Hat noch jemand mitgezählt, wie oft das "Äh"-Meter in der Türkei-Ausgabe der "Stefan Raab Show" anschlug? Wenn wir uns nicht verzählt haben: 99-mal allein bei Gastgeber Raab, ein knappes Dutzend Mal bei seinem Gast Eko Fresh. Ähem, das ist viel. Während gelegentliche "Ähs" nicht unbedingt problematisch sind und sogar die Persönlichkeit eines Sprechers unterstreichen können, stört der übermäßige Gebrauch des Füllgeräuschs beim Zuhören gewaltig.

Die gute Nachricht ist: Äh-Aficionados wie Stefan Raab kann geholfen werden. Dafür gibt es Profis wie Andrej Grabowski.

Kontrollierte Mimik, richtige Atmung, kluges Fragen, sprechen ohne stammeln: All das ist erlernbar, lautet das vollmundige Versprechen jenes Mannes, der einmal stellvertretender Chefredakteur von N24 war und sich dann als Medientrainer selbstständig machte – übrigens nicht, weil er das Elend um sich herum nicht mehr ertragen konnte. Die Gründe waren profaner, wovon noch die Rede sein wird.

In Grabowskis One-Man-Schule sind unzählige Moderatoren und Journalisten aus News, Talk und Magazinen gegangen, auch in Österreich. Sie können sich, so die Firmen-PR, auf ein "diskretes und nachhaltiges" Training verlassen. Denn bei dieser Art der Selbstoptimierung verhält es sich so wie mit dem Gang zum Beauty-Doc: Niemand von den Fernsehnasen gibt es gerne zu. Dabei sind Naturtalente mit angeborener Kamerapräsenz so selten wie der Goldene Schnitt im Gesicht.

Andrej Grabowski © privat
"Welt"-Journalist Robin Alexander ist einer der wenigen, der Andrej Grabowski öffentlich dafür lobte, dass er ihm die Angst vor dem Fernsehen genommen habe (etwa hier in seiner "Nahaufnahme"). Das war 2013, als sich der bis dato nur schreibende Politik-Journalist auf diese "Kamikaze-Nummer" mit Stefan Raab einließ: Mit "Absolute Mehrheit – Meinung muss sich wieder lohnen" versuchten Raab, Brainpool und ProSieben, die junge Zielgruppe für Politik zu begeistern – und ließen den zum untelegenen Griesgramblick neigenden Robin Alexander vom damaligen Redaktionsleiter Andrej Grabowski coachen. Das Team klebte gelbe Post-It-Zettel mit draufgemalten Smileys unter die Kameras als dezenten Hinweis: Ey, lächle doch mal, Alter.

Eine besonders nachhaltige Wirkung ist bei dem inzwischen Dauer-Talkshowgast Alexander zwar nicht zu bemerken – das pampige Gesicht hat er einfach zum "Markenzeichen" erhoben. Aber gut, bei solch selbstbewusstem Auftreten stoßen auch die Mittel eines erfahrenen Medientrainers an ihre Grenzen, wie Andrej Grabowski in unserem Gespräch erklärt, ohne ein einziges Mal Äh zu sagen:

"Mancher Spleen ist natürlich ein Marketing-Case. Manches kriegen Sie einfach nicht weg." Und wenn jemand Agoraphobie oder extremes Lampenfieber habe, dann brauche er ohnehin einen Psychiater und keinen Medientrainer. Aber ansonsten lasse sich "im Prinzip" alles abgewöhnen, "selbst die Ähs".

Die Frage ist: Warum ist ihm das bei Stefan Raab nicht gelungen?

Die Zusammenarbeit mit dem Entertainer endete seinerzeit ja nicht mit der letzten Ausgabe von "Absolute Mehrheit". Als dieser im selben Jahr und zur eigenen Überraschung das Kanzler-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück an der Seite von Polit-Profis wie Anne Will und Peter Kloeppel mitmoderieren durfte, saß Grabowski in der Regie und in Raabs Ohr, musste aber "nicht viel tun", außer ihn auf die Zeit hinzuweisen. "Stefan hat sein Ding durchgezogen und durch kluge Fragetechnik aus Angela Merkel sogar eine Aussage zur Pkw-Maut herausgeholt, die es in die Bild-Zeitung schaffte. Das war schon toll."

"Stefan ist, wie er ist"

Doch richtig gecoacht habe er Raab nie. Ihn zu coachen würde sich niemand trauen, glaubt Grabowski, weil "Stefan ist, wie er ist": unfassbar ehrgeizig und lernbegeistert, aber auch extrem unkonventionell. Außerdem sei er einer der wenigen Moderatoren, die ohne Teleprompter arbeiten. "Dass einem da ein Äh dazwischen rutscht, wenn man frei spricht und nach Worten sucht, passiert halt."

Um zu erklären, wie es Andrej Grabowski passiert ist, dass er anderen beibringt, wie man den eigenen Auftritt zur großen Show macht, lohnt ein Blick in die Biografie. Erstens hatte er, 1960 in Wiesbaden als Sohn eines Schauspielers und Regisseurs geboren, Anschauungsmaterial in der eigenen Familie. Zweitens ist er oft genug selbst als Moderator in Radio und TV aufgetreten, um andere verbessern zu können.

Dabei war sein Studium in Göttingen – Germanistik und Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Politik – eigentlich auf den Gymnasiallehrer ausgerichtet. Die journalistische Arbeit nebenher u.a. für "Hessisch-Niedersächsische Zeitung" und "Bild Hannover" stimmte ihn in der Berufswahl um. Mit Staatsexamen in der Tasche zog er nach Berlin, um 1987 beim rbb-Vorläufer SFB Reporter und Moderator zu werden und nach der Wende Korrespondent im ARD-Studio Ostdeutschland. Als die Redaktion von Bayern 3 in der Post-Gottschalk-und-Jauch-Phase weiter ausblutete und um Hilfe rief, packten Grabowski und fünf, sechs andere Berliner Kollegen 1992 die Koffer.

"Bayern 3 am Mittag" wurde sieben Jahre Grabowskis Sendeheimat, in der er sich als Moderator und Chef vom Dienst austoben konnte, inkl. Reporter-Ausflügen in die Comedy-Schiene. Republikweit gingen die Radios seinerzeit in die Quatsch-Offensive. Und in München stieg Grabowski als "Peter Scholl auf Tour" in wildfremde Autos, um die Fahrer und ihre fahrbaren Untersätze "im wahrsten Sinne des Wortes auseinanderzunehmen". (Autogrammkarte aus jener Zeit gefällig? Bitte, hier.)

Von Bayern 3 zu ProSieben und N24

Mit Ende 30 dann und nach einer Vertretungsepisode als Korrespondent im ARD-Studio Buenos Aires fühlte sich der Radiomann langsam zu alt für Bayern 3, aber zu jung fürs Abklingbecken Bayern 1. Das Angebot seines früheren SFB-Kollegen Hendrik Hey, beim ProSieben-Magazin "Welt der Wunder" redaktionell mitzuwirken, kam da wie gerufen. Bei Hey schaffte sich Grabowski das TV-Handwerk drauf, blieb aber nur ein Jahr. Denn Peter Limbourg, Chefredakteur des neuen N24, konnte ihn überzeugen, als CvD zu ihm ins Parlamentsbüro zu wechseln.

Andrej Grabowski © privat
Im politischen Berlin war der 1999 unter dem Dach der ProSiebenSat.1 Media AG gestartete Nachrichtensender noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Um sich als neuer Player zu profilieren, mussten frische Formate her. Das von Limbourg präsentierte "Berlin Intern" war das erste Magazin, das Grabowski leitet. Er wird später bei N24 sogar selbst moderieren, das Wissensmagazin "Legenden der Vergangenheit". Ab 2003 war Grabowskis Hauptaufgabe indes: Formatentwicklung.

Talk kostet nicht viel Geld und bringt Quotes in der Presse, wenn Journalisten mit Politikern reden. Und so ging Grabowski als Redaktionsleiter "Formate" bei N24 in die Talk-Offensive. Claus Strunz in "Was erlauben Strunz", Hans-Hermann Tiedje und Hajo Schumacher in "Links-Rechts", Arabella Kiesbauer und Bärbel Schäfer im "Talk ohne Show" – fast jeden Tag wurde im N24-Programm getalked. Michel Friedman bekam zusätzlich zum Hard-Talk "Studio Friedman" den Talk-to-Go "Friedman schaut hin". Wie dieser mit einer Toilettenfrau in Klärchens Ballhaus über Moral spricht oder mit einem volltätowierten Rausschmeißer in einem Tanzschuppen an der Schönhauser Allee über Außenpolitik debattiert, findet Grabowski noch heute "richtig gut, das war revolutionär".

Als 2010 Torsten Rossmann, Stefan Aust und Thorsten Pollfuß N24 per Management-Buyout aus dem ProSieben-Medienkonzern herauskauften, gab Grabowski, inzwischen zum stellvertretenden Chefredakteur aufgestiegen, seinen Posten auf. Denn mit dem Deal war sein Zugang zum umfangreichen Medienarchiv gekappt, auf dem er die N24-Formate aufgebaut hatte. Wäre er bei N24 geblieben, wäre sein Talk- und Magazin-Bereich also kleiner geworden. Das fand er nachvollziehbarerweise "nicht so spannend".

Beim Sat.1-Magazin "Stars & Stories" übernahm Grabowski die Redaktionsleitung, auch bei Stefan Raabs besagten Politikjournalismusexperimenten. Doch in der Hauptsache konzentrierte er sich fortan auf das, was er nach eigener Aussage "am besten kann".

In den Medientrainings kümmert sich der bald 65-Jährige nicht nur um Moderatoren, sondern auch um Menschen, die von Journalisten interviewt werden, um Politiker und Wirtschaftslenker. Diese lernen dann bei ihm etwa, wie man während Markus Lanz‘ unendlich langer Vorstellungsrunde ein stoisch freundliches Kameragesicht aufsetzt, auch wenn das Gesagte missfällt. Auf dem Lehrplan steht aber natürlich auch: Harte Fragen parieren. Und: Respekt und Verständnis füreinander schaffen. Das ist offenbar dringend nötig.

Gerade der Respekt gegenüber Journalisten ist nach Grabowskis Beobachtung kleiner geworden. So höre er von seinen Klienten immer wieder den Satz: "Ich muss in den Medien stattfinden, aber ich halte gar nichts davon. Die Presse lügt ja nur . . ." – "das ist ein ernstes Problem". Das Misstrauen habe vielerlei Gründe. So sei die Furcht groß: Der Interviewer will mir einen reinwürgen. Auch schlechte Vorbereitung und "die Tendenz zum Meinungsjournalismus" spielten eine Rolle.

"Oh, da bin ich befangen"

Was ein Moderator auf keinen Fall tun sollte? Grabowskis Antwort kommt fix: "Parteiisch sein." Es störe ihn wahnsinnig, wenn er einem Moderator ansehe, dass dieser im Grunde von seinen Talkgästen angewidert ist und unfair frage: "Der von der SPD kriegt nur die wohlfeilen Fragen und der von der FDP nur Hohn und Spott – das ist nicht in Ordnung." Ein Talkmaster müsse zu allen fair sein.

Was ihn ebenso auf die Zinne bringt: "Viele TV- und Radio-Moderatoren karten nach und hauen den Interviewgästen noch mal schnell einen Meinungssatz hinterher, ohne dass die sich wehren können." Auch das Gesagte noch während des Interviews zu bewerten, "zu besichtigen gerne mal in der ,ZIB2‘ mit Armin Wolf", mag Grabowski nicht. Wer das in seinem Training macht, bekommt die Löffel langgezogen.

"Der von der SPD kriegt nur die wohlfeilen Fragen und der von der FDP nur Hohn und Spott – das ist nicht in Ordnung."


Nicht entlocken lassen will er sich die Namen derjenigen, die aus seiner Sicht die besten Politiker-Interviews führen, weil sie hartnäckig nachfragen und sich nicht entspannt zurücklehnen, wenn das Gegenüber ins Monologisieren kommt oder zwei sich im Streit verlieren. Generell stelle er fest, dass die Moderatoren heute "wach und hell" sind, "die lassen eine Nicht-Antwort nicht mehr so leicht durchgehen".

Nach der in dieser Kunst besonders gefeierten Marietta Slomka wurde der Begriff "geslomkat" geprägt. Sigmar Gabriel beispielsweise wird vermutlich sein Lebtag nicht vergessen, wie ihn die ZDF-Moderatorin im "heute-journal" einmal so hart rannahm, dass er den "Quatsch" am liebsten beendet hätte. War das vorbildhaft aus Grabowskis Expertensicht?

"Oh, da bin ich befangen", antwortet er, "Marietta und ich sind befreundet." Zu einer ehrerbietigen Spontananalyse lässt er sich dann aber doch hinreißen. Er lobt Slomkas metallicblaue Augen ("Wenn sie einen damit festnagelt, wird einem kalt.") und ihre "unglaubliche Kamerapräsenz". Sie sei dazu "Journalistin von Kopf bis Fuß", die die Interessenslage ihres Gegenübers durchblicke. "Für sie ist, glaube ich, ein Interview nicht einfach nur ein Kampf zwischen zwei Leuten. Er muss auch unterhaltend sein und sich gut anschauen lassen. Ich mag diesen Ansatz eigentlich sehr gerne."

Lob für Ina Müller

Er könnte jetzt noch "viele, viele andere Beispiele" nennen, die er "nicht so mag", fährt Grabowski fort. Diejenigen zum Beispiel, die beim Fragen die Augen zusammenkneifen, weil sie glauben, etwas ganz Wichtiges gefragt zu haben. Oder diejenigen, bei denen er den Nickzähler einschaltet, wenn sie immerfort den Kopf zur Seite bewegen, nicht weil sie ihre Haare so schön finden, sondern ihre Frage. Auch die hochgezogene Augenbraue: Nichts passiere zufällig. Alles Stilmittel, die bewusst eingesetzt würden.

Aber bevor er sich tiefer darüber auslassen soll, was gerne mal in den ARD-"Tagesthemen" oder bei "Maischberger" zu besichtigen ist, lenkt Grabowski geschickt mit einer Gegenfrage ab, auf die er die Antwort sofort hinterherschiebt: "Wissen Sie, welche Talkshow mir am allermeisten Spaß macht? Das ist ,Inas Nacht‘." Die gerade zum dritten Mal mit einem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete NDR-Show lebe "natürlich von Ina und ihrer unkonventionellen, norddeutschen Art, diesem Verlassen von allen Ernsthaftigkeiten". Sie könne schon auch ernsthaft, aber sie nehme sich selbst nicht so ernst. Das findet Grabowski "wichtig in diesem Business", das die Menschen so sehr verändere.

Schon der eigene Schauspielervater habe ihn bei den ersten Mikrofonübungen gewarnt: "Pass auf, das geht relativ schnell, dass du dich für das Maß aller Dinge hältst." Über die Jahre ist in dem Fernsehmann selbst die Erkenntnis gereift: "Fernsehen verdirbt den Charakter." Es sei halt ein sehr eitles Medium, weil man ständig mit sich und der eigenen Optik zu tun habe. Beim Radio sei es nicht viel anders. Manchen Radiosprechern merke er an, "wie sehr sie in ihre eigene Stimme verliebt sind".

Was Ina Müller betrifft, deren großartige rauchige und absolut radiotaugliche Stimme einfach jeder lieben muss: Ein Zögling von Medientrainer Grabowski ist sie nicht, "leider", seufzt er, "sie ist anscheinend von alleine gewachsen . . . jedenfalls ohne mein Zutun."