Leidenschaft erzeugt Leidenschaft (Goethe)

Ich war letzten Samstag bei Apassionata. Hätte man mir noch wenige Tage davor gesagt, ich würde eine Pferdeshow in der Olympiahalle besuchen, wäre der rechte Zeigefinger trefflich an die Schläfe gewandert. Nun saß ich da und hatte während der Vorführung mehrfach Wasser in den Augen. Warum? Leidenschaft. Die Leidenschaft, die man Tieren und Menschen anmerkte, die Hingabe, das Beste geben zu wollen und von der Begeisterung des Publikums belohnt zu werden. Allerhöchste Kunst in diesem Metier, größte Anstrengungen spielerisch erscheinen zu lassen und dem Gast das Gefühl zu geben, dies nur für ihn zu tun. Es kann niemanden verwundern, dass ich dabei auch an unsere Branche gedacht habe...

Lahmer Zirkus

Mit großer Regelmäßigkeit wird Privatfernsehen als Zirkus bezeichnet. Und die Manager sind die Direktoren dieses Zirkus. Und da ist was dran: Mit Zahlen und Fakten ist dem Thema nicht immer beizukommen, grade in der Entwicklung von Stoffen und Sendern nutzen einem die Scheinrationalisierungen wenig. Gefühl, Leidenschaft, der Wille zum Großen, zum beachtet werden, ja sogar die Lust Epochales zu schaffen, sollte Fernsehmacher antreiben. Diese „weichen“ Werte erst schaffen Zahlen, über die man sich freuen kann. Und es ist täglich neuer Aufwand, dies zu hinterfragen und kritisch zu prüfen, wie und ob diese Leidenschaft noch täglich in unser Geschäft einfließt.

Nach 25 Jahren Privat-TV in Deutschland kann man mal zurückschauen. Georg Kofler sagte letzte Woche in einem Interview mit DWDL, die Quote sei die Droge gewesen, nicht die Bilanz. Aber es war mehr. Als jemand, der immerhin auch schon im 19. Jahr dem großen Glück nachgehen darf, Fernsehen in irgendeiner Form mitzugestalten, kann ich ohne großen Widerspruch behaupten, dass unsere Branche anfangs doch den ein oder anderen Glücksritter anzog. Da war dann viel Leidenschaft, und wenig Können. Aber die großen Zirkusdirektoren der 90er, Thoma und Kofler, aber auch Kogel und Andorfer, trieben Ihre Leute inhaltlich an. Sender sollten geschaffen werden, die unverwechselbar waren. Marc Conrad sagte, bei RTL brauche man keine Uhr mehr, am Programm erkenne man die Uhrzeit. Erkennbare Inhalte, die sich klar voneinander abgrenzen, Gesichter, die für Sender stehen, Geschichten (egal, welchen „Niveaus“), die so nur bei dem Sender X oder Y stattfinden. Es ist überliefert, dass die ersten 100 Folgen „Arabella Kiesbauer“ in der Löschtrommel verschwanden, weil nicht sendbar.

Es ist nicht so, dass damals die Sender im Geld schwammen; das Gegenteil war der Fall. Aber es wurde gefeilt, geschnitzt, gehobelt. Immer auch ein bisschen dilettiert. Es wurde über Grundsätzliches gestritten. In Redaktionen war der Zusammenhang von Inhalt, Quote und Einnahmen noch nahezu unbekannt. Chefredakteure und Programmdirektoren waren die Machtzentren, hinter denen sich Controller und Werbezeitenvermarkter (oft zu meinem eigenen Ärger) anzustellen hatten. Jahrelang wurden Dinge getan, die so noch nie jemand getan hatte und für die man draußen in den Wohnzimmern Begeisterung wecken musste.

Der Zweifel war bei allem eher die Seltenheit. Der Wille, der Mut, Dinge zu schaffen, waren das Credo und die unbedingte Voraussetzung für Erfolg. Natürlich floss das Geld rein, es gab nur den Weg nach oben; das hat sich längst geändert. Aber es hat sich zu viel geändert. Es gibt zu viel Bestreben, aus Privatfernsehen ein einfaches Wirtschaftsgut zu machen. Es gibt zu viele „Manager“, die sich auf Zahlen zurückziehen. Denen egal ist, was sie senden. Die Rendite denken , fühlen und handeln. Die morgen dann eben für Konzerne arbeiten, die Erfrischungsgetränke herstellen.

Unsere Dienstleistung hat keinen Preis. Wir investieren Milliarden für etwas, was der Endverbraucher umsonst ins Wohnzimmer bekommt. Er fühlt sich also per se erstmal nicht gebunden an uns. Wir sind ja eh immer da. Trotzdem liebt er uns, auch wenn er es a) abstreitet, b) nicht weiß und c) das Gewohnte erst vermisst wird, wenn es weg ist.
Wir haben den Zuschauern gegenüber eine große Verantwortung. Denn da er uns nicht sonderlich schätzt oder es nicht will, müssen wir täglich Angebote formulieren, die ihn wieder neu begeistern oder zumindest nicht verschrecken oder vertreiben.

Unverzichtbar

Deutschland hat sich auch durch das Privatfernsehen stark verändert. Und in fast allen Punkten zum Besseren. Das Privatfernsehen hat sich auch stark verändert. Doch leider kann ich hier nicht das Gleiche sagen.

Aber allen Unkenrufen zu Trotz haben wir eine große und lange Zukunft vor uns. Fernsehen, Privatfernsehen im Besonderen, ist trotz vielfacher Kritik unverzichtbarer denn je. Wir geben mit Unterhaltung Führung und Leitbild, sind immer „state of the art“ und tägliches Gesprächsthema. Womit, das bestimmen wir selbst.

Die Rückbesinnung darauf, dass wir nicht Fernsehen machen, um Geld zu verdienen, sondern gutes Fernsehen machen wollen, das so viele Zuschauer wie möglich bindet, viel Gesprächsstoff für die ganze Gesellschaft liefert und Relevanz in der Unterhaltung bietet, um dann viel Geld zu verdienen.

Mut und Glauben

„Du glaubst doch nicht, dass ich mich mit alten dicken Männern sonntagmorgens in ein Hotel setze und über Fußball quatsche“. 1995 glaubte ich genau das. Die Sendung ist heute Kult. Ich erinnere mich gerne an die Auseinandersetzungen bei Kabel 1, welcher Film denn das Label „Die besten Filme aller Zeiten“ verdient habe. Die blaue Lagune? Die Mädchen meinten ja, die Jungs nein. Klingt albern, war aber Leidenschaft.

Sollte ProSieben die Popstars von RTL II wiederbeleben? Als großes Leitmedium der jungen Generation war man doch ein wenig spitzfingrig ob dieser Entscheidung. Nach einem Bereichsleitermeeting zu Hause beim damaligen Geschäftsführer und drei Sendungen Altmaterial später, haben wir es dann entschieden: ja! Die richtige Entscheidung. Und auch hier nicht, weil es Quote versprach, sondern weil es der richtige Inhalt zum richtigen Zeitpunkt für den richtigen Sender war. Und dann natürlich viele Zuschauer fand.

Viele, die das lesen, werden genau solche oder ähnliche Geschichten haben. Daran sollen wir uns erinnern. Denn ohne diese Leidenschaft, den Mut und den Glauben an das eigene Tun können wir unseren Job nicht machen.

Am Samstag bin ich in Berlin beim Abba-Musical.
Wenn mir das einer vor ein paar Wochen... . Ich weine schon jetzt!

Ahoi!
Kai Blasberg

Grübelt, denkt, zweifelt, spinnt, träumt und visioniert.
Aber bitte mit Mut, Zuversicht und Lautstärke.
Tanzt, tanzt, vor allem aus der Reihe.

Diese Woche in Dur...

  • Corellis Mandoline auf Tele 5 (schöner Film)
  • DuMont kauft Montgomery-Zeitungen (Journalismus gewinnt)
  • Zapp im NDR (es gibt zu wenig Medienerziehung)

...und in Moll:

  • Franz Josef Wagner zum Freitod von Adolf Merckle (geschmacklos und wirr)
  • Mitten im Leben bei RTL am 6.1. (total draußen aus dem Leben würd ich sagen)
  • „Brennpunkt“ bei der ARD zum Wetter (aber keiner zum Gaza-Krieg, weil „Bambi“ kommt)