Die Beschwerdeausschüsse des Presserats, die in dieser Woche tagten, haben insgesamt acht Rügen ausgesprochen. Von diesen gehen allein fünf auf Kosten des Rügen-Großabnehmers "Bild" bzw. "Bild Online" - und alle fünf haben mit Missachtung von Opfer- bzw. Täterschutz zu tun. So erhielt "Bild Online" eine öffentliche Rüge für die Berichterstattung über einen verunglückten Hubschrauberpilot. Der Artikel war mit einem Foto des Mannes bebildert, das im Stil einer Collage vor das Bild der Absturzstelle montiert war. Laut Pressekodex ist die Identität von Opfern von Unglücksfällen aber besonders zu schützen. "Das Foto des Mannes hätte nicht ohne Einwilligung der Hinterbliebenen und schon gar nicht in einer solchen Fotomontage gezeigt werden dürfen", resümiert der Presserat.

Weitere ähnlich gelagerte Fälle, für die es Rügen gab: "Bild Hamburg" hatte einen Bericht über einen 20-Jährigen, der mit seinem Auto gegen einen Baum geprallt und ums Leben gekommen war, mit einem Porträtfoto des Mannes bebildert. "Bild Online" fragte in einem Bericht über eine als "Nymphomanin" bezeichnete Frau, ob "Dauersex - in Verbindung mit Alkohol und Drogen" die Todesursache sein könne und zeigte nicht nur ein Foto der Toten, sondern nannte auch ihren abgekürzten Namen, ihren Spitznamen und ihr Alter.

Eine Rüge gab es auch für die "Bild Online"-Berichterstattung über einen durch einen Geisterfahrer verursachten Autounfall mit sechs Toten. In zwei Artikeln wurden Vorname und abgekürzter Nachname des Fahrers sowie persönliche Details aus dessen Leben und ein Foto veröffentlicht. Der Pressekodex sieht vor, dass "in der Regel" keine Informationen veröffentlicht werden, die die Identifizierung von Opfern wie von Tätern ermöglichen. Einen schweren Verstoß gegen diese Regelungen sah der Presserat auch in der Berichterstattung über den Prozess gegen einen 76-jährigen Mann, der seine Frau mit einer Axt erschlagen hatte. Das Gericht hatte festgestellt, dass der Mann aufgrund von Demenz und wahnhafter Psychose nicht schuldfähig war - was "Bild" und "Bild Online" nicht davon abhielt, Fotos zu veröffentlichen. Besonders seine Schuldunfähigkeit hätte aus presseethischer Sicht aber gegen diese Veröffentlichung gesprochen, so der Presserat.

Die von "Bild" vielfach verletzten Regelungen wurden unterdessen vom Presserat nun überarbeitet. "Ziel war es, die Regeln zum Schutz der Persönlichkeit so zu gestalten, dass sie für Journalisten einfacher anzuwenden sind. (...) Viele Redaktionen und Verlage hatten sich konkrete Abwägungskriterien bei der Kriminalitätsberichterstattung gewünscht: Wann darf ich einen Täter zeigen? Welche Rolle spielt der Verfahrensstand? Wie gehe ich mit Prominenten um? Das war die Triebfeder zur Novellierung", erklärt Ursula Ernst, die Sprecherin des Presserats. Neu ist nun, dass es getrennte Richtlinien zur Opferberichterstattung und eine eigene Richtlinie zur Kriminalberichterstattung gibt, die sich speziell mit Tätern und Tatverdächtigen beschäftigt. Bislang waren im Kodex Täter und Opfer in einem Atemzug genannt worden. "Die neu geschaffene eigene Richtlinie zum Opferschutz wird dem besonderen Stellenwert, den der Schutz der Opfer beim Presserat genießt, besser gerecht." Die neue Fassung findet sich auf presserat.info.

Doch zurück zu den aktuellen Rügen. Neben "Bild" erhielt auch "in - Das Star & Style Magazin" eine Rüge. In einem Beitrag über den Besuch von Barbara Becker in der Redaktion war deren Schmuckkollektion mit stark werblichen Formulierungen, Fotos und Preisen vorgestellt worden. Die Grenze zur Schleichwerbung sei damit deutlich überschritten worden, so der Presserat. Nicht-öffentliche Rügen gab es gegen die "Sächsische Zeitung" und die Mittelbayerische Zeitung" wegen Verstößen gegen den redaktionellen Datenschutz. Die "Sächsische Zeitung" hatte einen Bericht über die Missstände bei der Vergabe und Gesundheitsbescheinigungen mit einer Originalbescheinigung bebildert, aus der der Name der diensthabenden Ärztin hervor ging. Die "Mittelbayerische Zeitung" hatte über eine Rüge des bayerischen Datenschutzbeauftragten berichtet, der die Pressemitteilung einer Gemeinde beanstandet hatte, in der die Namen von drei Personen genannt wurden, die für den überwiegenden Teil von Beschwerden an die Kommunalaufsicht verantwortlich seien. Die Zeitung nannte in der Berichterstattung über die Rüge die drei Namen erneut - und wiederholte damit logischerweise den Datenschutzverstoß.

Keine Rüge gab es hingegen für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Die Beschwerde eines "Pussy Riot"-Mitglieds wurde abgewiesen. Die "FAS" hatte u.a. berichtet, dass die Aktionskünstlerin Tolokonnikova die elterliche Wohnung im Streit habe verlassen müssen und ihre kleine Tochter von einem Tisch gefallen sei. Der Autor verglich die Aktivistengruppe wegen ihrer Provokationen sowie unter dem Vorwurf der Instrumentalisierung eigener Kinder bzw. mangelnder Rücksicht auf sie mit der ersten Generation der RAF. Tolokonnikova hatte beim Presserat die Darstellungen als sachlich unzutreffend und den Vergleich mit der RAF als ehrverletzend kritisiert. Der Ausschuss bewertete den RAF-Vergleich hingegen als zulässige Meinungsäußerung. Die Schilderung der Streitigkeiten mit den Eltern und des Sturzes der Tochter beurteilte er als hinreichend belegt. Die "FAS" legte als Quellen das Blog eines der Aktivisten und ein Radiointerview des Vaters der Betroffenen vor. Angesichts des Umstands, dass Pussy Riot abgesehen von dem Blog keine offiziellen Statements veröffentlicht und sich auch nicht von den Blog-Veröffentlichungen distanziert hatte, war der Ausschuss der Ansicht, dass die Quellenlage der "FAS" ausreichend war.