"Diese Serie wird dir deinen Tag, Abend und dein ganzes Leben ruinieren. Jede einzelne Folge liefert nichts als Entsetzen, also schau weg, schau weg, schau weg!", trällert es bereits im Intro aus Neil Patrick Harris heraus, während sich der Zuschauer, dem Lemony Snicket ein fremder Charkater ist, erst einmal fragen muss, ob das jetzt ein Scherz ist, oder er das wirklich ernst meint. Doch kurz darauf tritt eben jener Mr. Snicket - hier dargestellt von einem der besten Erzähler, Patrick Warburton ("Rules of Engagement") - aus dem Schatten und verkündet weiter: "Wenn Sie nach einer Geschichte suchen, die ein Happy End bereithält, sollten Sie sich lieber woanders umschauen. In dieser Erzählung gibt es nicht nur kein Happy End, sondern auch kein Happy Beginning und sehr wenige fröhliche Dinge in der Mitte." Schnell bestätigt sich, dass "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" pure Selbstfolter für den eigenen Gemütszustand ist – doch ist es in diesem Falle Masochismus, dem man sich sehr gerne öffnet.

Alles beginnt mit dem tragischen Tod der Eltern der Baudelaire-Kinder – das sind Violet (Malina Weissman), Klaus (Louis Hynes) und die kleine Sunny. Jeder von ihnen hält ein bestimmtes Talent bereit und auch sonst kann man nicht behaupten, dass sie auf den Kopf gefallen sind. Doch plötzlich sind die Kinder aus reichem Elternhaus obdachlos und sollen zu ihrem "nächsten Angehörigen" ziehen. So tritt Graf Olaf (Neil Patrick Harris) auf den Plan, ein exzentrischer Schauspieler, der sich schnell als gieriger Bösewicht herausstellt, der es sich zum Ziel gemacht hat, an das Erbe der Kinder zu kommen. "Es ist schwer sich vorzustellen, wie drei Kinder so etwas durchstehen... oder wieso jemand nettes wie du sich das anschauen möchte", singt Harris im Intro weiter und gibt ein letztes Mal zu denken, ob man nicht doch lieber umschalten möchte.

In der Tat gibt es doch genug düstere Filme und Serien, hält alleine das öffentliche-rechtliche deutsche Fernsehen eine Menge davon bereit, um eine wichtige Botschaft zu vermitteln oder einfach nur pseudotiefsinnig wirken zu wollen. Auch "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" hat eine tiefe Bedeutung, doch wird sie so menschlich und alles andere als verklemmt dargestellt, dass man sich ihr mehr als gerne annimmt. Wie es bereits der Film aus dem Jahr 2004 mit Jim Carrey auf den Punkt gebracht hat, ist auch die Serienform der perfekte Stoff für jedes Kind, das einprägsame Lektionen zu Ignoranz und Freundlichkeit lernen möchte. Für Erwachsene könnten die hier gezeigten Lehrstunden beinahe noch wichtiger sein, reflektiert man einen mies gelaufenen Tag nach einer Folge "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" noch einmal ganz neu und kommt am Ende wahrscheinlich zu einem versöhnlicheren Fazit.

Denn trotz der Erkenntnis, dass ein volles Karma-Konto nicht immer für ein gutes Leben sorgt, verzagen Violet, Klaus und Sunny an keiner Stelle und zeigen trotz den verzweifelten Situationen, wie wichtig es ist, Hoffnung zu haben und sich positives Denken zu bewahren. Genau deswegen dürfte Netflix' Reboot zu Lemony Snickets Geschichte, das passenderweise an einem Freitag, den 13. veröffentlicht wird, trotz all der deprimierenden Sequenzen dafür sorgen, dass man sich diese Qual mit einem leichten Lächeln auf den Lippen anschaut.

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Um diese vielschichtige Geschichte zu erzählen, hat Netflix an keiner Ecke gespart. Zwar wurden noch keine offiziellen Zahlen genannt, doch darf man im Vergleich zum Film, der die gleichen Produktionshintergründe trägt und für zwei Stunden Laufzeit knapp 140 Millionen US Dollar gekostet hat (mehr als der erste "Harry Potter"-Film) davon ausgehen, dass "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse"-Schöpfer Mark Hudis "The Get Down" und "The Crown", zwei der bisher teuersten Netflix-Produktionen, mit Leichtigkeit überholt und weit über 200 Millionen investiert hat.

So sehr einem bei diesen Zahlen auch die Beine schlackern – es ist eine großartige Kunst, Unterrichtsstunde und Unterhaltung gleichermaßen zu schaffen. Selten trat eine Serie auf den Plan, die auf höchstem Niveau doppelschichtige Witze, Ratschläge und Hintergründe erzählen kann, ohne jemals die Motivation zu verlieren, dieses Konzept auch bis zum Ende hin durchzuziehen. Neil Patrick Harris, der nicht bösartiger als Jim Carrey auftritt, aber vielschichtiger, kann man das rundum perfekte Gelingen dieser Serie dabei nicht einmal zum Großteil zuschreiben. Ja, er macht einen atemberaubenden Job und zeigt selbst Musical-Hassern, wie platziert und gänsehauterregend Gesangseinlagen sein können, doch wird bei dieser Serie von vorne bis hinten jeder Job richtig gemacht.

Von der Kamera, zum Maskenbildner bis hin zum Requisiten-Team - "Eine Reihe betrüblichere Ereignisse" sorgt für das perfekte Ambiente und versetzt den Zuschauer dank der surrealen Darstellung in eine Phase, in der er zwar noch zu Hause auf dem Sofa sitzt, sich in seinem Kopf aber gerade in einer ganz anderen Welt befindet. In absoluter Perfektion gelang das bisher Werken wie dem "Harry Potter"-Franchise. Netflix spielt hier auf dem gleichen Level. Besser spät als nie wurde der damalige "Lemony Snicket"-Hype Anfang 2000 vor allem deswegen verdrängt, weil die Welt von einer Hand voll Zauberer in die Mangel genommen wurde. Nun könnte der wunderbaren Geschichte um die Baudelaire-Kinder endlich jene Aufmerksamkeit zuteil kommen, die schon längst überfällig ist. Da in der ersten Staffel lediglich die ersten vier von insgesamt 13 Büchern verfilmt wurden, darf sich, sofern es sich für Netflix finanziell lohnt, auch auf weitere Staffeln gefreut werden.

"Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" ist nicht nur binge-watch-würdig, sondern binge-watch-verlangend. Ob Sie nun ein Kind sind oder nur noch das Herz eines Kindes haben, wird es die Netflix-Adaption schaffen, Ihnen trotz der melodramatischen und dunklen Umgebung in wohldosierten Abständen ein Strahlen im Gesicht zu zaubern, so dass ein Verschieben der nächsten Episode gar nicht erst Thema wird. "Schau weg!", singt Harris immer wieder, doch ist das der absolut letzte Rat, den man sich bei "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" zu Herzen nehmen wird.

Die erste Staffel von "Lemony Snickets: Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" steht ab sofort auf Netflix zum Streaming bereit.