Die Anspielung auf das geflügelte Branchenwort vom "New Golden Age of Television" konnte sich Torsten Körner nicht verkneifen. Der Juryvorsitzende des FernsehfilmFestivals Baden-Baden sprach in seinem Resümee von einer "goldenen Woche" und diagnostizierte - völlig zu Recht - einen "außerordentlich starken Jahrgang mit großer Varianz". In ihrem 26. Jahr zeigt die Traditionsveranstaltung im beschaulichen Kurort die einzigartige Stärke des fiktionalen deutschen Fernsehens - wenn es um das 90-minütige Einzelstück geht.

Bevor am Freitag Abend die Sieger des Festivals gekürt werden, ist aber auch schon klar: Allein mit der alten Stärke kann es nicht weitergehen. Dafür, dass der von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste ausgerichtete Wettbewerb den "Fernsehfilm" im Namen trägt, fiel das Wort "Serie" in den vergangenen Tagen bemerkenswert oft. Und das ist auch gut so, weil zukunftsweisend. Man hätte das kaum deutlicher sagen können als Jurychef Körner, der in etlichen Wettbewerbsfilmen "Potenzial für Serien" verortet. In "Männertreu" (Hessischer Rundfunk) etwa ein bisschen "House of Cards" oder in der "Spiegel-Affäre" (ARD/Wiedemann & Berg) ein bisschen "Mad Men". "In den nächsten Jahren wird es immer wichtiger, Serien als kleine Kosmologien zu verstehen, die sich mit der Realität auseinandersetzen", so Körners Befund.



Wer am Ende den Fernsehfilmpreis und die bis zu drei Sonderpreise erhält, ist für die Jury, der in diesem Jahr "Tatort"-Kommissarin Ulrike Folkerts, Drehbuchautorin Beate Langmaack, FSK-Geschäftsführerin Christiane von Wahlert und "Funkkorrespondenz"-Chefredakteur Dieter Anschlag angehören, eine echte Qual der Wahl. Der besondere Charme und USP des Festivals besteht darin, dass nicht nur die zwölf nominierten Wettbewerbsfilme öffentlich im Baden-Badener Kurhaus aufgeführt werden, sondern auch die jeweils anschließende Jurydiskussion auf der Bühne vor Publikum stattfindet. Regelmäßig mischen sich die Macher der Filme in die Diskussion ein, was für zusätzliche Spannung und zusätzliche Erkenntnisse sorgt.

Festivalleiterin Klaudia Wick, die das Regiment im vorigen Jahr übernommen hatte, kann auf ein stetig wachsendes Publikumsfestival stolz sein, das nicht nur die Branche selbst interessiert und daher langsam, aber sicher aus allen Nähten platzt. Sämtliche Vorführungen - auch morgens um 9.30 Uhr schon - sind bis auf den letzten der 350 Plätze in zwei Sälen belegt. In den Diskussionen geht es angenehm konstruktiv, uneitel und inhalteorientiert zu.

"Das ist ein mutiger Stoff, eine Überhöhung. Ganz große Klasse", lobt Ulrike Folkerts ihre hessischen "Tatort"-Kollegen für den formal wie inhaltlich herausragenden Fall "Im Schmerz geboren". "Das macht Mut, das macht Bock auf noch mehr 'Tatort'. Es ist eben Shakespeare im 'Tatort'-Format." Jurorin Langmaack hingegen merkt kritisch an, sie habe den Film wie eine "Poolparty für große Jungs" empfunden und wehre sich gegen die Überhöhung. "Wir wollen nicht allen gefallen", antwortet Drehbuchautor Michael Proehl. "So wie das jetzt ankommt, ist es perfekt." Bei der "Spiegel-Affäre" wird das exzellente Szenenbild gelobt, die übertriebene Zuspitzung auf den persönlichen Kampf zwischen Augstein und Strauß kritisiert. Autor Johannes Betz gibt hinterher zu, dass man es mit der Anzahl der Sexszenen wohl ein wenig übertrieben habe.

"Bornholmer Straße" (ARD/UFA Fiction) ist für die Jury "ganz großes Kino, obwohl es nur an einem Ort spielt", der "Spreewaldkrimi: Mörderische Hitze" (ZDF/Aspekt Telefilm) ein "kleines Kamera-Wunderwerk", das Kinderkrebs-Drama "Jeder Tag zählt" (ZDF/Wüste Medien) "von allem ein bisschen zu viel". Am schönsten sind bisweilen die Momente, wenn Juroren sich in allzu gewagte Interpretationen verstricken - und dann von den Machern nüchtern zurückgeholt werden. In den ständigen Darmbeschwerden von DDR-Oberstleutnant Schäfer (Charly Hübner) in "Bornholmer Straße" glaubt FSK-Chefin von Wahlert eine "anale Metapher" zu erkennen: Auch in der DDR sei schließlich etwas drin gewesen, was raus wollte und zunächst durch eine ganz enge Stelle - den Grenzübergang - durch musste. Nein, korrigiert Autorin Heide Schwochow, so tiefenpsychologisch habe man das nicht gemeint. Der echte Grenzer Jäger habe in Wahrheit am 10. November 1989 einen Termin zur Darmuntersuchung gehabt, so einfach.

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