Sage keiner mehr, hierzulande könne niemand das mit dem horizontalen Erzählen, mit den verschachtelten Geschichten, mit den intelligent gebauten Figuren. Das gehe nur in Serien, die aus dem Ausland kommen. Das darf behaupten, wer kein Fernsehen mehr schaut und mehr mit Sprüchemachen beschäftigt ist als mit dem Sichten anspruchsvoller Filme.

Dieser „Tatort“ ist anspruchsvoll. Autor Jürgen Werner verwirbelt die Handlungsstränge, dass es dem Zuschauer rasch schwindelig wird, dass er kaum noch nachkommt. Er bietet einen Krimi, und er bietet Psychogramme aller handelnden Personen inklusive ihrer Vorgeschichten. Das alles verwebt er so geschickt, dass hier und da der Atem stockt, weil es rasant ist, weil es laut wird, weil die Beklemmung nicht weichen will. So muss Fernsehen.

Ein stadtbekannter Neonazi ist erschossen worden. In Verdacht geraten viele. Die Leiterin einer Beratungsstelle gegen rechte Gewalt hätte ein Motiv gehabt, aber auch diverse Figuren aus der Neonaziszene sind nicht unverdächtig. Zeugen werden bedroht, und der Bruder eines der ermittelnden Kommissare mischt auch kräftig mit in der rechten Szene. Dazu gesellt sich der Verdacht, dass Erkenntnisse aus dem Polizeipräsidium auf verschlungenen Wegen zu den Rechten gelangen. Etliche Mitspieler haben etwas zu verbergen.

Doch nicht nur auf der Verdächtigen-Seite geht es drunter und drüber. Auch im Team des durchgeknallten Kommissars Faber (Jörg Hartmann wie immer grandios) gibt es viel zu erklären. Das ist Martina Bönisch, seine Stellvertreterin (schön zurückgenommen und tough: Anna Schudt), die sich früher Callboys bestellte und jetzt auf schnelle Bekanntschaften an der Hotelbar setzt. Da ist das junge Ermittlerpärchen, das mal was miteinander hatte, doch die Beziehung ging in die Brüche, weil Nora Dalay (Aylin Tezel) das gemeinsame Kind abgetrieben hat. Nun sind die beiden Youngster derart mit emotionalen Aufräumarbeiten beschäftigt, dass ihnen der Job zu entgleiten droht.

Insbesondere Nora rastet mehrfach aus. Als Türkin vom Dienst ist sie ohnehin Zielscheibe der rechten Dumpfbacken. Und ihr Chef Faber lässt die auch noch straflos ihre Parolen grölen, ohne einzuschreiten. Er weist Nora sogar öffentlich zurecht, als die sich nicht beleidigen lassen will. Längere Zeit wirkt es so, als sympathisiere er regelrecht mit den Neonazis. Und dann wird Nora auch noch von den braunen Backen überfallen und schleppt sich mit einem auf den Bauch gesprühten Hakenkreuz gebrochen nach Hause.

Das klingt nach viel, und es ist auch sehr viel, was der Zuschauer hier schlucken muss. Aber die Regisseurin Nicole Weegmann schafft es, die düstere Handlung straff zu führen und an den richtigen Stellen zu erhellen. Bis den Kommissaren und auch dem Zuschauer irgendwann ein Licht aufgeht.

„Hydra“ heißt dieser „Tatort“, und der Name des vielköpfigen Wesens aus der griechischen Mythologie ist natürlich in erster Linie auf die rechte Szene gemünzt. Er passt aber ebenso gut auf das Beziehungsgeflecht der Polizisten untereinander, denn der irre Faber wird nicht müde, jeden, der ihm über den Weg läuft, in Nullkommanichts auf die Palme zu bringen, den Staatsanwalt, die Kollegen, die vorher gegen den jetzt toten Nazi ermittelten ohnehin. Keiner kann hier mit keinem oder jeder nicht mit jedem. Es ist alles ein Riesenklumpatsch.

Daraus eine spannende Geschichte zu machen, das ist große Fernsehkunst. Hier ist gelungen, was sonst immer nur von den großen Serien da draußen behauptet wurde. Das deutsche Fernsehen kann etwas, wenn es will, wenn man es lässt. Hier hat man es gelassen. Der fünfte „Tatort“ aus Dortmund ist genial gut.