Wir werden in den folgenden Stunden und Minuten lernen, was einen guten „Tatort“ ausmacht. Beginnen wir mal mit einer typischen Ausgangssituation. „Nach einer Ausbildung zur Hotelkauffrau kehrt Polly zurück an den Ort ihrer Kindheit. In dem idyllischen Fischerdorf übernimmt sie mithilfe ihrer Freundin Bridget das gemütliche Bed & Breakfast ihrer Eltern. Der Auftakt ist viel versprechend: Auf einer Party begegnet sie dem äußerst sympathischen Geschäftsmann David. Zwischen Polly und ihm knistert es sofort. Leider zerschlagen sich Pollys Träume überraschend. Das Fischerdorf soll nämlich zugunsten einer Marina mit künstlich angelegtem Feriendorf verschwinden. Polly ist hin- und hergerissen.“



Oh, Verzeihung. Da bin ich doch in der Spalte verrutscht und habe Ihnen ein Treatment aus der Abteilung „ganz billig und ganz doof“, also ZDF am Sonntagabend, vorgelesen. Tut mir leid. „Tatort“ ist natürlich etwas anderes. Da treibt sich niemand in irgendwelchen romantischen Fischerdörfern herum, da geht es zur Sache.

Wie Sie ja wissen, personifiziert der „Tatort“ das gute Gewissen der Nation. Er dient vielfach als verfilmter Leitartikel und hat längst die Funktion übernommen, die früher ernsthaften Dokumentationen zugedacht war. Die sollten vor allem soziale Missstände aufdecken. Da aber für Dokus nun nur noch Sommersendeplätze und irgendwelche Stellen kurz vor der Geisterstunde geblieben sind, muss der „Tatort“ ran.

Wir erleben also einen Mord an einer Billigtankstelle in einem Billigviertel einer reichen Stadt. Nur dass es nicht gleich nach Mord aussieht, sondern erst mal nach klassischem Suizid. Flugs entspinnt sich bei den herbeigeilten Kommissaren ein Dialog, den man zynisch nennen könnte, wäre man nicht RTL-gestählt. Der eine fragt, was der in feines Tuch gekleidete Selbstmörder wohl an einer solchen Tankstelle gesucht habe. „Wahrscheinlich wollte er nochmal billig tanken“, sagt der andere. Hammergag! Ich schmeiß mich weg.

Sie erkennen unschwer, dass damit schon mal die Fallhöhe angelegt ist. Fallhöhe ist extrem wichtig beim „Tatort“. Die Kommissare haben keine Ahnung von gar nix, sollen aber im Laufe des Films mit dem ähnlich dumpf eingeschätzten Zuschauer klüger werden. Also führt das Drehbuch sie ins Armenviertel der reichen Stadt, wo sich Junkies im Keller die Spritzen setzen, wo das Essen von der Tafel kommt, wo Alkoholikerinnen stumpf auf Fernseher starren und ihre Töchter verzweifelt versuchen, das Familienleben zu managen, indem sie die Aufhellungstabletten der Mutter auf dem Spielplatz verticken. Dort hören sie dann gerne mal Stimmen wie „Ey du fettes Opfer. Verzieh dich, oder ich stech dich ab.“

So erzeugen wir echtes Lokalkolorit. Wir kombinieren das dann noch mit einem Zerrbild von überwachenden Polzisten, die in der Mittagspause ihr Überwachungsrevier verlassen, weil es da ja keine Rabatte für geistig verfettete Beamte gibt. Da merkt der Zuschauer schnell, dass etwas im Argen liegt. Wir packen dazu noch eine hohläugige Tankstellenkassiererin, die nichts gesehen hat, weil sie mit Kopfhörern ihr Hirn verschließt. „Ich hör immer voll laut Musik, Rammstein zum Munterwerden.“

Schnitt. Wir gehen ins feinere Viertel und erzählen ein bisschen was von hohen Herren, die jagen. Warum die jagen, erfährt man wiederum aus den Dialogen der Kommissare, die sich nun so richtig doof stellen und das auch wissen. „Die Frage ist vielleicht ein bisschen naiv. So ne Drückjagd, warum macht man die überhaupt“, fragt der eine.

Man merkt gleich, es geht zu wie in der „Tatort“-Grundschule. Findigen Zuhörern wird nun gleich auffallen, dass wir da typische Ingredienzien haben. Ein soziales Gefälle plus ahnungslose aber lernwillige und des Staunens überfähige Kommissare und die klassische Frage: Wer war’s? Wonach klingt das? Richtig, nach Kölner „Tatort“.

Ist es aber nicht. Es ist ein Münchner „Tatort“. Vielleicht ist Köln nicht reich genug oder was auch immer. Auf jeden Fall geht es quälende 90 Minuten um nichts anderes als um Sprüche. „Sind sie Bulle oder Ernährungsberater“, fragt die Alkimutter, und wenn der Kommissar mit dem migrationsverdächtigen Namen Batic etwas herausfindet, sagt das bayrische Urgestein Leitmayr: „Jugo forscht.“ Nochmal Hammer! Was diese Drehbuchautoren so drauf haben.

So ganz nebenbei inszenieren sie nämlich noch einen Wettbewerb der beiden Ermittler. In dem geht es nicht um Mord, sondern um die Frage, wer die Fragen im Bayern-Quiz besser beantworten kann.

Liebe Klasse, merken Sie sich. Wenn Sie so etwas als Idee beim BR einreichen, bekommen Sie das nicht etwa um die Ohren geschlagen. Sie bekommen sogar Geld dafür. Und dann wird das daraus entstehende Machwerk zwei Jahre später auch noch wiederholt. Zweifeln Sie nicht an Ihrem Urteilsvermögen, nehmen Sie einfach hin, dass das deutsche Fernsehen auch so ist.

Und nun packen Sie ihr Ränzlein und folgen Sie mir in den Fernsehraum. Wir wollen doch schließlich alle wissen, wie es mit Polly und David und dem romantischen Fischerdorf im ZDF weitergeht. Besser als dieser „Tatort“-Schrott ist das doch allemal. Und hinterher hören wir dann gemeinsam voll laut Musik, Rammstein zum Munterwerden.