Die Frau, die da tot unterm Laub liegt – wurscht. Die Jagd nach dem Mörder – wurscht. Der Sonntagskrimi als ewig gleiches Ritual – wurscht. Christian Petzold macht alles anders. Als Regisseur und Drehbuchautor in einer Person hat er diesen „Polizeiruf 110“ auf links gedreht, hat alles rausgenommen, was nach Routine riecht. Dies ist kein Fluss, der um 20.15 Uhr entspringt und um 21.45 Uhr seinen Weg ins Meer oder in die Jauche findet, dies sind viele kleine Quellen, an denen man sich laben kann, wenn man denn möchte.

Hanns von Meuffels hat einen neuen Fall. Irgendwo im Münchner Umland. Diesmal ermittelt der von Matthias Brandt gespielte Kommissar gemeinsam mit Barbara Auer, die Constanze Hermann spielt, eine reisende Kriminale auf der Flucht vor dem Alkohol. Die Kommissarin gibt sich ebenso wortkarg wie von Meuffels. Anfangs wirkt es, als zwinge irgendwer die beiden zum Dialog. Dann aber nehmen sie Fahrt auf, und es entstehen tolle Texte. Lapidar dahingesagt auf den ersten Blick. Abgründig tief, wenn man sie seziert.

Der Fall scheint anfangs relativ klar. Die Besitzerin einer Möbelfabrik wird im Wald tot aufgefunden. Verdächtig sind alle, denn sie stand kurz davor, ihre Fabrik an irgendwelche Finanzhaie zu verschachern. Den Ehemann hatte sie ohnehin schon lange rausgeworfen, nicht ohne ihn vorher gedemütigt zu haben. Und dann ist da noch der Sohn, der Dunkel ins karge Licht bringt, und eine Szene auf einem Straßenstrich, die diesen „Kreise“ genannten Film eröffnet.

Um Kreise dreht es sich auch, als von Meuffels den Ehemann der Toten in seiner Bastelbude besucht. Eine Modelleisenbahn ist dort aufgebaut. Eine Fleischmann, keine Märklin, wie sie alle haben. Und sie hat keine Kreise. Eine Modelleisenbahn ohne Kreis, das ist etwas Ungewöhnliches, weil Modelleisenbahner doch sonst so sehr zur Ordnung in ihrer Miniaturwelt neigen. „Immer kreist derselbe Zug um dieselbe Welt; nichts ändert sich“, sagt der Verdächtige. Er suche etwas Neues.

Diese Szene steht für diesen Film. Christian Petzold durchbricht die Konventionen des gängigen Sonntagabendkrimis. Er lässt seine Akteure reden, lang reden. Reden in Stille. Oder reden vor großer Klassikkulisse. Skurrile Szenen entstehen dabei. Plötzlich wirkt Banales wichtig. Die Art und Weise wie von Meuffels auf dem Polizeirevier für die Kollegin einen Mantel aus dem Schrank holt, während von überall her Mozart scheppert. Der Nachtpförtner hört halt so gerne Klassik. Laute Klassik.

Es wird geredet, es wird philosophiert, es wird das Leben seziert. Wie schade es ist, dass es keine Musikboxen mehr gibt, sagt Meuffels. Ganz zufällig steht beim verdächtigen Modelleisenbahner eine Musikbox. Gedrückt wird die Single, deren Cover in der Auslage prangt. „I‘m not in Love“ von 10cc, also von jener Band, die sich nach der durchschnittlichen Ejakulatmenge eines Mannes benannt hat. „I‘m not in Love“ läuft am Anfang des Films und am Schluss und mittendrin. Es ist die Geschichte eines Mannes, der beteuert, nicht mehr verliebt zu sein, dem man aber in jeder Silbe anmerkt, dass er es mehr denn je ist.

Als Nebenstrang zeigt der Film, wie sich die Kommissare annähern, wie sie aus ihrer verbalen Kargheit zueinanderfinden, wie sie Zutrauen gewinnen und wie dann wieder alles zerbricht.

Mattias Brandt spielt seinen von Meuffels als gestrengen Hüter einer einsamen Insel, als einen, der niemanden an sich ranlässt, der vielmehr von Vergangenem zehrt, und der doch erleben muss, wie jemand an seinem Strand landet und ihn aus dem Gestern ins Jetzt hebt. Das verunsichert ihn, der sich seine seltsam mäandernden Verhörmethoden aus Krimis abguckt. Barbara Auer ist dagegen die Gequälte, die sich damit abgefunden hat, dass ihr niemals mehr jemand vertrauen wird, die sich umso mehr wundert, als es doch jemand tut.

Christian Petzold liefert hier großes Kino auf kleinstmöglichem Raum. Die gefühlte Hälfte der Szenen spielt im Polizeibüro und im fahrenden Dienstwagen. Draußen rauscht die Gegend vorbei, und drinnen ziehen zwei Menschen ihre Kreise umeinander und um die Welt.

Es geht um die Frage, ob sich alles immer wiederholen muss, ob die Lok auf der Modelleisenbahn links verschwindet und rechts wieder auftaucht. Natürlich ist das ein Bild, mit dem dieser Film auch das Genre kritisiert, in dem er existiert. Muss der Krimi am Sonntag immer gleich aussehen? Ist das Ritual wichtiger als das individuelle Produkt? Müssen es immer Kreise sein?

Nein, müssen es nicht. Es geht auch anders. Petzold zeigt, wie es gehen kann und liefert dabei kein Muster für Wiederholungen. So wie dieser großartige Film läuft, kann er nur einmal laufen. Aber er nährt die Hoffnung, dass da noch viel kommen kann.

Petzold fasst das sehr schön zusammen, als von Meuffels des Nachts in einer griechischen Kneipe sitzt, und aus den Boxen besingt Lale Andersen die ewige Sehnsucht. „Ein Schiff wird kommen“, seufzt sie. Ja, ein Schiff wird kommen. Vielleicht. Auf jeden Fall keine Modelleisenbahn. Keine Kreise. Nichts muss gleich bleiben. Alles darf mal neu sein. Auch der Sonntagabendkrimi. Danke, Christian Petzold.