Aufgrund der Gefahr, dass Empörung einsetzt bevor die Argumentation ausgeführt wurde, sei vorweg geschickt: Das hier ist keine Kritik am Gaming oder gar Berichterstattung übers Gaming, das wie Musik, Kino, Bücher, Fernsehen und andere Medien schon seit Jahrzehnten fixer Bestandteil der Popkultur ist, aber leider bis vor einigen Jahren nicht ernst genommen wurde. Noch 2011 - als das ZDF den inzwischen wieder eingestellten digitalen Spartensender zdf.kultur startete - gab es Kulturpessimisten, die sich daran störten, dass Gaming als Kultur begriffen wurde. Diese Zeiten sind inzwischen vorbei, was sicher auch einem Generationswechsel in manchen Redaktionen zu verdanken ist.

Viel mehr geht es um eine Ankündigung der ARD anlässlich der Gamescom in Köln, deren Tage für Fachbesucher*innen bereits gestartet sind und die am Wochenende auch fürs Publikum öffnet. Man gründe das ARD Games Netzwerk, eine „strategische Bündelung für das Zukunftsfeld Gaming“. Für die ARD sei Gaming „ein Zukunftsfeld mit dem Potenzial, neue Zielgruppen zu erreichen, bestehendes Publikum stärker einzubinden, ARD-Marken und Erstplattformen zu stärken und innovative Plattformen wie VR, AR oder das Metaverse zu erschließen“, so die Pressemitteilung. Aus der Innensicht der ARD eine nachvollziehbare, sehr attraktive Perspektive - und eine gefällige Kommunikation in die Gaming-Community hinein.

Aber in der anhaltenden medienpolitischen Debatte über den Wert und Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen kommt man um die Frage nicht herum: Ist es das wirklich im „Rahmen des Auftrags“, wie SWR-Intendant Kai Gniffke sagt? Argumentiert wird, dass man so Menschen erreiche, die anders nicht mehr zu erreichen seien. Aber damit allein ließe sich im Grunde alles rechtfertigen. Mal ganz abgesehen davon, dass das eben ein Ergebnis von jahrzehntelangem Ignorieren junger Zielgruppen ist. Daran lässt sich heute nichts ändern. Die ARD, wie auch anderen private wie öffentlich-rechtliche Sender, sind so im Durchschnitt ihres Publikums nun einmal so alt wie sie sind.

Die seit Jahren kultivierte Argumentation, man müsse deshalb dahin gehen, wo die jungen Menschen seien, ist einerseits ein bequemer Freibrief, sich im Linearen dem Schicksal zu ergeben - und soll die Nutzung von Big-Tech-Plattformen rechtfertigen, die man auch aus den ARD-Reihen auf Kongress-Bühnen, in Interviews und Sonntagsreden allerdings regelmäßig scharf kritisiert für ihre teils zweifelhaften Geschäftsgebaren, und davor mahnt, sich nicht von ihnen abhängig zu machen. Vor diesem Hintergrund ist der heutige Tag unfreiwillig komisch - oder besser gesagt tragisch.

Denn Games sind längst auch ein Plattform-Geschäft. Um 10:58 Uhr vermeldete der SWR heute in einer eigenen Pressemitteilung stolz: "’Bau eine Burg für die Gräfin’- ARD startet erstes Roblox-Spiel". Ein Game zur bestehenden Gameshow. Nicht gerade ein Showcase für Bildungsauftrag oder Wissensvermittlung. Aber das ist nicht das Tragische. Es geht viel mehr um die Gaming-Plattform Roblox. Wer sie nicht kennt, kann mehr dazu erfahren, wenn man den heute zwanzig Minuten später von der Tagesschau veröffentlichten Artikel "Sexuelle Übergriffe: Schwere Vorwürfe gegen Gaming-Plattform Roblox" liest. Wenn man nicht schon im Juni ebenfalls bei der "Tagesschau" gelesen haben, wie Rechtsextreme die Plattform unterwandern.

Diese wie andere Plattformen außerhalb eigener Kontrolle nutzt man, weil die Altersstruktur der Sender besonders für ARD & ZDF ein Problem ist, die zwar von allen über den Rundfunkbeitrag finanziert werden, aber nicht alle Altersgruppen gleichermaßen erreichen. Also braucht es neue Kontaktpunkte, aber deswegen ist noch lange nicht alles, was junge Menschen erreicht, automatisch geeigneter Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Und wenn man von jemandem ein verantwortungsbewusstes Handeln erwarten darf, dann doch bitte von dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den wir alle bezahlen.

Gründungsgedanke war einmal die Sicherung einer Medienvielfalt: Das entfällt bei einer kommerziell erfolgreichen, breit aufgestellten und insbesondere internationalen Branche. Klar, der Gaming-Branche, insbesondere den Kreativen, wird das Bekenntnis der ARD gefallen. Interesse, Wertschätzung und Auftrags- sowie Jobmöglichkeiten findet jede/r toll, das ist nachvollziehbar. Gerade weil die Branche in der Wahrnehmung früher lange im Schatten anderer Mediengattungen stand, selbst als schon vor langem der Umsatz den des Filmgeschäfts überholt hat. Ist das deshalb nicht ein tolles Signal? Mit Sicherheit, aber auch vom richtigen Absender? Es gibt schließlich inzwischen - neben anderen Töpfen - auch breiter aufgestellte Medienförderungen in Deutschland, die Games mitdenken. Gut so.

Ihre Pressemitteilung zu ihrem neuen Games Netzwerk beginnt die ARD mit der Argumentation, dass fast 50 Millionen Menschen in Deutschland zocken und die Community dabei sehr jung sei. Toll, wie wäre es noch mit einer öffentlich-rechtlichen Fitnessstudio-Kette? Auch ein riesengroßer Trend - und man könnte dem vermeintlichen Auftrag entsprechend dabei doch was zu Gesundheit und Ernährung vermitteln. Zu albern? Okay. Die ARD argumentiert weiter: „Spiele können auf einzigartige Weise Wissen vermitteln, Zusammenhänge erklären und Geschichten erzählen.“ 

Das ist natürlich völlig richtig. Kein Widerspruch an dieser Stelle. Aber mit der Argumentation könnte man dann auch gleich einen Buchverlag gründen oder Zeitschriften herausbringen. Nur weil die Gaming-Branche es - anders als die Verlagswelt - feiern mag, dass die ARD sich jetzt auch in diesem Markt betätigen will, macht es die Expansion doch nicht richtiger. Warum ist das eine erlaubt, das andere nicht? Gute Gattung, böse Gattung? Wo zieht man die Grenze? Vielleicht beim Blick darauf, ob man entsprechend des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags Medienvielfalt sichert.

In einem noch einmal weitaus internationaleren Markt als dem Rundfunk ist das Engagement im Gaming keine maßgebliche Sicherung von Medienvielfalt. Und den Aspekt der finanziellen Förderung des Standorts Deutschland wiederum tragen bereits u.a. die Medienförderungen. Das kann nicht Aufgabe einer Quersubventionierung durch die ARD sein. In der aktuellen medienpolitischen Debatte ist es bemerkenswert, mit welchem Stolz man einfach frech weiter expandiert. Und das alles ist keine Geringschätzung des Gaming oder der Gaming-Branche. Viel mehr die Frage, ob das wirklich Aufgabe von ARD & ZDF ist.