Selbst in der deutschen Fernsehbranche ist die Überraschung meist noch recht groß: Ericsson, einst als Marke im Mobilfunk verortet, mischt längst in erheblichem Maße im europäischen TV-Geschäft mit. In Großbritannien ist Ericsson Broadcast & Media Services führender TV-Dienstleister für fast alle Marktteilnehmer - vom Playout über das Media Management u.a. aller BBC- und ITV-Sender bis hin zu VoD-Portalen wie dem BBC iPlayer. Geschäftsführer Thorsten Sauer, selbst aus Deutschland, will im deutschen Markt stärker als bislang Fuß fassen. Über die Strategie dafür spricht Sauer im Interview mit dem Medienmagazin DWDL.de, welches Ende März in London geführt wurde. In diesen Tagen präsentiert auch Ericsson Broadcast & Media Services sein Portfolio auf der NAB Show in Las Vegas.

Herr Sauer, mit Ericsson verbinden die meisten in erster Linie das Telekommunikationsgeschäft. Dass Sie in Großbritannien der führende TV-Dienstleister sind, kommt da mitunter überraschend. Warum erst jetzt die Absicht, auch in den deutschen Markt vorzudringen?

Wir sind bereits im deutschen Markt aktiv, wenn auch nicht im gleichen Maße wie hier in Großbritannien. Ericsson ist mit dem klassischen Telekommunikationsgeschäft in Düsseldorf und anderen Standorten vertreten. Darüber hinaus wir sind mit Broadcasting and Media Services bereits mit rund 50 Kollegen in Berlin. Hier bieten wir Live-Untertitelung und Meta-Daten-Erstellung an. Aber Sie haben Recht, unsere Ambitionen sind größer. Es geht um einen strategischen Ausbau der Aktivitäten, der Zeit in Anspruch nehmen wird. Wir wollen nachhaltig strategische Dialoge mit möglichen Kunden aufbauen.

Wenn Sie von nachhaltig sprechen - welchen Zeitraum haben Sie im Blick?

Wenn man den englischen Markt als Parallele nimmt, hat hier im Jahr 2002 alles angefangen als die BBC ihre Technologie-Bereiche in der kommerziellen Tochterfirma BBC Broadcast ausgegliedert hat. 2005 hat dann mit Macquarie, eine Private Equity Firma diesen Bereich übernommen und das Geschäft in Red Bee Media umbenannt und sich als freier Dienstleister für Sendeanstalten positioniert, die nicht mehr alle technischen Bereiche selbst abdecken wollten. 2014 hat dann Ericsson Red Bee Media übernommen. Auf die BBC folgte ITV, dann Channel 4. Und für Kunden wie British Telecom war die Entscheidung sich für einen Dienstleister zu entscheiden recht simpel: Man hatte als Telko Fußball-Übertragungsrechte erworben und stand nun vor der Herausforderung, eine technische Infrastruktur aufzubauen. Genau da konnten wir natürlich helfen. Wir ermöglichen es unseren Kunden sich auf die Inhalte zu konzentrieren.

Die Entwicklungszeit in Großbritannien war damit vergleichsweise lang und durch die Genese etwas speziell.

Die Situation in England ist vielleicht etwas besonders. Aber die Idee ist auch im deutschen Markt übertragbar: Hier stellt sich die Frage: Ist es für Sendeanstalten in Zeiten eines zunehmenden Wettbewerbs mit Firmen von internationaler Reichweite und einer wachsenden Erwartungshaltung der Zuschauer an die Bereitstellung von Content auf allen Devices noch zeitgemäß und zukunftssicher, eigenständige Insel-Lösungen und -Systeme zu nutzen?

Aus Sicht von Ericsson ganz offenbar nicht.

(schmunzelt) Wir sehen in Deutschland viel Potential, sowohl bei Privaten und bei den Öffentlich-Rechtlichen. Der Druck auf die Sender, mit globalen Wettbewerbern mitzuhalten, wird steigen und es gehört nicht zur Marktdifferenzierung der Sender - wie auch hier in Großbritannien ja schon 2002 festgestellt - dies selbst zu erledigen. Jetzt haben wir in Deutschland allerdings nochmals deutlich föderalere Strukturen als in Großbritannien, wo es zwar auch regionale Sendertöchter gibt, die aber relativ zentral geführt werden.

Sie sehen also in erster Linie die Öffentlich-Rechtlichen als mögliche Kunden?

Wie gesagt, das Ziel ist, mit den öffentlich-rechtlichen Sendern in einen Dialog zu treten darüber, was Sinn macht und wo wir Ihnen helfen können. Das Gleiche gilt aber auch für die RTL Mediengruppe oder die ProSiebenSat.1 Media.

Sie treten also gegen Anbieter wie SES Plattform Services, einen der großen Anbieter im deutschen Markt, an?

Es gibt eine Hand voll Firmen im deutschen Markt, die ähnliche Sachen machen. Die genannte ist eine davon mit ihrem Schwerpunkt auf dem Satellitengeschäft. Das machen wir nicht. Im Bereich des PlayOuts oder im Media Management sind SES und wir aber sicher Konkurrenten. Dann gibt es andere Firmen, die sich sehr als Dienstleister für Live-Übertragungen positioniert haben. Auch das bieten wir an. Jeder spezialisiert sich auf seine Weise, so dass es letztlich eher Schnittmengen zwischen diversen Wettbewerbern sind. Wir sind darüber hinaus auch im französischen, holländischen und den skandinavischen Märkten sowie in Australien und den USA unterwegs und von hier kann ich ihnen berichten: Diese Dienstleistungsmärkte hat sich weitaus breiter entwickelt als dies in Deutschland bislang der Fall ist.

Hängen die deutschen Sender ihrer Meinung nach technisch hinter her?

Ich denke, dass die Sender in Deutschland eine Sichtweise vertreten wie man sie auch in anderen Ländern beobachten kann. Das lineare Fernsehen ist für sie das Kerngeschäft. Oftmals aber entsteht die Fokussierung darauf auch aus der Tatsache, dass man sich nicht auf ein neues Spielfeld begeben will, in dem man keine Expertise hat. Das wäre aber aus unserer Sicht ein gefährlicher Rückzug. Wir erleben gerade eine spannende Zeit im Broadcasting bei der es um die Frage geht, ob linear und non-lineare Fernsehnutzung wirklich zwei separate Geschäftsmodelle sind. Wir sind der Auffassung: Es ist ein und das gleiche Geschäft. Man erreicht die Kunde nur auf verschiedenen Wegen.

Das lineare Kerngeschäft ist deutschen Sendern, insbesondere den Privatsendern, noch durchaus heilig. Oftmals weil sich im Netz nicht auf gleichem Niveau Geld verdienen lässt.

In Deutschland ist der Werbemarkt für klassisches, lineares Programm in der Tat noch erstaunlich robust. Das freut mich für potentielle Kunden. Was wir anbieten, ist ja auch kein Revolution von heute auf morgen. Aber es wäre aus unserer Sicht falsch, wenn man dem Trend zum non-linearen nicht nutzen würde. Nichts beschäftigt uns heute beispielsweise mehr als die Frage, wie sich dahinter liegende Arbeitsprozesse zusammenbringen und vereinfachen lassen. Wir wollen im Workflow und in Bezug auf die technischen Anforderungen die Hemmschwelle minimieren.

"Selbst große Firmen, die im deutschen Markt unterwegs sind, werden nicht die Ressourcen haben wie der internationaler Wettbewerb."

Das ZDF will in diesem Jahr seine Mediathek grundlegend überarbeiten. Das wäre ein Auftrag gewesen, den Sie gerne gehabt hätten?

Die Natur des Wettbewerbs ändert sich. Ich nehme mal Großbritannien als Beispiel. Bislang konkurrierte die Mediathek von ITV mit dem Angebot von Channel 4. Das war ein vergleichsweise lokaler Wettbewerb. Firmen wie Netflix und Amazon werden als Wettbewerber zunehmend sichtbar. Plötzlich konkurriert man nicht mehr auf nationaler sondern internationaler Ebene. Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einem Sender, der besorgt feststellte: „Bei Amazon Prime gibt es mehr offene Stellen im technischen Bereich als ich Mitarbeiter im ganzen Sender habe.“ Man kann versuchen diesem Wettbewerb mit Inhouse-Lösungen der Marken Eigenbau zu begegnen. Aber selbst große Firmen, die im deutschen Markt unterwegs sind, werden nicht die Ressourcen haben wie der internationaler Wettbewerb. Wir sind international aufgestellt.