Wenn die Veranstaltungssäle chronisch überfüllt sind und fast ebenso viele Zuschauer auf dem Boden wie auf Stühlen sitzen, weil Edward Snowden, Matthias Schweighöfer oder diverse YouTube-Stars auftreten – dann ist in Berlin mal wieder die Media Convention im Rahmen des Digital-Jahrmarkts re:publica los.

Die für die Branche relevantesten Zukunftsfragen sind dabei nicht unbedingt jene, die vor dem größten Publikum besprochen werden. Europas digitale Zukunft vor dem Hintergrund des von der EU-Kommission geplanten "Digital Single Market" ist so ein Thema, das auf den ersten Blick nicht sexy klingt, aber vor allem Film- und Fernsehproduzenten zunehmend Sorgen bereitet.



"Die territoriale Abgrenzung ist für uns Überlebensprinzip. Ohne sie werden wir das Ende der europäischen Filmproduktion erleben." Mit diesen Worten machte Schweighöfers Geschäftspartner Dan Maag die Tragweite deutlich. Der CEO von Pantaleon Entertainment und Produzent der ersten deutschen Amazon-Serie "You are Wanted" vertrat auf der Kongressbühne die Position, die nahezu die gesamte Produktionsbranche eint. Wenige Minuten zuvor hatte Maximilian Strotmann, Kabinettsmitglied des EU-Kommissars für den Digitalen Binnenmarkt, das etablierte Territorialitätsprinzip mal wieder in Frage gestellt. Sein Boss, der Estländer Andrus Ansip, hatte es voriges Jahr mit der simplen Formel "I hate geoblocking" auf den Punkt gebracht.

Sollen Film- und TV-Lizenzen auch künftig noch für einzelne Länder vergeben werden, so die zentrale politische Frage, oder ist es im Interesse der Bürger, dass die EU auf lange Sicht ein einziger Lizenzraum wird? Vordergründig geht es dabei zunächst um die Portabilität, also die Möglichkeit, etwa sein in Deutschland abgeschlossenes SVoD-Abo auch auf Reisen im EU-Ausland nutzen zu können, ohne am Geoblocking zu scheitern. Doch Strotmann verhehlte nicht, dass er in einem späteren Schritt gern viel weiter gehen und Geoblocking komplett verbieten würde.

"Da entstünde ein gewaltiger Flurschaden, nur damit der Opa aus Recklinghausen im Urlaub auf Mallorca seine Serien gucken kann", entgegnete Maag. Und erläuterte, dass das Produktionsvolumen einbrechen würde, wenn es keine Möglichkeit mehr gäbe, Produktionen durch Lizenzverkäufe in andere europäische Länder oder durch Koproduktionen zu finanzieren. Sebastian Kocks, Leiter Medienrecht der Mediengruppe RTL Deutschland, sprang dem Produzenten bei und nannte das Beispiel "Deutschland 83": "Diese Serie wäre für uns ohne internationale Lizenzverkäufe und damit ohne Territorialitätsprinzip schlicht nicht finanzierbar gewesen."

Bei den Brüsseler Bürokraten gehört es zur eingeübten Argumentation, man wolle nichts zerstören, sondern im Gegenteil den Produktionsmarkt langfristig absichern helfen, nicht zuletzt gegen digitalen Diebstahl. "Wenn man zynisch wäre, könnte man sagen: Der Digital Single Market ist bei der Piraterie schon Realität", so Strotmann in Berlin. Doch das wollte Maag nicht gelten lassen. Zwar müsse man mehr gegen Piraterie unternehmen – aber das sei ungefähr so, als reagiere man auf Ladendiebstahl mit dem Entfernen der Ladentüren, damit sich gleich jeder umsonst bedienen könne.

Nicht nur in dieser Auseinandersetzung dürfte noch langer Atem gefragt sein. Dass der VoD-Markt hierzulande trotz Netflix- und Amazon-Wachstum noch recht am Anfang steht und viele mögliche Entwicklungen allenfalls zu erahnen sind, verdeutlichten mehrere Panels der Media Convention. Bei allem auf Kongressen üblichen Selbstlob unterzog Maxdome-Geschäftsführer Filmon Zerai sich und seine Mitbewerber einer gehörigen Selbstkritik: "Ich bin geschockt, wie schwer wir es den Konsumenten immer noch machen. Für Shortform-Content muss man auf diese Plattform, für Longform auf jene. Für jedes Abo, für jedes Device braucht man ein eigenes Log-in. Das haben wir noch nicht geknackt, das ist noch zu frustrierend."

Weil bekanntlich keine Videoplattform, die etwas auf sich hält, mehr ohne lokal produzierte Originalserien auskommt, bekräftigte Zerai die kürzliche Maxdome-Ankündigung, noch dieses Jahr damit starten zu wollen: "Einige der größten Erfolge unserer Mitbewerber wie 'Bosch' oder 'Lilyhammer' kommen aus dem Hause ProSiebenSat.1 – sowas hätten wir auch gern." Einer dieser Mitbewerber – Morgan Wandell, Head of Drama Series bei Amazon Studios – nutzte den Berlin-Trip, um das Engagement von Matthias Schweighöfer, das Potenzial von "You are Wanted" und weiterer künftiger Serienideen aus Deutschland zu loben.

Und noch ein anderer – Ex-HBO-Manager Dossie McCraw, jetzt Head of Video & Podcast Content Partnerships bei Spotify – kündigte an, innerhalb der nächsten zwölf Monate Original-Shortform-Content anbieten zu wollen, vorwiegend für die mobile Nutzung. Die drängendste Frage an McCraw betraf in Berlin aus aktuellem Anlass jedoch nicht Video-, sondern Audio-Inhalte: Nein, so der Amerikaner, man wolle Jan Böhmermann und Olli Schulz niemandem wegnehmen. Man verstehe sich auch nicht als disruptive Kraft, sondern als neuer, zusätzlicher Partner. Geschulte US-Diplomatie eben.