Wenn die schlanke, kühle Blonde kurz vor Zehn über ihre randlose Lesebrille hinweg auf den Fernsehzuschauer peilt, sind die wichtigsten Fälle des Sonntagabends meistens aufgeklärt. Der Mörder steht fest, sitzt in Untersuchungshaft oder ist zur Strecke gebracht, der Tatort geräumt. Zu diesem Zeitpunkt beginnt eine neue Woche: Im cremefarbenem Kostüm begrüßt uns die bundesdeutsche Realität in Person von Sabine Christiansen, rechts und links von sich formt sie Woche für Woche einen blassen Halbkreis von Politikern, Funktionären und Experten. Dann zieht die dichte, dunkle Wolke auf, aus der es Phrasen regnet.
Als Paradeformat der Berliner Republik transportiert "Christiansen" Woche für Woche die Komplexität eines sachpolitischen Gefüges, das der parlamentarischen Auseinandersetzung und dem direkten Rededuell keine Bedeutung mehr beimißt und alle wichtigen Entscheidungen in Expertengremien und Kommissionen outsourct. In der Folge ist eine Sendung, die den Selbstanspruch der Meinungsbildung erhebt, nicht mehr als ein Schaulaufen der Sprecher: So kommt es, dass als einer der wenigen Höhepunkte eines knappen Jahrzehnts so etwas in Erinnerung bleibt wie eine Schuhsohle mit der Aufschrift "18 Prozent".
Sabine Christiansen selbst ist hier selten mehr als eine Stichwortgeberin. Die Kritik an einem Moderationskonzept, das viel Freiraum offen lässt für die weitgeschweiften, auskalkulierten Redebeiträge ihrer Gäste, hat sich verfestigt und bestätigt. Sie gipfelt in einer Ablehnung Christiansens als die personifizierte Stagnation der politischen Klasse und ihres Umfeldes. Es scheint, als hätte sich die Journalistin selbst ihren Dauergästen angenähert.
Aus der dynamischen Moderatorin der Tagesthemen ist die Grande Dame eines meinungsmachenden Konservatismus geworden: Akzentfrei formuliert sich hier eine "präparierte Realität" (Walter van Rossum). Die Gastgeberin selbst gefällt sich in der Rolle derer, die die Texte dieser Tragikomödie kennt, scheinbar vor- und nachher freundlich redigiert, sie aber nie in Frage stellt. Es bleibt der Eindruck, dass der Aufbau und die Pflege eines scheinbar meinungsmachenden Zirkels für sie höhere Priorität besitzt als die Suche nach überraschenden Gesprächsmomenten.
Umso verblüffender stellt sich da Sabine Christiansens nächster "Zehnjahresplan" dar, der nun sehr plötzlich öffentlich geworden ist. Er hat viel mit einem französischen Jeansfabrikanten zu tun; für Norbert Medus will sie ihren Lebensmittelpunkt nach Paris verlegen, und sie wird ihren national bedeutsamen Sendeplatz gegen einen internationalen, eher unauffälligen tauschen. Für den multinationalen Wirtschaftssender CNBC wird sie weitere Folgen von "Global Players" moderieren, einer gediegenen Plauderstunde mit Gästen wie dem Vizepräsidenten der EU-Kommission oder dem OPEC-Vorsitzenden. "Christiansen", die Institution, geräumt, ein leises "Adieu." Ohne Abschiedsschmerz bedankt sich das Feuilleton dafür, wohl auch deshalb, weil der neue Arbeitstitel der Sendung Spektakuläres birgt: "Jauch", so dürfte er lauten.
"Jauch", das lässt aufjubeln. Ein Mann, der längst schon im Schloss Bellevue säße, stimmte das Fernsehpublikum per SMS-Poll über sein Staatsoberhaupt ab. Der wiederholte Titelträger als "beliebtester Deutscher". Der elitär arbeitet, nie elitär wirkt. Die Umbesetzung des Gastgebers könnte einen Richtungswechsel für die Sendung bedeuten. Denn Günther Jauch beherrscht es, ein Frage-Antwort-Spiel ("Wer wird Millionär") zur Begegnung werden zu lassen, und nur das ist ein Mittel gegen die Macht der Masken, mit der jeder Studiogast die Selbstglättung übt. Günther Jauch kultiviert eine Respektlosigkeit gegenüber jeder Fernsehformalität. Darin liegt die Hoffnung, dass sich am Sonntagabend einiges ändern kann, eigentlich liegt darin sogar die Gewissheit.
Denn das Profil eines Moderators, der die ersehnten Überraschungen spielerisch erzeugen kann, spricht Punkt für Punkt für Jauch. Zwischen Stern TV, der Sportmoderation, dem Boulevard und der politischen Bühne liegt zwar viel: Die Komplexität der Materie, ein Mangel an selbstlaufenden Eventmechanismen. Viel wichtiger aber ist die Fähigkeit, ein Gespräch zu lenken, ein offenes Wort zu erzaubern, es zu erschleichen, es wurde und es wird schmerzlich vermisst. Dann kann jemand, der 76 Minuten lang über ein zusammengebrochenes Fußballtor spricht und dafür Fernsehpreise erntet, etwas derart Grässliches wie eine Gesundheitsreform zum Thriller machen. Ich bin gespannt, wer Ulla Schmidt wirklich ist.