Werbepausen sind praktisch, um im Studio mal durchzuschnaufen, bevor das Rotlicht an der Kamera gleich wieder angeht. Aber Durchschnaufen muss Stefan Raab schon immer irgendwie lästig vorgekommen sein. Also hat er die Zeit, in der sich ProSieben aus Refinanzierungsgründen kurz aus der Live-Übertragung der fünften Ausgabe "Schlag den Raab" ausklinken musste, sinnvoll genutzt. Er ist mit seinem Kontrahenten in einen vor dem Studio wartenden Helikopter gesprungen, hat sich ins fernsehpräparierte Waldbad Dünnwald nahe Köln fliegen lassen und dort nach dem letzten Spot augenblicklich im Kajakfahren, Bademantel-Minigolf und Wettschwimmen weitergekämpft.

Als ich damals, vor ziemlich genau acht Jahren, staunend vor dem Fernseher saß, um über die noch recht frische Show zu schreiben, schien mir das wie der endgültige Beweis: Der Mann meint es bitterernst mit der Samstagabendunterhaltung.

Raab hat immer geahnt, wie er die Zuschauer für sich gewinnen kann – auch diejenigen, die ihn gar nicht mögen: Indem er nicht bloß sein Gesicht an eine Show vermietet, sondern aufs Ganze geht und sich dem Risiko aussetzt, am Ende auch mal zu unterliegen. (Was ihm bis heute dennoch sichtlich schwer fällt.)

Dass es für spektakuläre Samstagabendunterhaltung nicht zwangsläufig einen Helikopter braucht, sondern eine nervenaufreibende Runde Jenga den gleichen Zweck erfüllt, wenn die über einen möglichen Millionengewinn entscheidet, hat er auch bewiesen. Und wenn Raab dem deutschen Fernsehen Ende des Jahres, wie gerade angekündigt, den Rücken kehrt, ist das vor allem deshalb ein Verlust, weil es dann keinen mehr gibt, der sich dieselben Unverschämtheiten erlauben kann wie er: eine ganz neue Show erfinden – und die dann mit der vollen Überzeugung ins Fernsehen bringen, dass sie funktioniert.

Sender verlassen sich auf fertig entwickelte Formate, kaum noch auf Talente

Solche Überzeugung ist selten geworden in einer Branche, die sich vor allem in der Unterhaltung maßgeblich darauf verlässt, dass ihr Erfolge aus dem Ausland in die Programmredaktion gespült werden anstatt selbst Wagnisse einzugehen. Dabei sind die Sender mit dieser Taktik häufig gar nicht erfolgreicher. Sie haben sich bloß daran gewöhnt. Und Gewöhnung ist Gift für gutes Entertainment.

Diese Entwicklung ist mit daran Schuld, dass mit Raab einer der Letzten geht, die vor und hinter der Kamera wirklich von sich behaupten können, Fernsehmacher zu sein – weil sie im wahrsten Sinne des Wortes gerne Fernsehen machen. Seinen Platz für solche Allround-Talente hat das Medium immer stärker eingeschränkt. Sender verlassen sich auf fertig entwickelte Formate, kaum noch auf Talente. Und Formate haben Regeln, in die sich diejenigen, die sie präsentieren, einfügen sollen. Das führt dazu, dass heute ein völlig anderer Typ Moderator gefragt ist als er Jahre lang auf unseren Bildschirmen präsent war. Einer, der im Format aufgeht, es dann aber auch nicht mehr alleine tragen kann – wie das ZDF bei "Wetten dass..?" mit Markus Lanz zuletzt leidvoll erfahren musste.

Vorgänger Thomas Gottschalk sagt selbst von sich, dass ihm eine allzu starre Befolgung von Regeln bei "Wetten dass..?" wurscht war (so lange die Kandidaten fair behandelt wurden). Wichtiger schien, dass sich das Publikum gut unterhalten fühlte. Und auch wenn die beiden sonst womöglich nur wenig gemeinsam haben: Das eint Gottschalk mit Raab, der stets noch einen Schritt weiter gegangen ist und sich die Regeln einfach selbst ausgedacht hat, um sie dann durchzusetzen.

Stefan Raab© Miguel Robitzky/DWDL.de

Dass die Sender glauben, auf solche Sturköpfe verzichten zu können, oder zumindest wenig unternehmen, talentierten Regelbrechern Spielwiesen zuzugestehen, auf denen sie die Fernsehzukunft neu erfinden können (und zwar nicht bloß am "Programmrand"), könnte sich als fataler Irrtum herausstellen. Gerade jetzt, wo die Dominanz des Fernsehens zwar nicht grundsätzlich in Frage stehen mag, aber doch zumindest herausgefordert wird durch neue Anbieter wie Netflix und Amazon, die Sehgewohnheiten drastisch verändern.

Dem klassischen Fernsehen werde das keinen großen Schaden zufügen, beteuern Programmmacher stets, wenn sie auf die vermeintliche Bedrohung angesprochen werden – und verweisen auf den Event-Charakter ihres Mediums, das in der Tat immer dann seine besondere Stärke ausspielt, wenn es Live in Millionen Haushalte sendet. Die Frage ist bloß, wen das Fernsehen in diesen Situationen künftig ganz vorne hinstellen will, wenn die Ausbildung zum Live-Talent gar nicht mehr angeboten wird.

Anders gesagt: Wer, bitteschön, soll künftig in Werbepausen mit Hubschraubern in Schwimmbäder fliegen, um dort vor dreieinhalb Millionen TV-Zuschauern um eine Million Euro zu minigolfen?

Kein Sender wird einem Moderator noch mal die Freiheiten einräumen, die Raab hatte

Es ist nicht so, dass Raab der selbstbestimmte Rücktritt nicht zu gönnen wäre, zumal sich in den vergangenen Jahren abgezeichnet hat, dass sich auch die Raab'sche TV-Schubkraft nicht unendlich verlängern lassen würde. Gewöhnung ist eben auch bei einem wie ihm Gift für gutes Entertainment. Dabei gäbe es mit Sicherheit genügend Talente, die den Ehrgeiz, die Lust und den Experimentierwillen mitbrächten, ihm zumindest in Teilbereichen seines Wirkens nachzufolgen. Das Fernsehen wird sich nur im Leben nicht mehr trauen, jemandem noch mal all die Freiheiten einzuräumen, die Raab hatte, um sich auf die Position vorzuarbeiten, von der er jetzt abtritt.

Dass Raab geht, ist kein Verlust, sondern ein tiefer Einschnitt: für ProSieben sowieso, für die Unterhaltung bei den privaten Sendern, für das deutsche Fernsehen als solches. Weil damit eine Art, dem Publikum überengagiertes TV-Entertainment zuzumuten, zu Ende geht und nicht mehr wiederkehren wird.

Damals, in der "Schlag den Raab"-Show vom Juni 2007, verlor Raab übrigens gegen seinen Herausforderer, einen Orthopäden aus Herne. Den Sieg im Wettbewerb Raab vs. den Rest des deutschen Unterhaltungsfernsehens, den kann ihm am Ende des Jahres 2015 aber keiner mehr nehmen.

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