Herr Spotnitz, die Idee zur Serie wanderte über Jahre von einem Sender zum anderen. Erst Amazon gab dann grünes Licht. Was hat Amazon in der Serie gesehen, was Syfy oder die BBC nicht gesehen haben?

Ich kann nur darüber spekulieren, warum es letztlich so lange gedauert hat, die Serie zu realisieren. Man kann schließlich nicht in die Köpfe mancher Entscheidungsträger schauen. Aber zwei Faktoren haben sicherlich eine Hürde dargestellt: Die Kosten einer solch aufwändigen Serienproduktion - die sich nicht viele Sender leisten können und noch weniger wollen - und natürlich das Thema der Serie. Es ist riskant diese Geschichte zu erzählen und könnte die Gefühle einer Menge Menschen verletzen. Amazon hatte letztlich nicht nur das Geld, um die Produktion zu stemmen sondern auch die Ambitionen, Serien zu produzieren, die herausfordern. Es gibt heute so viel Fernsehen wie nie zuvor. Etwas zu produzieren, was herausragt und bemerkt wird, ist nicht einfach. Sie haben in „The Man in the High Castle“ das Potential gesehen, genau das zu erreichen.

Warum hat es Ihrer Meinung nach mehr als 50 Jahre gedauert, die Buchvorlage von Philip. K. Dick zu verfilmen?

Nun, das Buch ist - so wie es geschrieben wurde - zunächst einmal kein naheliegender Stoff für eine TV-Adaption. Ich musste beispielsweise einige Veränderungen vornehmen, von denen ich hoffe, dass sie den Gedanken und Ideen von Philip K. Dick gerecht werden. Wir mussten die Handlung ausgestalten und einige Charaktere ergänzen. Wir haben einige Beziehungen der Charaktere zueinander in der Serie verändert, um ihre Entstehung zu erzählen. Diesen Aufwand hat man vermutlich lange gescheut. Hätte man das schon früher mal so sorgfältig gemacht, wäre es vermutlich immer noch an den Kosten gescheitert.

Es wäre undenkbar gewesen, dass diese Serie aus Deutschland kommt. Und das hat nichts mit den Kosten zu tun.

Ja, wobei das Thema auch anderswo sehr vorsichtig angefasst. Man muss auch sehr verantwortungsvoll damit umgehen. Wir haben die Nationalsozialisten so oft in Filmen als Bösewichte erlebt, dass wir sie fast gar nicht mehr sehen - wenn Sie verstehen was ich meine. Die Nazis wurden zu oft zu Abziehbildern des Bösen. Nazi bedeutet böse - damit endete dann auch schon die Charakterzeichnung in vielen Geschichten.

Und Sie wollten weiter gehen?

Ich wollte - und das ist jetzt sicher kontrovers, es so zu formulieren - zeigen, dass nicht jeder Nazi ein verrückter Fanatiker war. Viele Nazis waren gute Väter, liebende Ehemänner und wollten für ihre Familie nur das Beste - sie standen lediglich im Dienste einer bösartigen Ideologie. Mir geht es in „The Man in the High Castle“ darum zu erzählen, wie ein eigentlich netter Mensch letztendlich zu grausamen Dingen fähig wird.

Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, dass man damit Gefahr laufen kann, manchen Charakter sympathischer wirken zu lassen als gewünscht?

Sie haben sich in Deutschland mit diesem Thema weitaus häufiger und intensiver beschäftigt als viele Amerikaner. Denen wollte ich die Nazis näherbringen; sie als Menschen präsentieren und nicht als Abziehbilder des Bösen. Das Böse kommt nicht aus dem Nichts. Nur dann können wir verstehen wie aus dem netten Nachbarn ein grausamer Mensch werden konnte und kann. Und das ist für mich noch viel aufwühlender. Weil Menschen das nicht glauben wollen.

Was?

Dass jeder gute Mensch auch böse Taten vollbringen kann. Auch Sie und ich. Es ist viel einfacher zu glauben, dass die Bösen von Grund auf böse sind und ihnen das Mensch sein abzusprechen.

Für amerikanische Zuschauer ist die Serie insofern ja auch ein Schock, weil Amerika mal nicht gewonnen hat. Und auch nicht binnen weniger Folgen zum Gewinner wird.

Ein sehr interessanter Punkt. Einige Reaktionen in den USA beinhalteten tatsächlich eine gewisse Empörung darüber, dass das doch niemals passieren könnte. Dass die USA mal verliert. „Wir sind doch die mit den Waffen. Wir hätten niemals zugelassen, dass die Nazis unser Land besetzen.“ Ich glaube hinter diesen Aussagen steckt die Angst vor Zufälligkeit. Das besonders den Amerikanern unangenehme Gefühl, etwas nicht unter Kontrolle haben zu können.

Was kann man aus der Serie mitnehmen? Gibt es eine Botschaft?

Ich glaube nicht, dass die Serie auf irgendeine Art und Weise Antworten geben kann auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Dazu bin ich nicht smart genug. Aber ich denke sie regt an sich die richtigen Fragen zu stellen: Wofür steht man eigentlich? Welche Werte sind es wert, verteidigt zu werden? Es kann doch nicht nur darum gehen Geld zu verdienen, sicher zu sein und ein langes Leben zu leben. Ich habe das Gefühl, dass das für einen Großteil der westlichen Welt zutrifft. Wir sind sehr pragmatisch und klein im Denken geworden. Fragen Sie heute doch mal jemanden nach seinen Idealen oder Werten? Kaum jemand wird sich auf etwas festlegen, weil eine solche Haltung immer bedeutet, Opfer zu bringen. Wenn die Show das Publikum dazu einlädt, darüber nachzudenken, dann hätten wir mehr erreicht als ich mir hätte wünschen können.

Sie sprachen eben schon über die Herausforderung ein Buch zur Serie zu machen. Mit Worten lassen sich Atmosphären kostengünstig erzählen. Sie mussten sie dann tatsächlich optisch inszenieren. Wie schwer war diese Aufgabe? Und wie explizit kann man bei dem Thema werden?

Das ist wirklich nicht zu unterschätzen. Wir haben alle eine grobe Vorstellung von einer Welt im Jahr 1962, aber eben auch nur grob. Gedruckte Worte werden im Kopf jedes Lesers erst zu Bildern und wir mussten uns konkret festlegen auf Kleidung, Zeichen, Schilder, Autos, Gebäude bis hin zu den Milchkartons dieser besonderen fiktionalen Welt, die einerseits vertraut ausschaut und dann doch ganz fremd ist. In einigen sehr frühen Entwürfen für New York unter Nazi-Besetzung zeigte den Times Square in New York mit Bretzeln und Bierkrügen. Aber das war Quatsch. Das war zu platt, weil es hier ja auch nicht um Deutschland geht sondern eine faschistische Idee mit ihren Slogans wie „Arbeit macht frei“.

Es fühlt sich zugegebenerweise komisch an, diese Botschaften und Symbolik in einer Fernsehserie zu sehen, die auch noch den Sieg von Hitler thematisiert.

Ich verbringe viel Zeit in Deutschland, auch weil ich in den vergangenen zweieinhalb Jahren an der Filmhochschule dffb unterrichtet habe und daher häufiger in Berlin war. Für mich ist die Beschäftigung der Deutschen mit dieser Zeit sehr interessant. Die Nazis und ihre enormen Verbrechen besetzten eine ganz besondere Zeit in der Geschichte. Es war das 20. Jahrhundert und das Böse wurde erstmals in diesem Umfang fotografiert und gefilmt. Machen wir uns nichts vor: Ihr Art Design war unglaublich. Sie wussten um die Bedeutung von Inszenierungen - mit diesen Uniformen und der Symbolik waren sie wie gemacht für Hollywood. Nazis sind die perfekten Bad Guys für Hollywood. Das hat nichts mit Deutschland und den Deutschen zu tun. Junge Menschen wie Sie haben nichts mit all dem zu tun aber leben im Schatten dieser Geschichte.

Wie sie schon sagten: Es gibt glaube ich inzwischen eine Trennung zwischen dem, was Nazi-Deutschland der Welt angetan hat und dem heutigen Deutschland. Aber auch noch nicht lange.

Ich muss aufpassen wie ich das jetzt formuliere, weil das sonst falsch interpretiert werden könnte. Schauen Sie: Die Verbrechen der Nazis sind in ihrer Grausamkeit absolut mit nichts zu vergleichen, aber es gab in der Geschichte der Welt auch in anderen Ländern ganz furchtbare Sachen - in der britischen Geschichte, in der belgischen Geschichte oder auch der frühen Geschichte Amerikas. Aber wir sind die Guten. Über Deutschland liegt hingegen der Schatten der Gräueltaten der Nazis. Ich glaube, dass es Deutschland noch lange beschäftigen wird, wie man aus diesem Schatten heraustreten kann.

Das würde den Rahmen sprengen, darüber erschöpfend zu diskutierne. Kommen wir zurück zur Produktion der Serie. Amazon stellt seine Serien-Piloten online zur Abstimmung und sammelt Feedback der Zuschauer ein. Wie gehen Sie mit all dem Feedback um?

Ich war - ob das nun gut ist oder nicht - immer jemand, der sich Kritiken und Zuschauermeinungen sehr zu Herzen genommen hat. Auch damals schon bei „Akte X“ war ich inkognito in den Chatrooms und Foren im Netz unterwegs und habe mir durchgelesen, was so geschrieben wurde. Aus der Zeit kommt auch die Erfahrung, dass es da hundert positive Kommentare geben kann und doch bleiben am Ende die ein zwei brutalen Verrisse hängen. Das kann schmerzhaft sein.

Aber lohnenswert?

Ich sehe es als ein Tool für meine Arbeit. Es wäre ein großer Fehler diesen Kritikern gefallen zu wollen, weil das nur ein kleiner Teil des Publikums ist, der sich da ausdrückt. Man muss diese oft sehr leidenschaftlichen Beiträge richtig einordnen können, dann gewinnt man daraus die richtigen Erkenntnisse. Ich habe da inzwischen Übung und eine dicke Haut.

Hat sich denn die Staffel von „The Man in the High Castle“ im Vergleich zum Piloten - auch unter Berücksichtigung des Feedbacks - in einigen Aspekten verändert?

Nein. Ich hatte Episode zwei schon geschrieben als wir die Pilotfolge online gestellt haben und da hat sich fast nichts geändert. Außerdem war das Feedback der Amazon-Kunden überwältigend positiv und war eher bestärkend darin, auf dem richtigen Weg zu sein.

Sie haben u.a. mit „Akte X“ eine sehr erfolgreiche Network-Serie verantwortet; kennen die Arbeit mit Sendern. Wie war im Vergleich die Zusammenarbeit mit Amazon?

Geschäftlich ist es nicht viel anders, aber im Storytelling ändert sich natürlich etwas, wenn man alle Episoden auf einen Schlag veröffentlicht und nicht Woche für Woche. Man erzählt Geschichten anders. Es gibt nicht den Bedarf sich an ein wiederkehrendes, festes Format zu halten. Folgen können unterschiedliche Längen haben und noch dazu muss man permanent Handlungsstränge in Erinnerung rufen, wie es nötig wäre, wenn zwischen den Folgen jeweils eine lange Woche liegt. Es fühlt sich für mich mehr wie die Arbeit an einem Roman an, dessen Geschichte kontinuierlich erzählt werden kann. Bei all dem hat mir Amazon so viel Freiheiten gegeben, wie ich mir nur wünschen konnte. Das ist sehr befreiend, aber manchmal auch gefährlich. Weil manche Beschränkungen ja auch dazu führen kann, dass man sich selbst einmal mehr hinterfragen muss. Aber wenn wir von der Produktion selbst reden, dann gab es keine markanten Unterschiede zur Produktion für einen linearen Sender.

Gibt es eigentlich die Chance auf eine zweite Staffel?

Ich hoffe doch. Möglich wäre es.

Aber die würde dann nicht mehr auf der Buchvorlage von Philip K. Dick basieren?

Doch, es gibt noch einige Dinge aus dem Buch zu dem wir in der ersten Staffel noch nicht gekommen sind. Dafür gibt es umgekehrt aber auch viele Dinge, die im Buch gar nicht auftauchen. Ich würde mir eine zweite Staffel sehr wünschen, weil es sehr viel Arbeit war aus der Buchidee erst einmal eine Fernsehwelt zu erschaffen. In der würde ich gerne noch viele Geschichten erzählen. Ich habe ein Ende im Kopf, aber ob wir zwei oder zehn Jahre Zeit haben werden, um dahin zu kommen? Wir werden sehen.

Herr Spotnitz, herzlichen Dank für das Gespräch.