "Wir schreiben kein Wort gemeinsam, aber jeder überarbeitet die Skripts der anderen", sagt Kessler. "Bei 14- bis 17-Stunden-Drehtagen sind wir froh, dass jeder von uns überall einspringen kann."

Ein bisschen Neid und ganz viel Bewunderung schlägt Kessler dafür entgegen, dass er eine der ersten Originalserien überhaupt bei Netflix unterbringen konnte – nachdem "House of Cards" oder "Orange is the New Black" auf TV- bzw. Buchvorlagen basierten. "Wir sind 'Bloodline' wie einen 13-stündigen Film angegangen", so Kessler. "Die ersten vier Folgen bilden den ersten Akt, 5 bis 9 den zweiten und 10 bis 13 den dritten Akt. Bei Netflix können wir dem Zuschauer mehr zutrauen als im linearen TV, müssen nicht ständig an irgendwas erinnern."

Momentan arbeitet das KZK-Trio an der zweiten Staffel, konzipiert ist "Bloodline" laut Kessler sogar auf insgesamt sechs Staffeln. Für eingefleischte Fans des Familiendramas – das wird auch in Fontainebleau deutlich – ist es noch schwer vorstellbar, wie es ohne das ermordete schwarze Schaf Danny (Ben Mendelsohn) weitergehen soll. Kessler vergleicht die Versuchsanordnung mit einem vierbeinigen Stuhl: Wenn das vierte Bein ohnehin immer wackelig war – steht er dann vielleicht fester auf drei Beinen oder kippelt er noch mehr als vorher? Außerdem werde Danny als Teil der vertieften Familienhistorie auch in der zweiten Staffel vorkommen.

Série Series© Série Series/Sylvain Bardin

Neben Kesslers "Bloodline" brauchen sich die europäischen Serienmacher nicht zu verstecken. Eric Rochant aus Frankreich trumpfte beim "Série Series"-Publikum mit seiner Spionage-Serie "Le Bureau des Légendes" (Canal+) ebenso auf wie Mette Bølstad aus Norwegen mit dem Kriegsdrama "The Heavy Water War" (NRK) oder Sam Vincent und Jonathan Brackley aus Großbritannien mit "Humans" (Channel 4/AMC), dem englischen Remake der schwedischen Science-Fiction-Serie "Real Humans". Natürlich durften auch Anna und Jörg Winger mit "Deutschland 83" nicht fehlen, die sich einmal mehr intensiven Fragen nach potenziellen Staffeln 2 und 3 augesetzt sahen ("Wir würden gern mit 'Deutschland 86' und 'Deutschland 89' weitermachen, aber noch gibt es keine Entscheidung").

Zahlreiche Produzenten und Autoren stellten in Fontainebleau zudem neue Serienideen vor, um Partner für eine mögliche Realisierung zu gewinnen. Der Trend scheint unaufhaltsam: 751 lokale Serienproduktionen registrierte Eurodata TV Worldwide für 2014 in den zehn größten europäischen TV-Märkten – 7 Prozent mehr als im Vorjahr. Von 2012 auf 2013 war die Zahl um 2,5 Prozent auf 703 gestiegen. "Europäische Kreationen werden als Alternative zu US-Serien immer populärer", so Eurodata-Forschungschefin Sahar Baghery. "Mit der Folge, dass man schon vom goldenen Zeitalter der europäischen Serie sprechen könnte – eine starke lokale Identität gemischt mit einer Öffnung gegenüber dem globalen Markt."