Thomas Schreiber© NDR
Herr Schreiber, vergangene Woche gingen die ESC-Tickets in den Verkauf, der deutsche Vorentscheid wurde bekannt gegeben und die ESC-Moderatoren. Aber wie kriegt man jetzt die Lena-Euphorie aus dem vergangenen Mai wieder in Gang?
 
Die Euphorie jener Nacht im Mai hatte ja ein Maß erreicht, als wäre Deutschland schuldenfrei und Fußballweltmeister zugleich. Einen solchen Grad an Identifikation und Freude kann es nur in einem solchen Moment geben – das ist ja kein Dauerzustand. Also erstmal wieder runterkommen und Anfang 2011 beginnen wir von Neuem. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Ob es uns noch einmal genau so gelingt - sagen wir mal: Diese eine Nacht von Oslo können wir nicht zurückholen, aber wir werden alles dafür tun, dass man noch lange von der Nacht in Düsseldorf sprechen kann.

Und es gab in den vergangenen Monaten keinen Moment, in dem Sie daran gezweifelt haben, ob die Entscheidung für eine Titelverteidigung durch Lena die richtige Entscheidung war?

Unsere Entscheidung für Lena hatte gute Gründe: Zuerst einmal war die generationsübergreifende Identifikation mit und Freude über Lena so groß, dass ich die Befürchtung hatte, jeder junge Künstler, den wir in einer neuen Staffel „Unser Star für...“ suchen würden, würde mit solch unrealistischen Erwartungen konfrontiert werden, die kein Mensch erfüllen kann. Und außerdem würde der Kandidat oder die Kandidatin einem permanenten Lena-Vergleichs-Check ausgesetzt sein. Sie und ich hätten doch die Schlagzeilen schon schreiben können: „Das ist nicht Lena, das ist zum Scheitern verurteilt.“ So etwas wollten wir niemandem zumuten.


Der Reiz der Titelverteidigung dürfte auch eine Rolle gespielt haben, nehme ich an...

Der Gedanke der Titelverteidigung hilft dem Eurovision Song Contest, denn bei aller europäischen Freundschaft braucht der ESC den sportlichen Wettbewerbscharakter. Und die deutsche Titelverteidigung ist etwas, woran sich andere Länder reiben können. Man könnte sogar sagen: "Alle gegen Lena" hilft  den anderen Senderkollegen auch bei der Kandidatensuche – Österreich zum Beispiel sucht gezielt jemanden, der oder die gegen Lena antreten wird, weil es eben eine bekannte Gegnerin zu schlagen gilt. Meine Hoffnung und Erwartung ist, dass diese Personalisierung dem Song Contest insgesamt hilft.

Tut man Lena denn einen Gefallen damit?

Ohja, das ist der dritte Punkt. Ich glaube, dass es uns 2011 gelingen wird, Lenas Song für Deutschland schon vor dem ESC-Finale im europäischen Ausland bekannt zu machen - eben weil Lena aus Oslo bekannt ist, weil „Satellite“ in einem Dutzend Ländern in den Top Ten war und weil die Neugierde groß sein wird, mit welchem Lied die Titelverteidigerin antreten wird. Das heißt nicht automatisch, dass die europäischen Fernsehzuschauer für Lenas neuen Song abstimmen werden. Aber es hilft uns erst einmal, Aufmerksamkeit und Neugierde zu wecken. Das ist gut für Lena, für die Sender in Europa und für den Eurovision Song Contest.

In den letzten 50 Jahren ESC ist noch kein Gewinner wieder angetreten im nächsten Jahr. Hatte das nicht vielleicht einen guten Grund?

Es gab mal etwas ähnliches, wenn sie auch keine Gewinnerin des Eurovision Song Contests war: 1970/71 ist Katja Ebstein zweimal hintereinander erfolgreich angetreten -  als Drittplatzierte nicht als Gewinnerin. Sehr interessant aber: 1971 hat der Hessische Rundfunk den deutschen Vorentscheid veranstaltet und Katja Ebstein war gesetzt - es ging damals darum, aus sechs Songs den Titel zu bestimmen, mit dem sie Deutschland vertreten sollte.