In einer Ecke wird geschminkt und abgepudert, in der nächsten steht das Catering. Und überall Sofas und Sessel auf denen es sich die TLC-Familien - egal ob kinderreich, polygam, kleinwüchsig oder kräftig - gemütlich gemacht haben. Immer wenn eine weitere Familie den Weg durch die Stadion-Katakomben in die VIP-Lounge gefunden hat, gibt es ein großes Hallo. „Was machen die Kinder?“, „Wann gehen bei Euch die Dreharbeiten weiter?“ - was man sich unter Dokusoap-Stars so fragt. Es ist ein großes Gewusel aus Protagonisten und unfassabar vielen TLC-Mitarbeitern. Für einen Moment beobachte ich all das - dann geht es im Viertelstunden-Takt von einer Sitzgruppe zur nächsten - um mit den Protagonisten Gespräche führen zu können.

Zum Beispiel mit Kody Brown und drei seiner vier Ehefrauen - Stars der Dokusoap „Sister Wives“ oder auf deutsch: „Alle meine Frauen“. In bislang sechs Staffeln mit mehr als hundert Folgen machen sie ihr ungewöhnliches Familienleben öffentlich. Warum tun sie das? „Weil unsere Lebensweise vielen Menschen fremd ist, aber wir zeigen wollen: Wir sind nur eine ganz normale Familie“, erzählt der Hahn im Korb. Die Antwort höre ich an dem Tag mehrfach. Sie sind aufgeregt, dass TLC inzwischen auch in Deutschland sende. Die obligatorischen „Ich find Deutschland so toll. Ich war auch schon mal in Frankfurt“-Aussagen folgen. Dann erzählen mir seine drei Frauen wie das Leben als „Sister Wives“ so ist.

Wir werden langsam warm miteinander. Es wird ein sympathisches Gespräch (demnächst mehr dazu bei DWDL). Immer wieder sprechen Sie von „our lifestyle“ und machen deutlich, dass sie wissen warum sie eine eigene Dokusoap haben. Weil sie anders sind als der Durchschnittsamerikaner. Das Gespräch wird reflektierter und verleitet mich dazu, die Frage zu stellen, die mir seit dem Flug nach Chicago durch den Kopf ging. Sie ist etwas riskant, aber meine Zeit mit Kody und seinen „Sister Wives“ ist eh fast rum. Mehr als das Gespräch beenden kann die Frage nicht. Also los: „Werdet ihr von TLC nicht zur Schau gestellt wie früher manche Menschen im Zirkus?“

Sister Wives© DWDL.de


Es gibt nicht einmal irritierte Blicke, stattdessen Antworten. „Wir haben diese Bühne ja selbst gesucht, weil wir zeigen wollen wie wir sind. Nicht weil jemand anderes das zeigen möchte“, erklärt Kody Brown. Eine seiner Frauen, Christine, gibt zu nickend zu bedenken: „TLC und wir wollen nicht erzählen wie anders wir sind sondern letztlich, dass unsere Probleme und Freuden die gleichen sind. Unsere Lebensart allein würde ja nicht mehrere Staffeln tragen.“ Das Argument lässt sich angesichts vieler langlaufender Formate bei TLC nicht von der Hand weisen. Tausende Fans bei der Blockparty an diesem sonnigen Samstag in Chicago dokumentieren ein paar Stunden später auch, dass viele Protagonisten von TLC echte Fans haben, wie man es sonst nur von fiktionalen Serien kennt.

Ich spreche mit weiteren Familien und TLC-Stars bevor die nach und nach raus in die Sonne verschwinden. Sie alle vermitteln den Eindruck, dass sie wissen zu welchem Preis und welchem Gewinn sie vor der Kamera stehen. Auch über die Frage, wie echt denn das gezeigte Leben sei und wie sich die Dreharbeiten für TLC in ihren Alltag einfügen, geben sie Auskunft. Bei gleich mehreren Formaten zeichnet sich nach den Gesprächen ein ähnliches Produktionsmuster ab: Über die Zeit einer Staffel-Produktion - meist werden zwei pro Jahr gedreht - wird abwechselnd eine Woche mit Kamera, eine Woche ohne Kamera gelebt. So begleitet TLC seine Protagonisten stetig über längere Zeit und lässt gleichzeitig Raum für Alltag. Nach einigen Stunden mit TLC merkt man: Die Dokusoap-Maschinerie ist hier noch weitaus besser geölt als bei uns.

Man muss das Genre nicht mögen aber kann Respekt haben vor einem Sender, der in Zeiten von Donald Trump und furchtbarer Ignoranz, Ausgrenzung und Angst vor Fremdem, einen wertvollen Dienst erweist. Die Botschaft von Vielfalt und Inklusion verbunden mit einer grundsätzlich positiven Grundstimmung geht ans Herz, wenn man von unsäglichen Ausnahmen wie "Long Island Medium" (über ein vermeintliches Medium das mit Toten spricht) mal absieht. Man spricht Reality-TV oftmals sehr schnell jede Bedeutung ab. Aber TLC dokumentiert mit vielen guten Programmen - auch beispielsweise mit der Serie „I am Jazz“ um die jüngste Transgender-Aktivistin Jazz Jennings - wie wertvoll Sichtbarkeit für Themen und Personen durch dieses Genre sein kann. Schade nur, dass TLC in Deutschland genau das reduziert und durch mehr Crime ersetzt hat.