Bei der Fernsehmesse MIPCOM in Cannes hat sich ein Eindruck verfestigt, der sich schon in den Wochen und Monaten zuvor deutlich abzeichnete. Der international zu beobachtende Trend zur Eigen- bzw. Auftragsproduktion anspruchsvoller Premium-Serien erreicht Deutschland. Zu spüren ist, dass Fernsehen natürlich nicht immer und zu jeder Sendezeit, aber so oft wie möglich auch wieder eine Frage des Prestige ist. Viel zu lange wurde die Qualität des deutschen Fernsehens im Fiktionalen fälschlicherweise daran gemessen, wann und wie es US-amerikanische Produktionen zeigt. Dass das deutsche Fernsehen schon einmal mehr erzählerischen Mut im Seriellen hatte als in den vergangenen Jahren, ist kein Geheimnis. Und doch blieb der Boom der vornehmlich horizontal erzählten Fernsehserien, ausgelöst durch kleine US-Kabelsender, aus Deutschland lange unbeantwortet. Regina Ziegler produzierte mit der ARD-Serie „Weissensee“  eine der wenigen prominenten Ausnahmen.



Doch gerade bei den Privatsendern wurde lange verleugnet. Von Wellenbewegungen ist gerne die Rede, wenn Fernsehmacher sich das Auf und Ab mancher Genres in der Gunst des Publikums erklären. Meist dient dieses Bild jedoch der Rechtfertigung eines zögerlichen Handelns, mit der man sich selbst versichert, dass es strategisch sinnvoller sei, Moden erstmal abzuwarten. Schlimmer aber noch: Bei uns zog man aus dem Boom der US-Kabelsender Lehren, allerdings die völlig falschen. Da diversifizierten sich die großen privaten Sendergruppen und schafften neue Sendermarken - aber nicht ausreichend neue Inhalte. Fernsehen definiert über Abspielflächen statt Inhalte? Eine Sackgasse. Bei kleineren Sendern schien es beinahe ein Denkverbot in Richtung eigenproduzierte Fiktion zu geben - was in den USA nun einmal den Boom der kleinen Kanäle ausgelöst hat und das viel zitierte „New Golden Age of Television“ begründete.

Und bei den großen Sendern war die Erleichterung förmlich spürbar als im vergangenen Jahr mit „Rising Star“ und „Utopia“ zwei Formate die Hoffnung nährten, man könne einfach weiter Fernsehen machen als wäre nichts passiert. Als würde sich das Jahrzehnt der Casting- und Realityshows einfach fortsetzen. Es wäre so bequem gewesen, doch die diesjährige MIPCOM machte sehr deutlich: Die beiden Hoffnungsträger spielten keine große Rolle mehr und ein nächster vermeintlicher Hit war nicht in Sicht. Ohnehin dominierten die Serien die Fernsehmesse in Cannes. Und es sind nicht nur die neuen Plattformen, die diesen Eindruck befeuern. Von Netflix, Amazon, Hulu und Co. redet man beim Branchentreff in Cannes schließlich schon seit zwei Jahren.

Neu im Jahr 2014 ist die parallel zu beobachtende Entwicklung auf dem Produzentenmarkt. Es ist das Jahr der Konsolidierung und Fusionen auf dem internationalen TV-Produktionsmarkt. Der Merger von Endemol, Shine und Core Media ist da nur das jüngste Beispiel einer längeren Kette von Deals, die die Branche in diesem Jahr erschüttert haben. Und genau das führt zu einer interessanten Wendung: Während sich die Anbieterseite durch immer neue Sender und Plattformen diversifiziert, konzentriert sich der Produzentenmarkt zunehmend. Zugespitzt könnte man sagen: Wenige Produktionsriesen stehen vielen Abnehmern gegenüber, die dringend Content brauchen - weil Fernsehsender heutzutage in der Regel eben kaum noch wirklich selbst produzieren. Sollte sich diese Entwicklung verfestigen, dann bleibt dies für das Mächteverhältnis nicht ohne Folgen.

Schon jetzt wird bei der MIPCOM deutlich, wie oft Produzenten und Distributoren neue Projekte anstoßen ohne nach klassischer Denke einen Auftrag in der Tasche zu haben. Im deutschsprachigen Raum mischt hier Jan Mojto mit seiner Beta Film und zahlreichen Tochterfirmen kräftig mit. Egal ob bei Tom Tykwers „Babylon Berlin“, der ersten Vox-Serie oder „Weinberg“ für TNT Serie. Und  Oliver Berben bekräftigt: „Die Auftragsproduktion ist tot“ - und kündigt im Namen von Constantin Film in Cannes gleich ein Dutzend Serienprojekte an. Gerade rechtzeitig zur Fernsehmesse kam auch die Ankündigung von UFA Fiction, Frank Schätzings „Breaking News“ zu verfilmen. Ein Sender wurde noch gar nicht genannt. Die ProSiebenSat.1-Tochter Red Arrow ist im Koproduktionsgeschäft aktiver an eigenen Serien (z.B. „100 Code“) interessiert als die Sender der Familie. Auch die Studio Canal-Tochter Tandem Communications aus München mischt in dem Geschäft seit Jahren erfolgreich mit - und stemmt TV-Ideen abseits klassischer Auftragsproduktionen. Faszinierend daran ist: Die Ideen und Geschichten rücken in den Mittelpunkt. Es geht nicht darum etwas Neues für Sendeplatz XY zu finden. Genau das bringt die Fernsehsender wiederum zur Verzweiflung.

Und doch ist inzwischen bei den meisten deutschen Sendern die Erkenntnis gereift, dass es sicherer und erfolgsversprechender ist, auf eigene (Auftrags-)Produktionen zu setzen als sich auf Nachschub aus den USA zu verlassen. Das ist ein wichtiger Schritt. Der Deutschland-Start von Netflix wurde vor wenigen Wochen mehr als nur einmal als willkommene Ohrfeige gewertet. Sicherlich hat diese Diskussion ihren Anteil daran gehabt, doch die Notwendigkeit sich mit eigenen Produktionen und damit exklusiven Inhalten abzuheben und nicht nur mit Verspätung US-Ware wiederzugeben, besteht schon länger. Das lineare frei empfangbare Fernsehen sieht sich keiner Revolution, sondern Evolution gegenüber - und das bereits seit mehr als zehn Jahren. Am Anfang stand die Diversifizierung des PayTV, in Folge dessen neue Kanäle unabhängig von Premiere/Sky entstanden.