Gibt es eine Möglichkeit, die beste Serie zu bestimmen? Eigentlich bin ich der Meinung, dass das nicht geht. Warum, das habe ich ja bereits mehrfach in Kürze und in Ausführlichkeit hier in dieser Kolumne beschrieben: Neben rein objektiven Kriterien spielen auch subjektive Aspekte mit hinein, wenn man eine Serie bewertet. Trotzdem stelle ich heute ein Buch vor, in dem es um nichts weniger geht, als die 100 besten amerikanischen Serien zu küren: "TV (The Book) - Two Experts Pick the Greatest American Shows of All Time".  

Buch © Ulrike Klode

Die beiden Experten, die sich diese Mammutaufgabe vorgenommen haben, sind die TV-Kritiker Alan Sepinwall und Matt Zoller Seitz. Beide beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit TV-Serien, haben am Anfang ihrer Kritiker-Karriere in derselben Zeitungsredaktion gearbeitet. Und diskutieren, obwohl sie nun schon seit vielen Jahren in unterschiedlichen Redaktionen arbeiten - Alan Sepinwall für "Hitfix.com" und Matt Zoller Seitz unter anderem für das "New York Magazine" und dessen Online-Ableger "Vulture.com" -, noch immer häufig über Serien, meist privat, aber hin und wieder auch im "Vulture TV Podcast"

Da ich die Texte der beiden gerne lese und die Podcasts der beiden ebenso gerne höre, habe ich mir das Buch natürlich gekauft, obwohl ... siehe oben. Und ich mag die Art, wie sich die Autoren dem Konzept der besten Serien nähern: Sie machen klar, dass es da sehr viel Diskussionspotenzial gibt und dass es nur schwer möglich ist, eine objektiv beste Serie zu bestimmen. Weshalb sie im Vorwort schreiben: "'TV (The Book)' is Matt and Alan's canon at this particular moment; no more, no less. We don't want, much less expect, for it to be treated as the canon for all time (not that it would be) or as an attempt to shut down discussion rather than open it. (...) This is our canon; we look forward to yours."

Doch selbst ein persönliches Ranking muss, wenn es veröffentlicht wird, nachvollziehbar sein können. Oft wird das durch Begründungen für jeden einzelnen Punkt auf der Liste aufgefangen. Alan Sepinwall und Matt Zoller Seitz aber haben sich etwas anderes überlegt - sie haben ein Punktesystem entwickelt, um die Vergleichbarkeit ihrer Bewertungen transparent zu machen. Es gibt sechs Kategorien, in denen jeder je zehn Punkte vergeben konnte, eine Serie kann also maximal 120 Punkte erreichen. (Spoiler: Das hat keine geschafft.) 

Die Kategorien lauten:
Innovation - wurde mit der Serie etwas ausprobiert, das zur damaligen Zeit neu war?
Einfluss - wie einflussreich war die Serie auf das Medium Fernsehen oder auf die Popkultur im allgemeinen?
Beständigkeit - war die Qualität durchgehend oder hat sie von Folge zu Folge beziehungsweise Staffel zu Staffel geschwankt?
Darbietung - wie gut war die Schauspielerleistung und wie gut waren die Charaktere geschrieben?
Storytelling - wie gut war das Drehbuch jenseits der Charaktere? Wie gut die Dramaturgie, die Tonalität? Die Regieleistung? Der Soundtrack? Das Produktionsdesign? Etc.
Qualität auf dem Höhepunkt - wie gut war die Serie zu ihrer besten Zeit? 

Es gab ein paar Einschränkungen: Nur amerikanische Serien wurden aufgenommen (Begründung: nicht, weil sie behaupten, dass das per se die besten seien, sondern weil sie sich international nicht so gut auskennen), außerdem nur abgeschlossene Serien. Ein-Staffel-Serien bekamen einen Punktabzug (Begründung: eine großartige Staffel schaffen viele Serien, erst die Folgestaffeln zeigen, wie gut eine Serie wirklich ist).

Als ich las, dass sich Alan Sepinwall und Matt Zoller Seitz nur mit abgeschlossenen Serien für ihre 100er Liste beschäftigt haben, war ich etwas enttäuscht. Doch offenbar hatten sie da eine gewisse Enttäuschung antizipiert und dazu ein Extra-Kapitel geschrieben: "Works in Progress". Eine Liste sehr guter Serien, die noch nicht abgeschlossen sind. Und das ist nicht das einzige Extra-Kapitel - daneben behandeln sie auch Mini-Serien, Fernsehfilme und Serien, die es zwar nicht in die Bestenliste geschafft haben, aber aus einem anderen Grund besonders erwähnenswert sind. 

Was mich beim ersten Aufschlagen des Buches sofort gefesselt hat: Die Punktevergabe für alle 100 Serien ist im Anhang des Buches abgedruckt, ich habe viel Zeit damit verbracht, die Bewertungen der einzelnen Serien zu vergleichen. Sehr viel Zeit. Zusammengenommen mehrere Stunden, glaube ich. Und erst nachdem ich die Tabelle ausführlichst studiert hatte, habe ich den Rest des Buches gelesen. Es ist einfach nur herrlich.

Zu jeder Serie gibt es einen Text, lange zu den Serien ganz oben auf der Liste, kürzere zu den hinteren. Und allesamt sehr lesenswert. Obwohl, "allesamt" kann ich natürlich nicht beurteilen, denn ich habe längst noch nicht alle Texte gelesen. Aber die, die ich gelesen habe, waren - wie zu erwarten - richtig gut und mit Hintergrundwissen angereichert. Die beiden schöpfen eben aus einem reichhaltigen Guck-Schatz und haben gleichzeitig in den vielen, vielen Jahren ihrer Tätigkeit als TV-Kritiker mit sehr vielen Serien-Machern gesprochen oder Interviews geführt.


Die beiden Autoren haben auch eine Diskussion über die fünf besten Serien abgedruckt, die sie geführt haben, nachdem sie festgestellt hatten, dass in ihrer Liste tatsächlich fünf Serien mit derselben Punktzahl an der Spitze stehen: "The Sopranos", "The Wire, "Breaking Bad", "The Simpsons" und - ja, wirklich - "Cheers". (Großartig, oder?!) Es war nicht leicht für die beiden, sich auf eine festzulegen. Sie einigten sich schließlich übrigens auf "The Simpsons" - weswegen ich Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie als Bebilderung für meinen Text gewählt habe.

Und noch zwei Gucktipps und ein Hörtipp zum Schluss:

Vom Stand-Up-Programm zur Serie: In der Dramedy "One Mississippi" geht es um eine Frau, die gerade eine beidseitige Mastektomie hinter sich hat und kurz darauf in den Ort zurückkehren muss, in dem sie aufgewachsen ist, um ihre Mutter zu beerdigen. Zu Lachen gibt es zwar sehr, sehr wenig - obwohl sie unter Comedy läuft -, aber die Serie strahlt eine ungewöhnliche Wärme aus. Die Serie von Tig Notaro (Erfinderin und Hauptdarstellerin) gibt's seit Anfang September bei Amazon Prime Video, ab Mitte Oktober auch in deutscher Synchronisation.

Zombie-Hunger: Ab 15. Oktober wiederholt RTL II die ersten fünf Staffeln von "The Walking Dead". Wer die Staffeln 1 bis 5 schon kennt, findet Staffel 6 ab 14. Oktober bei Amazon Prime Video. Und im Free-TV läuft Staffel 6 dann ab 5. November bei RTL II. 

Im Podcast "Seriendialoge" dreht es sich diese Woche um "Mr. Robot" und die Darstellung von IT-Sicherheit und Hackern in Serien. Ich habe mit einem Mitglied des "Chaos Computer Clubs" darüber gesprochen, warum so viele Menschen weltweit begeistert davon sind, wie "Mr. Robot" das Hacker-Dasein zeigt.

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Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken äh lesen, über das ich schreibe?

"TV (The Book) - Two Experts Pick the Greatest American Shows of All Time" von Alan Sepinwall und Matt Zoller Seitz: Taschenbuch:432 Seiten - Verlag: Grand Central Publishing - ISBN-10: 1455588199 - ISBN-13: 978-1455588190. 

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