Die Offenbarungen des Johannes B. Kerner
"Wer die bessere Einsicht hat, darf sich nicht scheuen, unpopulär zu werden", ist einer von vielen berühmten Aussprüchen Winston Churchills, des großen Staatsmanns und Literaturnobelpreisträgers. Churchill starb 1965, zu einer Zeit, in der im ZDF am späten Abend eines Werktages "Das Wirtschaftsinterview" ausgestrahlt wurde, oder auch mal gar nichts mehr. Heute heißt der Sendeplatz Late Night, und von Dienstag bis Freitag gehört er Johannes Baptist Kerner.
Winston Churchill ruht zu dieser Zeit auf dem Saint Martin's Churchyard bei Woodstock. Obwohl der britische Zitatgeber nie in Zusammenhang mit angewandter Medienkritik und öffentlich-rechtlicher Fernsehunterhaltung zu bringen sein wird, obwohl Johannes B. Kerner bei seinem Todestag gerade 65 Tage alt war, beleuchtet sein Aphorismus ebenjenes Dilemma, in dem sich das Schaffen des Sportmoderators Kerner seit jehher befindet.
Stellen wir Herrn Kerner in seiner Sprache vor: Er ist ein blonder Linkshänder mit Gefühl und Humor, verheiratet mit der Ex-Hockey- Nationalspielerin Britta Becker und lebt in Hamburg. Die beiden haben eine Tochter, Emily Blomma, und einen Sohn, Nik David. Er hat eine steile Karriere hingelegt: Vom Abitur zum BWL-Studium ("weil mein Vater das gerne wollte"), von einem Praktikum beim Sender Freies Berlin zum Sportreporter für dessen Formate "Sport 3" und "SFB-Sportreport".
Zwischen 1992 und 1996 präsentierte er "Ran", unter der Ägide seines heutigen Konkurrenten Reinhold Beckmann. Dass aus dem Sportjournalistenpool des Privatsenders einmal die großen Interview-Moderatoren des öffentlich-rechtlichen Fernsehens würden, hätten damals wenige prognostiziert. Erst recht nicht, als man Kerner in "Kerner" jeden Werktagnachmittag, in der Boomphase eines Fernsehgenres, das vom Begaffen wüster Sozialschäden lebte, beim Betreiben eines Sports zusehen durfte, den manche damals als "Confrontainment" bezeichneten.
"Der Versuch, witzig zu sein, hat uns in der Anfangsphase ernorm viele Zuschauer gekostet. Aber ich stehle mich nicht aus der Verantwortung. Ich habe es ja mitgemacht", bilanzierte Kerner 1999 im "Hörzu"-Interview seinen missglückten Start beim ZDF, das auf der Suche nach einem beständigen Quotenbringer bei ihm gelandet war und "JBK" konzipierte, eine reine Talkshow, tagesaktuell, persönlich, aufwendig recherchiert, mit einem gut gebrieften, freundlichen, informierten Moderator, der viel, aber nichts Wichtiges von seinen Gästen wissen will, der nett, freundlich fragt, wie es denn den Kindern geht, ein Konzept Schwiegermutter.
Durchgehend an der Grenze zur Privatsphäre drängelnd, dabei gut-gelauntes Honigkuchenpferd und, manche sagen manchmal, andere immer, jedenfalls: Zu oft anbiederisch, unstet, Dialogharmonie herbeihudelnd. Das Konzept Sportmoderator, wiedergebend, was auf dem Rasen passiert, ein stetiges Abarbeiten der Mannschaftsaufstellung (Schauspieler in ZDF-Serien, Panel-Existenzen, Blick-in-die-Welt-Figuren). Das Konzept Johannes. Einem Junior-Reporter erklärte er es im Ausschlussverfahren: "Ich bin ja nicht irgendwie so ein Witzemann wie Harald Schmidt oder so."
Auch wenn es bei seiner Show erst einmal Sendeplätze tauschen und das Profil zu changieren galt, stand mit dem Konzept Johannes auch das kommunikative Gerüst für eine Institutionalisierung der Sendung. Es entzog sich jedem Feuilleton, entgrenzte den Plauderbegriff nachhaltig. Tragendes Element neben den stromlinienförmigen Gesprächen, die Kerner seinen Gästen anbietet, ist seine ungewöhnlich große Bereitschaft, der Werbung für Tonträger, Buchveröffentlichungen, oder, und das auffallend oft, Fernsehfilmen Raum zu gewähren.
Es ist ein Baustein des Fragekonzepts, gleichzeitig ein Instrument, mit dessen Hilfe Kerner nachhaltig das Privatleben seiner Gäste sezieren darf. Dabei bleibt er in Sportmoderatorenperspektive, wirft Floskeln, bildet Stammbäume ab, poliert Familienfotos auf. Seine Fragen darf man an denen eines Fragebogens in der Schülerzeitung messen, die Positionierung seiner Gäste an Einträgen in ein Poesiealbum. Dass Sprüche, Sticker und Blümchen nicht immer über die Zeit reichen, hat ihn schon öfter in Probleme gebracht.
Ein kurzer Blick - naheliegendst - auf sein letztes Interview am vergangenen Mittwochabend. Kerner hat Uwe Ochsenknecht eine ganze Weile zu seiner Haltung zur Ehe befragt. Ein kleiner Kniff, und Ochsenknecht durchbricht seine Milchmädchenrechnung. Ochsenknecht fragt plötzlich: "Bei ihnen ist es auch schwierig, hm?" Kerner: "Bei mir?" Ochsenknecht: "Ja, bei Ihnen ist es auch schwierig." Kerner verblüfft: "Bei mir ist alles ok." Kurz darauf - Kerner: "Als Mann kann man ja mit 50 noch eine Familie gründen." Ochsenknecht: "Als Frau nicht?" Kerner: "Nicht mehr so einfach."
Dass ein Moderator schon beim bloßen Spiegeln seiner Rhetorik, beim Einfordern eines minimalen Standpunkts scheitert, ist ein Offenbarungseid. Es wirft die Frage auf, inwiefern in der Personalplanung des ZDF, selbst bei einer von den Öffentlich-Rechtlichen eingeforderten "aufgabenorientierten wirtschaftlichen Betätigung" ein Sendeauftrag wahrgenommen wird. Die Johannes B. Kerner-Show bewegt sich im Wesentlichen zwischen der Promotion eigener und fremder Druck-, Musik- und Filmerzeugnisse - dem Abarbeiten eines Personenkreises, der sich nach bloßer Zuschauergunst richtet, und der vollen, nicht der aufgabenorientierten, Ausrichtung auf die Quote.
Die ist bei Kerner gleichbleibend gut. Das sorgt für Kontinuität - aber Kontinutiät, Langeweile und ein Degeneration der Diskussionskultur sind keine öffentlich-rechtlichen Sendeaufträge. "Johannes B. Kerner ist als Moderator überbezahlt" schreibt Martin Sonneborn in jedem zweiten "Titanic"-Editorial. Es sollte heißen: Johannes B. Kerner ist als Moderator überfordert.
Winston Churchill hätte, als Steuermann, Lenker und Lateinkenner, wohl keine Probleme gehabt, den Begriff des Moderierens zu definieren. Der lateinische Begriff moderare meint in Zweit- und Drittbedeutung steuern und lenken. Johannes B. Kerner hat ihn missverstanden: Wer wöchentlich etwa 6 Stunden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen sein darf und damit schlicht und ergreifend Macht bekommt, sollte in diesem Falle zumindest eins sein: Ein guter Moderator.
Und der sollte einen Standpunkt einnehmen können, pointieren können, einen Riecher haben. Er würde nicht nach Erfurt fahren und einen 9-jährigen, der gerade aus einem Massaker kommt, vor der Kamera bloßstellen. Sich nicht von Robert Hoyzer in die Tasche stecken lassen. Er wäre, bei 6 Stunden, ein guter Moderator. Und würde dem oben angesprochenen Junior-Reporter beim besten Willen nicht solche Sätze sagen, wie Kerner: "Hier zum Studio fahre ich total gerne, weil ich weiß, da ist meine Sendung, da werde ich geschminkt."
Oder war das mal ein Standpunkt?