Die Kunst guter Komik besteht selten in der knalligsten Punchline oder ulkigsten Pointe. Lustiger wird es, wenn sich die Komödianten nicht ernster nehmen als nötig. Henning Baum zum Beispiel. Nachdem sein Ruhrpott-Bulle 2014 nach 60 Einsätzen spurlos von der Fernsehbildfläche verschwunden war, taucht Mick Brisgau heute Abend bei Prime Video nicht einfach so in Essen auf und macht seinen Job. Erstmal taucht er 16.847,98 Kilometer entfernt in den Pazifik ab und fängt sein Mittagessen auf jener einsamen Insel, wohin ihn ein Flugzeugabsturz elf Jahre, drei Monate und acht Tage zuvor verschlagen hatte.
Mit Lendenschurz, Filzhaar, Papagei als Kumpel gibt der ausgewilderte Baum von einem Mann also die Sparversion von Tom Hanks gestrandeten Chuck Noland in „Cast Away“. Seine Zeit verbringt er damit, den Tod angespülter Krabben zu ermitteln. Bis fünf sexy Yacht-Urlauberinnen Mick Robinson zurück in die Zivilisation bringen. Das ist jetzt nicht der emanzipierteste Plot-Twist für Brisgaus Rückkehr, aber ein origineller und vor allem: augenzwinkernder. Ungefähr das also, was Baums Paraderolle am 2. Juni 2014 letztmals verkörpern durfte.
Fünf Staffeln zuvor war er nach 20 Jahren Koma in einer Gegenwart erwacht, der politisch erfrischend unkorrekte Teufelskerle wie dieser Zigarrenfan mit Proll-Karre und Macker-Gehabe ebenso fremd waren wie umgekehrt. Zu Beginn der Fortsetzung hat sich seine Abwesenheit zwar fast halbiert. Dafür wurde das Rad der Zeit technisch und habituell beschleunigt. Lastenräder und Corona-Tests, E-Scooter und Avocado-Bowles, Social Media und Smartphones: alles Neuland fürs Relikt konservativer Tage. Und wie es sich darin abermals bewegt, ist das gewohnte Wechselspiel konträrer Mentalitäten, bei dem sich weder Henning Baum noch Mick Brisgau allzu ernstnehmen.
Dabei werden beide bereits beim Auftaktmord einer Transperson schwer gedemütigt. Zum einen, weil "Der letzte Bulle" persönlich unter Tatverdacht gerät; zum anderen, weil sich neue Kollegen wie der steife Dezernatsleiter Dr. Berger (Torben Liebrecht) und die jüngere Kommissarin Tilda (Karen Dahmen) weit weniger übers Comeback freuen als die alte Belegschaft um Kollege Andreas (Maximilian Grill) und Chef Ferchert (Helmfried von Lüttichau). Am schlimmsten aber ist für diesen Typ Haudegen, dass sein Mindset und BMI noch unzeitgemäßer sind als beim Serienstart.
Die Zeiten haben sich geändert
Womit wir beim Problem der nostalgischen Butterfahrt zurück in die zweite Zukunft des ehemaligen Sympathieträgers wären. Im postheroischen 2008 nämlich war Brisgaus toxische Männlichkeit ein drolliger Kommentar auf die eigene Antiquiertheit. In unserer postpostheroischen Gegenwartsvergangenheit reanimierter Pfundskerle, die das Rad der Emanzipation gerade mit Diesel vorm Haus, Heimchen am Herd und AfD-Kreuz bei Wahlen gerade zurückdrehen, sind verhaltensauffällige Machos wie der letzte Bulle indes keine komischen Käuze mehr, sondern kritischer Mainstream.
Und das Headautor-Duo Boris Dennulat und Regine Bielefeldt gibt dem Affen auch noch reichlich Zucker mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum. In dieser Süßspeise sind Journalisten demnach "Aasgeier von der Presse" und vegane Lastenradfahrer arglistige Karrieristen, die für den Erfolg woker Fleischersatzwaren arglose Metzger umbringen. Dass Regisseur Wolfgang Groos seine Titelfigur eine 15 Jahre jüngere Pathologin (Peri Baumeister) vernaschen und parallel fetischhaft Wurst fressen lässt, passt da ebenso ins Bild wie Brisgaus autoritäre Pädagogik, die bei Andreas‘ pubertierendem Sohn besser wirkt als Vatis "kollaborative Erziehung".
Damit erinnert "Der letzte Bulle" an Ben Beckers reaktionären Cowboy-Cop "Boom Boom Bruno". Weniger erinnert er glücklicherweise aber ans missratene Comeback von Brisgaus RTL-Kollege "Balko". Als Jochen Horst 2021 für zwei Filme aus dem Ruhestand kam, hat er sein lässiges Serienerbe der Neunziger mit debilem Ballermann-Humor geradezu verächtlich gemacht. Verglichen damit liefert Henning Baum solides Krimitainment. Die Mordfälle variieren dabei zwar – wie so oft abseits von "Tatort" oder "Polizeiruf" – zwischen banal und bizarr. Während es mutmaßlich um Normausbrüche wie Kannibalismus oder Sexpuppen geht, stecken dahinter am Ende nämlich meist nur Familienfehden, Rache, Gier, Allzumenschliches halt.
Brisgaus Umgang damit atmet allerdings das anregende Aroma der ersten zwei Staffeln von Susanne Wiegand, in denen er noch etwas weniger um sich selber kreiste. Wenn der eingeborene Essener mit Sätzen wie "ham‘se euch in den letzten Jahren alle n’Kotelett aufs Hirn getackert" oder "was kommt als nächstes – Adiletten mit Socken" um sich schießt, kommen sie tief aus dem Bauch eines Vollblutschauspielers, der im Interview schon mal Götz von Berlichingen rezitiert und in der Serie sichtbar acht rohe Eier ext.
Am Ende ist es also Baums Authentizität, die das Format einigermaßen elegant um reaktionäre Klippen schifft. Leisere Sequenzen ums gemeinsame Kind mit seiner Ex (Christina Hecke) oder die sensible Bromance von Mick "Schimanski" Brisgau mit Andreas "Thanner" Kringge verleihen der Serie und ihrem Titelstar mitunter Tiefgang. So sehr beide auch aus der Zeit gefallen sind: man möchte sie daher nicht missen. Staffel-Kollegin Tilda bringt es gut auf den Punkt: "Er ist wie eine Erkältung", kommentiert sie die Dauerpräsenz des Polizisten ohne Dienstmarke am Tatort, "man wird ihn nicht los". Was sein fiktives Umfeld nervt, sorgt in der Realität jedoch für gesitteten Diskussionsstoff am schmalen Grat der Folklore zur Relativierung toxischer Männlichkeit. Auch nicht zu unterschätzen.
Die Neuauflage von "Der letzte Bulle" steht ab sofort bei Prime Video zum Streamen bereit. Sat.1 zeigt die Folgen ab dem 24. November immer montags ab 20:15 Uhr. Im Anschluss können sie auch kostenfrei bei Joyn abgerufen werden.
 
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