Tom Buhrow hat Post bekommen. Vor knapp einem Monat ist beim Intendanten des WDR in Köln ein Schreiben aus Glasgow eingetroffen. Es stammt von Frank Cannon, dem Anwalt eines Piloten, der im Alter von nur 43 Jahren gestorben ist. Hinter dem Schreiben verbirgt sich eine Programmbeschwerde. Eine, die es in sich hat. Von der "Täuschung des Zuschauers" ist darin die Rede und vom "Vertrauensmissbrauch durch den Westdeutschen Rundfunk". Anlass für die Beschwerde ist eine im Juli im Ersten ausgestrahlte Dokumentation aus der Reihe "Die Story". Unter dem Titel "Nervengift im Flugzeug - Was die Luftfahrtindustrie verschweigt" war ein Film zu sehen, der sich mit kontaminierter Kabinenluft befasste. Ein spannendes Thema, doch nicht minder spannend ist der Streit, der nun schon seit Wochen hinter den Kulissen des WDR tobt.

Vorläufiger Höhepunkt dieses Streits ist eben jene Programmbeschwerde, mit der sich der WDR nun bereits seit einigen Wochen befassen muss. Teile der mitten während der Fußball-Weltmeisterschaft versendeten Dokumentation über giftige Stoffe, die über die Triebwerke in die Kabine gelangen, hätten nämlich eigentlich gar nicht gezeigt werden dürfen. Das jedenfalls ist die Auffassung des Anwalts. "Extrem irritiert" sei man, heißt es in dem Schreiben, dass sich eine der größten und renommiertesten öffentlich-rechtlichen Anstalten auf dem europäischen Kontinent "nicht an schriftliche Vereinbarungen hält, explizit untersagte und nicht autorisierte Aufnahmen und Interviews trotzdem ausstrahlt und dabei nachhaltig gegen journalistische Ehr-, Ethik- und Sorgfaltspflichten verstoßen hat". Es sind deutliche Worte, die Cannon findet. Dabei hat Cannon gerade eigentlich Wichtigeres zu tun. Aktuell bereitet er einen Prozess vor, in dem die offizielle Todesursache des Piloten Richard Westgate geklärt werden soll.

Eine Obduktion ergab nämlich, dass Kabinenluft Westgates Nervensystem geschädigt haben soll. Monatelang hatten Professor Mohamed B. Abou-Donia und sein Team von der amerikanischen Duke-Universität Westgates Zellproben analysiert. Gemeinsam mit dem forensischen Pathologen Dr. Frank van de Goot und Westgates letztem leitenden Arzt, Dr. Michel Mulder, veröffentlichte Abou-Donia schließlich eine Fallstudie, die erstmals einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von kontaminierter Kabinenluft im Flugzeug und der schweren Erkrankung eines Betroffenen herstellte. Äußerst brisante Fakten also. Der freie Journalist Tim van Beveren, der schon seit Jahren auf diesem Themengebiet recherchiert, bewies so gesehen einen guten Riecher, als er Anfang 2013 ein Dokumentations-Projekt über die Gründe für Westgates Tod in Angriff nahm.

"Eine natürliche Ablehnung" habe man zunächst gegenüber den Medien gehegt, sich in einem derart frühen Stadium der Untersuchungen diesen gegenüber zu offenbaren, erläutert Anwalt Frank Cannon, ehemals selbst Pilot und Inhaber einer Airline, in der Programmbeschwerde die Anfänge der Zusammenarbeit, doch schließlich habe van Beveren "durch seinen tiefgehenden Sachverstand" sowie "seine Reputation als unerschrockener und unabhängiger investigativer Journalist" seine Mandaten dann doch überzeugen können, sich darauf einzulassen. Eigentlich ein Glücksfall für den WDR. Umso überraschender, dass van Beveren in der im Juli ausgestrahlten ARD-Dokumentation gar nicht mehr genannt wurde. Stattdessen war WDR-Redakteur Roman Stumpf zu sehen.

Die Frage, ob es übliche Redaktionspraxis ist, nachträglich einen anderen Fragesteller in ein Gespräch zu schneiden, der streng genommen sogar eine andere Zwischenfrage stellt als dies ursprünglich der Fall gewesen ist, ließ der WDR gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de unbeantwortet. Stattdessen heißt es: "Unabhängig von der eingereichten Programmbeschwerde weist der WDR die derzeit in der Öffentlichkeit verbreiteten Vorwürfe gegen den Mitautoren des Films, Roman Stumpf, entschieden zurück."

Aus Sicht des Anwalts Frank Cannon ist die Sache dagegen eindeutig. In seiner Programmbeschwerde verweist er auf eine Anfang Juni 2013 getroffene Vereinbarung, in der Tim van Beveren als Autor und Bearbeiter der Dokumentation aufgeführt wird - und von einer weiteren Person keine Rede ist. Unterzeichnet hat diese Vereinbarung auch die WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich. Der WDR erklärt dagegen auf DWDL.de-Nachfrage, van Beveren und Stumpf hätten den Film "gemeinsam für die ARD realisiert". Und weiter: "Die Co-Autorenschaft war zwischen beiden Autoren und der Redaktion einvernehmlich vereinbart."

Doch warum wurde van Beveren, der faktische Hauptautor der Dokumentation, bei der Ausstrahlung im Juli dieses Jahres nicht als solcher genannt? Bereits unmittelbar vor der Ausstrahlung hatte die "taz" über eine Eskalation zwischen van Beveren, Stumpf und dem verantwortlichen Redakteur Jo Angerer berichtet. Konkret geht es um eine Fassung des Films, die bereits rund einen Monat vor der Ausstrahlung durch Mikich abgenommen wurde, obwohl sie viele investigativen Recherche-Elemente noch gar nicht beinhaltete, wie van Beveren deutlich machte. Für ihn war es eine Version, die noch nicht seinen journalistischen Ansprüchen und dem aktuellen Stand der Wissenschaft zur Thematik entsprach. "Trotz mehrfacher Angebote an den WDR, diese Version sogar unentgeltliche umzuarbeiten und zur Diskussion zu stellen, beharrte Herr Angerer darauf, weitere Änderungen ausschließlich alleine und ohne meine Mitarbeit vorzunehmen", sagt van Beveren im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de und spricht dabei von einem Verstoß gegen seine Urheber-Persönlichkeits-Rechte sowie eine interne WDR-Dienstanweisung des Intendanten.

Anders als versprochen habe er den Film vor der Ausstrahlung nicht mehr sehen können. Eskaliert sei die Situation schließlich, nachdem Dritten bekannt wurde, dass Angerer der Lufthansa bereits im Februar mitgeteilt hatte, dass Roman Stumpf der Autor und van Beveren lediglich sachkundiger Co-Autor sei. "Redaktionell könnte er auf den Film keinen Einfluss nehmen", erklärte Angerer der Lufthansa. Wie er zu einer solchen Aussage kommt, ist unklar. Auch hierauf gibt der WDR mit Verweis auf das laufende Prüfverfahren derzeit keine Auskunft. Dafür spricht van Beveren. "Extrem irritiert" sei er darüber gewesen, sagt er. "Noch eine Woche vor Ausstrahlung wurde ich in den Programmankündigungen als Autor geführt. Das meine Autorenschaft dann plötzlich, kurz vor der Ausstrahlung beendet wurde, hat mir mein Arbeitgeber nicht mitgeteilt, weder mündlich noch schriftlich. Dafür bekam ich dann am 2. Juli eine Email aus der Lufthansa-Pressestelle, in der mir ausgerechnet die Lufthansa mitteilt, 'man habe aus dem WDR erfahren, ich sei nicht mehr Autor' und wissen möchte, was denn dafür die Gründe seien. Das ist mehr als entwürdigend."