Vorvorigen Donnerstag in Köln. Die Konkurrenzveranstaltung zum Deutschen Fernsehpreis findet auf der richtigen Rheinseite statt, in der guten alten Stube Gürzenich. Der Pop-Literat Benjamin von Stuckrad-Barre liest mit Martin Suter aus dem gemeinsamen Buch über die Badehosen-Connection. So ist das Versprechen. Doch dann holt Stuckrad-Barre unvermittelt Tommi Schmitt, Late Night Talker von ZDFneo, auf die Bühne, und beide spielen „Markus Lanz“ nach. Die Titelmelodie erklingt, Stühle werden sortiert. Welche Gäste sitzen typischerweise bei „Lanz“? Lars Klingbeil, wirft Schmitt ein, und, ganz wichtig, ein Politik-Beobachter. Genau, pflichtet Stuckrad-Barre bei: „Na, wie heißt er noch mal, dieser Dicke von der ,Welt‘?“

Böse, böse.

Dem Namensgedächtnis hilft diese „Nahaufnahme“ gerne auf die Sprünge: Er heißt Robin Alexander und ist stellvertretender Chefredakteur bei der „Welt“.

Auch wer nicht seine Texte in der blauen Springer-Zeitung liest oder seine Bücher „Die Getriebenen“ und „Machtverfall“, kommt an Robin Alexander nicht vorbei. Allein bei „Markus Lanz“ scheint er, „einer der versiertesten politischen Kommentatoren dieses Landes“ (Markus Lanz über Robin Alexander) und Theodor-Wolff-Preisträger, öfter vorbeizuschauen als an der Pommesbude. Vor zwei Tagen erst wieder analysierte er die Endphase des Rennens ums Kanzleramt in einem munteren Ringkampf mit SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. Auch die Talk-Kolleginnen WillMaischbergerIllnerPlasberg lassen in ihren TV-Studios die Reise nach Jerusalem so oft zu Alexanders Gunsten ausgehen, dass seine Kritiker schon stänkerten, er solle sich doch bitteschön mehr um die „Welt“-Auflage im Sinkflug kümmern, als in Talkshows abzuhängen.

Was treibt diesen Mann von der Zeitung immer wieder ins Fernsehen?

Robin Alexander links © Martin Lengemann
Um das zu ergründen, ist in Robin Alexanders Terminkalender nur noch ein freier Slot am Samstag vor der Bundestagswahl zu kriegen. Ist grad viel zu tun. Den Wahlkampf begleiten und das Blatt füllen. Den Podcast „Machtwechsel“ mit Dagmar Rosenfeld einsprechen (der über den Wahltag hinaus verlängert wird) und auf PR-Tour gehen für das aktuelle Buch. Obendrein kämpfte er sich seit August auf dem hauseigenen Fernsehsender Welt als Co-Moderator durch mehrere Live-Duelle und Einzelgespräche mit Spitzenpolitikern. Denn das gehört ja auch zu seinen Aufgaben: Immer, wenn es innenpolitisch brisant wird, an der Seite von Chefmoderatorin und TV-Profi Tatjana Ohm strammstehen, Hintergründe und Analysen liefern. „Dieselbe Kugel mehrmals abfeuern“ nannte Alexander einmal diese praktische Möglichkeit, die ihm das multimediale Springer-Haus bietet.

Manchmal, räumt er nun am Telefon ein, komme er sich vor wie Gandalf in „Herr der Ringe“, der auf einer schmalen brennenden Brücke den Balrog nahen sieht und seufzt: Und ich bin schon müde. Aber auch wenn er sich grad im Endspurt zum Machtwechsel ziemlich zerzaust fühlt, satt habe er das ganze Wahlgetöse keineswegs: „Wenn man sich für Politik interessiert, sind das gerade total interessante Zeiten.“ Wer wüsste das besser als er?

Seit 20 Jahren ist Robin Alexander im politischen Beobachtungsgeschäft, seit 2008 für „Welt“ und „Welt am Sonntag“ und seit 2010 wiederum in der Spezialrolle als Berichterstatter über das Kanzleramt und die Union. Das macht ihn per se verdächtig in linken Kreisen. Ulf Poschardts Stellvertreter in der „Welt“-Chefredaktion kann sich noch so sehr um differenzierte Argumente mühen und in alle politischen Richtungen austeilen (wie eben zuletzt bei „Lanz“ gegen Laschets SPD-Bashing „auf der falschen Seite“) – das Label „knallrechts“ wird er wohl nicht mehr los. Dabei verbrachte er seine Lehrjahre beim Leib-und-Magenblatt der Genossinnen und Genossen.

Ein gutes Trainingslager

Die Zeit als Landespolitikreporter der „taz“ in Berlin sei „ein gutes Trainingslager“ für ihn gewesen, sagt Alexander, der aus Wanne-Eickel stammt und in Leipzig studierte. Anfang der 2000er Jahre heftete er sich genauso intensiv an Klaus Wowereits Fersen, wie er es später bei Angela Merkel für die „Welt“ tun sollte. Er sei heute „sehr in Frieden“ mit der „taz“ und die, glaubt er, auch mit ihm. Ob ihn die Jahre dort zum Konservativen machten? Da holt er kurz Luft (oder zieht er an einer Zigarette?) und erzählt, dass er 1997 ein Sommerpraktikum bei der „taz“ machte und gleich einen Leitartikel schreiben durfte. „Da war ich 22. Jetzt bin ich 46. Wenn ich mich seither nicht entwickelt hätte, dann müsste ich mir doch Sorgen machen, oder?“

Den vielleicht noch frivoleren Entwicklungssprung machte Robin Alexander 2013. Er war 37 und Angela Merkel auf dem Weg zur dritten Kanzlerschaft, als sich der „King of Kotelett“ bei ihm meldete.

Stefan Raab unternahm auf Pro Sieben mit „Absolute Mehrheit – Meinung muss sich wieder lohnen“ einen Versuch, auf den man heute sofort das Etikett „Public Value“ pappen würde. In diesen Hybrid aus Polit-Talk und Game-Show stieg der bis dato weitgehend nur als schreibender Journalist bekannte Robin Alexander ein, nachdem Peter Limbourg, damals Nachrichtengesicht von Sat.1, nach drei Ausgaben nicht mehr zur Verfügung stand. Die Fernsehwelt staunte, und die etablierten Zeitungskollegen warnten: Bist du wahnsinnig? Das kannst du nicht tun! Raab und Pro Sieben, das ist ein zu leichtes Fach. Allein, der Mann von der „Welt“ ließ sich nicht beirren: „Ich bin zwar ein klassischer Politik-Politik-Journalist, aber ich ließ mich trotzdem auf diese Kamikaze-Nummer ein.“

Raab und seine „niederschwellige, lustige Truppe“ (an dieser Stelle: Grüße von Robin Alexander an Andrej Grabowski!) hätten ihm „die Angst vor dem Fernsehen“ genommen. Sie klebten gelbe Post-It-Zettel mit draufgemalten Smileys unter die Kameras als dezenten Hinweis: Ey, lächle doch mal, Alter.

Erst einmal Fernsehstille

Nach dieser Raab-Episode war für den TV-Novizen erstmal wieder Fernsehstille. Sieht man einmal ab von den üblichen Besuchen im Ersatzwohnzimmer von Politik-Junkies, im „ARD-Presseclub“. Robin Alexander konnte sich also voll auf Merkels Flüchtlingspolitik konzentrieren. Die Buchfahnen zu „Die Getriebenen“ schickte sein Verlag vorab an die einschlägigen Talkshow-Redaktionen raus. Null Reaktion. Bis ein gewisser Markus Lanz, seit kurzem Deutscher Fernsehpreisträger, den Vorabdruck in der „WamS“ las. Er rief Robin Alexander an: Sie müssen sofort in die Sendung kommen. Seither sei er immer wieder in Talkshows, sagt Alexander trocken.

Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass mutmaßlich erst dieser Lanz-Move das Alexander-Buch in die Bestsellerlisten katapultierte mit nachfolgender Verfilmung im Ersten. Beim Kanzlerinkenner hört sich das so an: „Wenn Sie eine Fernsehnase sind, können Sie damit Bücher verkaufen. Bei mir war es umgekehrt: Ich bin eine Buchnase und kam ins Fernsehen.“ (Und wenn man das noch ergänzen darf: eine Buchnase, die das In-die-Kamera-Lächeln nicht verlernt hat.) Das Format „Markus Lanz“ komme ihm jedenfalls entgegen, weil es nicht der klassischen Talkshow-Dramaturgie folge, wo verschiedene Meinungen gegeneinanderstünden: „Lanz führt Einzelgespräche, und ich liefere ihm Erklärungen, Hintergründe, Details, so wie ich es in meinen ,Welt‘-Texten tue.“

Und auch Merkel, dieses für ihn „immer interessante Objekt der Berichterstattung“, kommt Robin Alexander offenbar entgegen: „Ihre sehr kleinteilige Politik, ihr Regieren im Detail, wo es auf Nuancen ankommt, entspricht meiner journalistischen Methode.“ Auch er schaue genauer hin und erzähle den Leuten jede Kleinigkeit. Das hat sich sogar bis zum dänischen Fernsehen herumgesprochen.

Robin Alexander rechts © Martin Lengemann
„Ein enttäuschender Wahlkampf ohne viel Politik – wer ist schuld daran?“, fragte der dänische Reporter unlängst auf Besuch in der Springer-Zentrale (ab Minute 23), worauf Alexander ihm 16 Jahre Angela Merkel, in denen das Land „ein bisschen von der politischen Debatte entwöhnt“ sei, als Erklärung hinhielt. Über eine mögliche Mitschuld von Journalisten und der Twitteria an dem inhaltslosen Wahlkampfschlamassel wurde indes in dem dänischen Interview nicht gesprochen. Aber gibt es sie nicht doch, Herr Alexander? Es folgt eine dreigestufte Antwort des Politik- und Twitterexperten: „Erstens: Ich sage niemals Merkel ist schuld. Schuld ist ein religiöser Begriff. Ich spreche von Verantwortung. Zweitens: Journalisten, ja. Drittens: Twitter, nein. Twitter ist egal. Twitter entfaltet immer nur Wirkung, wenn Journalisten aus Twitter zitieren. Wenn wir uns einig wären, nicht über jeden Twitter-Quatsch zu berichten, dann wäre der Quatsch irrelevant.“

Wie lässt sich an dieser Stelle elegant die Brücke bauen zum Format „Kinderquatsch mit Armin“? Egal. Lassen wir es rumpeln. Und lesen im Alexander-Kommentar in der „WamS“ nach mit dem Titel „Der infantile Wahlkampf ist ein Verfallszeichen“. Darin widmet er sich unter anderem „Late Night Berlin“ auf ProSieben – einer Sendung übrigens, die er privat nicht sieht, sofern es nicht politisch wird, und das wurde sie durch die Spezialnummer „Kinder fragen Kanzler:innen“ vorige Woche. Laschet sei „erkennbar gelinkt“ worden, urteilt Alexander und teilt gegen den Mann aus, der hinter der Sendung steckt: „Klaas Heufer-Umlauf, einer der immer zahlreicher werdenden Promis, die Agitation für ein Genre des Entertainments halten.“

Böse, böse.

Sieht da womöglich ein Alpha-Journalist seine Deutungsmacht schwinden? „Alpha-Journalist? Dieser Begriff stammt aus dem Tierreich. Das ist Sozialdarwinismus. Nicht meine Wortwahl“, antwortet Alexander. „Dass sich der politische Diskurs demokratisiert und mehr Leute mitreden, ist ärgerlich für uns klassische Gatekeeper, aber so ist es nun mal in einer Demokratie.“ Ginge es nach ihm, würde er viel öfter „großartige Journalisten“ von den Öffentlich-Rechtlichen wie Katrin Eigendorf oder Sabine Adler mitreden lassen. „Aber sie kommen nicht so massiv über die Kanäle wie diejenigen mit der Haltung und den Gags.“ Was Heufer-Umlauf und Böhmermann betrieben, bekräftigt er, sei „eigentlich kein Journalismus und auch keine klassische Satire“: „Es kippt in die Agitation, wenn sie ihre eigenen politischen Vorstellungen popularisieren.“

Wer am morgigen Sonntag jedenfalls „massiv über die Kanäle“ kommen wird, ist Robin Alexander. Zuerst bei Welt in einer Marathonsitzung unter anderen mit Stefan Aust, anschließend bei „Maybrit Illner“ im ZDF. Warum sie? „Ich gehe immer zu dem, der als erster anruft. Und sofern es mein Terminkalender zulässt“, antwortet er diplomatisch. Und nach dem Supersonntag? Kommen Robin Alexander zufolge erst „die richtig interessanten Wochen für Politik-Reporter“: „wenn die Phase der Sondierung beginnt, der Koalitionsverhandlungen, eventuell der Neuaufstellung der Union in der Opposition . . .“ Fast klingt das so, als hätte der Union-Spezi(alist) mit einem Kanzler Laschet schon abgeschlossen, oder etwa nicht? „Ich muss es doch nehmen, wie es kommt, oder?“, fragt er zurück, „ich nehme auch einen Kanzler Scholz.“

Egal, wie’s ausgeht, eins steht schon fest. In drei Tagen, am Dienstag, sitzt Robin Alexander wieder bei „Markus Lanz“. Lars Klingbeil kommt auch.