Auf den Anstaltsfluren von ARD und ZDF haben in diesen Tagen einige Menschen Hoffnung geschöpft: Nur 1,25 Euro mehr monatlichen Rundfunkbeitrag müssten die Deutschen zahlen, damit die Öffentlich-Rechtlichen komplett auf Werbung verzichten könnten. Die Berechnung der KEF könnte eine frohe Botschaft für all jene Redakteure und Programmmacher sein, die gern ein paar Überraschungen mehr und ein paar Konventionen weniger auf den Bildschirm bringen würden - wenn ihre eigenen Kollegen aus der Werbevermarktung sie nicht daran hindern würden.

Solange es weiter Werbung bei ARD und ZDF gibt, übt jemand wie Hans-Joachim Strauch mehr Einfluss aufs Vorabendprogramm aus als mancher, der in der zuständigen Redaktion sitzt. Der Geschäftsführer der ZDF Werbefernsehen GmbH kann vor lauter Buchungen kaum noch aufhören zu grinsen. Um knapp 10 Prozent auf 221 Millionen Euro brutto hat er seine Einnahmen im vorigen Jahr gesteigert - und das, obwohl 2013 erstmals kein Sponsoring nach 20 Uhr mehr erlaubt war. "Gebührenmindernd" wirke das, betonen die Öffentlich-Rechtlichen immer wieder. Rein finanziell stimmt das auch - und doch ist Strauch der größte Verhinderer der eigentlich angestrebten Verjüngung.



"60plus - na und?", "Never Change a Winning Team" (Foto oben) oder gar "Inkontinenz: Der heimliche Boom-Markt" - mit solchen Überschriften trommelte das ZDF Werbefernsehen für sich in einer PR-Broschüre, die im Spätherbst 2013 dem Marketing-Fachblatt "Horizont" beilag. Die schwarz-weiße Aufmachung und die klischeehaften Bilder von Senioren hätten einen glatt an Satire denken lassen, wenn nicht Strauch höchstpersönlich fürs Editorial zur Feder gegriffen hätte: "Wenn man als Werbezeitenvermarkter ein attraktives Premium-Programm anbieten kann, hat man es nicht nötig, sich dem allgemeinen Jugendwahn anzuschließen - es ist kein Problem, schwerpunktmäßig ältere Zielgruppen anzusprechen." Vorgerechnet wurde dann unter anderem, dass der Markt der Inkontinenzmittel ein "rasantes Wachstum" vollziehe und in den letzten fünf Jahren um 60 Prozent zugelegt habe.

Nicht wenigen Programmverantwortlichen auf dem Lerchenberg drehte sich bei der Lektüre der Magen um. Hatten nicht Intendant und Programmdirektor öffentlich, gebetsmühlenartig die Verjüngung zum strategischen Ziel erklärt? Wie konnte es sein, dass Vermarkter Strauch ein so verheerendes Bild nach außen blasen durfte? In Wahrheit machte die ungeschickte Imagearbeit jedoch nur transparent, welche Alltagskonflikte innerhalb der Anstalt an der Tagesordnung sind. Weil die "Rosenheim-Cops", "Sokos" und "Küstenwachen" regelmäßig zu den meistgesehenen Sendungen des Tages zählen und Strauchs Truppe unter Vollauslastung durch Treppenlift-, Schlafmittel- oder Slipeinlagen-Spots ächzt, dürfen die Vorabend-Redaktionen keine allzu großen Experimente wagen.

Es ist dann schon das Höchste an Innovation, wenn statt der 137. Krimiserie mit hirnschonendem Simpel-Plot das zwischenzeitlich eingeschlafene Traditionsgenre der Familienserie mit soliden, unterhaltsamen Formaten wie "Herzensbrecher" oder "Familiendetektivin" neu belebt wird. Spricht man mit den Machern selbst, bekommt man oft zu hören, wie frustrierend dieses enge Korsett sei und wie gerne sie mal etwas jünger, unkonventioneller erzählen würden. Keine Chance - obwohl genug frische Ideen vorhanden wären.

Wer diesen Teufelskreis kennt, muss jeden Versuch unterstützen, ARD und ZDF endlich von der Geißel der Werbung zu befreien. Ein teilweiser Verzicht mit Hilfe der vorhandenen Mehreinnahmen des Rundfunkbeitrags sowie - im zweiten Schritt - völlige Werbefreiheit gegen 1,25 Euro Aufpreis könnten ein realistischer Weg zum Ziel sein.

Die Medienpolitik sollte sich nicht täuschen lassen von den unzähligen Liebesbekundungen der Intendanten gegenüber der Einnahmequelle Werbung. Denn die Argumente der Anstaltsfürsten sind inzwischen ganz schön schief: Werbung, so behaupten sie, verschaffe ihren Programmen mehr Marktnähe und sorge dafür, dass sie sich nicht zu weit vom gesellschaftlichen Puls sowie von jüngeren Zielgruppen entfernten. Die Treppenlift-Dominanz im ZDF hat diese Argumentation längst ins genaue Gegenteil verkehrt. Und auch der "heiter bis tödliche" ARD-Vorabend ist seit Jahren nicht dafür bekannt, junges Publikum oder auch nur die gesellschaftliche Mitte in Scharen anzuziehen.

Eher zutreffend ist das zweite Argument, das die Öffentlich-Rechtlichen gern pro Werbung anführen: dass nämlich die Industrie die Fläche für ihre Spots schmerzlich vermissen würde. Zwar ist RTL auf dem besten Wege der Publikumsalterung, doch wird es wohl noch eine Weile dauern, ehe Granu Fink & Co. dort so streuverlustfrei werben können wie im Zweiten. Das freilich ist das Problem der Pharmaindustrie - nicht der Medienpolitik und nicht der öffentlich-rechtlichen Intendanten, auch wenn es angesichts mancher Äußerung anders scheinen mag.

Natürlich wäre die Werbefreiheit von ARD und ZDF noch keine Garantie für besseres Programm. Sie würde aber ohne Frage dazu beitragen, den längst vorhandenen Erneuerungswillen vieler Redaktionen nicht länger auszubremsen. Eine Chance, für die sich 1,25 Euro lohnen!

Ein Thema, mehrere Sichtweisen. Eine andere Meinung zum Thema kommt von Hans Hoff: Die Mär vom werbefreien Paradies bei ARD und ZDF