Alexander Kluge hat in einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger ein bisschen sehr ungelenk etwas sehr Kluges hinterlegt. "Als TV-Macher sollte man stets den Typus Scarlett O’Hara, die Figur aus 'Vom Winde verweht', vor Augen haben", sagt der Filmemacher und Fernsehphilosoph dort und erklärt auch gleich, was er meint. Diese Scarlett O’Hara sei eine tüchtige, kluge Frau, die mit ihrem Leben beschäftigt sei und deshalb nicht ständig Fernsehen gucken könne, behauptet er. "Zwei Drittel der TV-Zuschauer leben wie sie. Wenn TV-Macher diese Zuschauer von ihrer Sendung überzeugen können, haben sie gewonnen", behauptet er. "Dafür müssen sie ihnen aber etwas Spezielles bieten. Weil die Scarlett O’Haras nicht so leicht zu kriegen sind, konzentrieren sich die TV-Sender lieber auf das andere Drittel: die weniger aktiven, weniger tüchtigen, weniger klugen Zuschauer. Jene, die eben häufiger auf dem Sofa sitzen und somit leichter zu erreichen sind. Es fehlt der Mut, sich um die O’Haras zu bemühen."

Nun ist die Erwähnung von Scarlett O’Hara ziemlicher Mumpitz, weil der Vergleich des hiesigen Fernsehpublikums mit einer unglücklichen amerikanischen Südstaaten-Lady in Zeiten des Bürgerkriegs vor über 150 Jahren ziemlich an den Haaren herbeigezogen wirkt und der Sache kaum dienlich ist. Es leben nicht zwei Drittel der TV-Zuschauer wie sie. Die Realitäten sind heutzutage nun mal andere als im Georgia von 1860, als noch nicht einmal der Gedanke an ein wie auch immer geartetes Fernsehen existierte. Aber man soll ja nicht so streng sein. Schließlich hat Kluge ausdrücklich vom Typus Scarlett O’Hara gesprochen. Typus! Also geschenkt.

Wichtiger erscheint ohnehin der andere Teil der Aussage, also der, in dem Kluge sagt, dass die Fernsehmacher nicht den Mut haben, um die zwei Drittel der Zuschauer zu buhlen, in denen er die Scarlett O’Hara von heute verortet. Viel lieber gäben die Sender sich zufrieden, wenn sie das eine Drittel erreichen, also quasi die Thomas-Ebeling-Klasse, die weniger aktiven, die weniger tüchtigen, die weniger klugen Zuschauer. Die sind halt leichter zu haben.

Ein Fernsehen aber, das sich nur noch um jene bemüht, die leicht zu haben sind, hat sich still und heimlich schon aufgegeben. Das ist dann Controller-TV, wenn da nur noch die Excel-Graureiher die Statistiken durchforsten und sagen, wo noch billig ein paar bewegungsarme Gestalten abzugreifen sind. Das gibt natürlich keiner freiwillig zu, und wenn es doch einer tut, siehe Ebeling, dann fliegt es ihm um die Ohren. Das Signal ist deutlich: Man muss von Qualität reden, immer und überall, in Wahrheit aber betreibt man Deppenfang und nimmt die leichte Beute mit.

So etwas funktioniert eine Weile und liefert den Controllern im Zweifel ordentliche Zahlen. Leider ist das wenig nachhaltig gedacht, denn mit der Konzentration auf die einfach zu kriegenden Massen des unteren Drittels schwindet die Akzeptanz des Mediums  jeden Tag ein bisschen mehr, weil zwei Drittel der Menschen sich nicht mehr angesprochen fühlen vom klassischen Fernsehen. Sie schauen vielleicht mal rein in der Hoffnung auf ansprechendes Angebot, und dann stoßen sie schnell auf lieblos dahingeworfenen Müll und verabschieden sich gleich wieder. Wenn selbst der "Tatort" immer mehr Fans gegen Zufallszuschauer tauscht, ist Alarmzeit. Es reicht dann nicht, enttäuscht oder verwundert zu gucken und zuzuschauen, wie die Zuschauer abwandern zu Netflix, zu Sky, zu Wasauchimmer. Wer sich einmal vom Fernsehen verabschiedet hat, der kommt nicht so leicht zurück. Vertrauen aufzubauen dauert ewig, Vertrauen zu enttäuschen, ist eine Sekundensache.

Natürlich findet man in den Sendern immer wieder jene, die den Aufbruch auf der Zunge führen. Kann sich noch jemand an die Eroberungsgruppe des WDR erinnern? Das waren vor etwas über zwei Jahren, die 35- bis 55-Jährigen, die Fernsehdirektor Jörg Schönenborn mit einer Fernsehreform ins Visier nahm, weil das Dritte beim durchschnittlichen Zuschauer einen Altersschnitt von 64 Jahren diagnostiziert hatte bei einem Durchschnittsalter von 52 Jahren im Bundesland NRW.

Es gab ein paar Umstellungen im Programm, aber letztlich ist das meiste von dem, was man damals Bemühung nannte, inzwischen versandet. Der Ehrgeiz, den man als Beobachter kurzfristig in Blüte wähnte, ging ziemlich rasch ein und dürfte inzwischen auf dem Kompost modern und nur noch die Käfer und Regenwürmer belustigen.

Es ist nur ein Beispiel dafür, dass es sich Sender zu leicht machen. Sie versuchen hier und da, einen Leuchtturm aufzustellen, aber wenn da nicht gleich alle hin stürmen, dann ersetzen sie dessen dicke Scheinwerfer durch ein paar mickrige LED-Funzeln. Man lernt daraus, dass der Ehrgeiz eines Senders eine kürzere Haltbarkeitsdauer aufweist als ein schlecht gekühltes Hühnerei.

Natürlich gibt es in jeder Anstalt noch Menschen, die wirklich etwas wollen, die Programm machen möchten für die anspruchsvollen Drittel. Als durchsetzungsstark erweisen sich aber leider immer wieder jene, die Fastfood fürs untere Drittel herstellen und dafür kurzfristig auch noch mit passablen Zahlen belohnt werden.
Das geht für die ganz gut aus, aber lange funktioniert das nicht mehr. Ein Fernsehen, das jeden Menschen mit einem IQ über Toastbrot vergrault, muss sich nicht wundern, wenn es sich demnächst mit vermehrten Forderungen nach seiner Abschaffung konfrontiert sieht. Was gerade in der Schweiz mit der No-Billag-Kampagne abgeht, kann sehr schnell auch hierzulande verschärftes Thema werden.

Was machen die Verantwortlichen derweil? Sie verhandeln mit den Verlegern darüber, wieviel Text sie im Internet veröffentlichen dürfen. Als wenn daran die Zukunft des Fernsehens hinge. Kaum einer merkt, dass sich dabei alle selbst beschädigen, weil die Energie, die in diesen Streit geht, in den Verlegerpublikationen ebenso fehlt wie beim Fernsehprogramm. Eine klassische Lose-Lose-Situation. Scarlett O’Hara steh mir bei!