Sobald es um die finanzielle Ausstattung der Öffentlich-Rechtlichen geht, wird es schnell und gerne populistisch. In diesem Falle aber sollte der Blick auf die Erträge einmal gestattet sein. Mehr als 1,1 Milliarden Euro erhielt der Westdeutsche Rundfunk im Jahr 2012 aus den Rundfunkgebühren. Die Einnahmen durch die Werbung machen da fast schon einen verschwindend geringen Anteil aus - doch rechnet man alles zusammen, beträgt die Summe der Erträge mehr als 1,36 Milliarden Euro. Ein Blick in den Jahresabschluss offenbart sehr schnell, dass am Ende mehr ausgegeben wird als am Anfang in die Kasse kommt - und tatsächlich kommt mit Lohnkosten, Altersversorgung und Technik schnell eine Milliarde zusammen.

Es ist also keine dankbare Aufgabe, ein Riesen-Schiff wie den WDR mit all seinen Zwängen zum Sparen zu bringen. Erst recht, wenn Zuschauer und Zuhörer so wenig wie möglich davon mitbekommen sollen. Dennoch stellt sich die Frage, ob sich inmitten dieser 1,3 Milliarden Euro, die dem WDR zur Verfügung stehen, nicht doch genügend Geld findet, um das Herzstück des Programms am Leben zu halten. Und das ist ohne Zweifel die lokale Berichterstattung. Nun kann man dem WDR keineswegs vorwerfen, nicht vor Ort zu sein. Der Sender leistet sich elf lokale Studios, die über das Sendegebiet verteilt sind, und damit mehr als jede andere öffentlich-rechtliche Anstalt. Jedes einzelne Studio steuert allabendlich eine "Lokalzeit" bei, die über das berichtet, was vor der Haustür geschieht.

Mit Erfolg: Im vergangenen Jahr verzeichnete die "Lokalzeit" in Nordrhein-Westfalen einen Marktanteil von 26 Prozent. Nicht selten schalten mehr als eine Million Zuschauer aus Nordrhein-Westfalen ein - es ist ein großer Teil jener Menschen, die dafür sorgen, dass dem WDR überhaupt jährlich mehr als eine Milliarde Euro zur Verfügung steht. Es gehört also schon viel dazu, ausgerechnet an der lokalen Berichterstattung zu sparen. Doch genau dort wird ab 2015 der Rotstift angesetzt. Um alle elf Landesstudios am Leben zu halten, sollen die Samstags-Ausgaben der "Lokalzeit" gestrichen und durch eine "Lokalzeit Weekend" ersetzt werden. Die neue Sendung werde ergänzend zur "Aktuellen Stunde" neben der Tagesaktualität verstärkt über das "Wochenend- und Freizeitgefühl im Land" berichten, heißt es.

Man möchte sich kaum ausmalen, was das übersetzt heißt. Wohlfühl-Themen, garniert mit jeder Menge Service - und ganz nebenbei gibt's mit etwas Glück als Feigenblatt noch ein paar Info-Häppchen. Vom WDR heißt es, die Maßnahme bringe dem gesamten Bereich eine "dringend notwendige finanzielle Entlastung" - und "stärkt das journalistische Profil der Lokalzeiten unter der Woche", also jene Sendungen, die schon heute angesichts von Rubriken wie der "Medizinzeit" oder der "Gartenzeit" mitunter erschreckend wenig mit echter lokaler Berichterstattung zu tun haben. Hier ist schon ein kleiner Houdini nötig, um die Reduzierung der "Lokalzeiten" als Vorteil für die Zuschauer zu verkaufen - mal ganz davon abgesehen, wie gut die Samstags-Ausgaben der "Lokalzeit" bisher wirklich waren.

Es klingt, als habe McKinsey in der Kölner Innenstadt Einzug gehalten und jede Menge Sparpotenzial ausgemacht, dabei aber vergessen, welch verheerendes Signal von dieser Entscheidung ausgeht. Ausgerechnet an jener Stelle zu sparen, die den jährlichen Rundfunkbeitrag von über 200 Euro am meisten rechtfertigt, grenzt beinahe schon an Harakiri, wenn gleichzeitig Geld für herrlich belanglose Rankingshows oder "Lichters Schnitzeljagd" vorhanden ist. Würde man die Zuschauer fragen, worauf sie am ehesten verzichten könnten, würden solche Formate vermutlich nur deshalb nicht genannt, weil sie so austauschbar sind, dass man sie direkt nach der Ausstrahlung schon wieder vergessen hat. Auf die lokale Berichterstattung aber will ganz sicher kaum ein WDR-Zuschauer verzichten - trotz aller Garten- und Medizinthemen, die sich darin inzwischen tummeln. Dafür braucht es keine teuren Marktforschungen und nicht mal den "WDR-Check" mit dem Intendanten.

60 Millionen Euro lässt sich der WDR die Berichterstattung aus seinen elf Lokalstudios jährlich kosten, wie Jürgen Overkott gerade für "DerWesten" ausgerechnet hat - und so kurios es klingt: Zieht man diese Zahl von den 1,3 Milliarden Euro ab, die jährlich in die Kassen des WDR gespült würden, bliebe immer noch weit mehr als eine Milliarde übrig. Sollte es wirklich nicht mehr möglich sein, sich die lokale Berichterstattung im bisherigen Umfang zu leisten, käme es einem Offenbarungseid gleich, zumal andere Dritte in den vergangenen Jahren den umgekehrten Weg gegangen sind und die Berichte aus dem eigenen Sendegebiet eher noch ausgeweitet haben. Die Frage muss erlaubt sein, was in einem milliardenschweren System schiefläuft, wenn am Ende ein paar Millionen fehlen, um einem Lokalstudio in Duisburg oder Aachen die Zukunft zu sichern.

Stattdessen heißt es: "Hochkultur und Klangkörper behalten ihren Stellenwert." Man möchte den sicherlich hochverdienten Musikern der Klangkörper nicht zu nahe treten, doch mit Blick auf Big Band, Chor und Orchester stellt sich schon die Frage, ob all das wirklich zu einem modernen Medienhaus gehört - erst recht, wenn an Silvester doch lieber das Konzert der Berliner Philharmoniker im Fernsehen übertragen wird. Hans Hoff hat die Debatte um die Orchester kürzlich schon treffend auf den Punkt gebracht. Und dann wäre da auch noch der Sport, den man zwar "nicht um jeden Preis" wolle. Gleichzeitig heißt es vom WDR jedoch, dass Welt- und Europameisterschaften, aber auch die Bundesliga "ein gesellschaftliches Bindeglied" seien. Dabei kann man nun wirklich nicht erkennen, dass die Gesellschaft einst deshalb auseinandergebrochen sei, nur weil die Bundesliga über Jahre hinweg im Privatfernsehen beheimatet gewesen ist. Der Verlust wichtiger Fußballrechte wäre für die Öffentlich-Rechtlichen vermutlich vor allem deshalb ein Problem, weil ihnen mit einem Schlag die jungen Zuschauer abhanden kämen.

ugleich aber sieht er internationale Fußballturniere wie Welt- und Europameisterschaften sowie die nationale Bundesliga mit Verweis auf die überdurchschnittlichen Quoten als „gesellschaftliches Bindeglied“.

WDR spart sich die „Lokalzeit“ | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
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Vielleicht ist es also an der Zeit, das System auf wirklich neue Beine zu stellen. Vielleicht ist das System der Dritten, wie wir es aktuell kennen, schlicht nicht mehr zeitgemäß. Was, wenn man am Ende feststellt, dass ein einziger Sender reichen würde, der nachmittags zweistündige Service-Magazine ausstrahlt? Würde wirklich etwas fehlen, wenn "daheim & unterwegs", "Mein Nachmittag", "Hier ab vier", "Hallo Hessen" und "MDR um 4" in einer gemeinsamen Sendung aufgingen und sich die Anstalten stattdessen einzig am Vorabend eine Stunde auseinanderschalten, um die Zuschauer aktuell über die Ereignisse in ihrer Heimat zu informieren? Wahrscheinlich ginge das zu weit. Zu bequem sind die Liegen geworden und zu ausgeprägt die vielen Einzelinteressen. Es soll nur bitteschön niemand sagen, es seien keine Einsparmöglichkeiten vorhanden.

Um es kurz zu machen: Wenn an der lokalen Berichterstattung gespart wird, dann braucht es keine Dritten mehr. Fürs "Wochenend- und Freizeitgefühl im Land" genügt zur Not nämlich auch der Blick aus dem Fenster.

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