Zwei Jahre später hat Bertelsmann Sie bei RTL hinausgedrängt. Zu dem Zeitpunkt hatten Sie beide bereits eine gehörige Wegstrecke hinter sich. Aber obwohl vor 30 Jahren nahezu gleichzeitig gestartet, waren die Wege und Konzepte von Sat.1 und RTL doch sehr verschieden.

Helmut Thoma
: Das stimmt. Kirch hat auf seine Materialüberlegenheit gesetzt. Er hatte damals rund 15.000 Spielfilme und 50.000 Fernsehserien. Sein Interesse war das eines Kaufmanns. Er wollte seine Ware an den Kunden bringen. Ich dagegen stand mit zwölf Filmen in Luxemburg und wusste gar nicht so genau, wo es hingehen sollte. Mit 30 Jahren Abstand würde ich sagen: Genau das war das Erfolgsgeheimnis! Wir waren gezwungen, erfinderisch zu sein. Uns musste einfach etwas einfallen. Doetz konnte aus dem Vollen schöpfen, weil Kirch damals das beste Programm überhaupt hatte. Mit Ausnahme von Universal hatte er Output-Deals mit allen Hollywood-Studios.

Jürgen Doetz: Jeden Samstag kam ein Lieferwagen aus München und hat uns neue Kassetten mit Programm gebracht.

Helmut Thoma
: Die hatten gar keine Notwendigkeit, sich inhaltlich besonders anzustrengen. Kirch war der Auffassung: Wer möglichst viele Filme und Serien hat, gewinnt. Und das war damals auch eigentlich die gängige Regel. Da bin ich wie gegen eine Gummiwand angelaufen.

Jürgen Doetz
: Thoma hätte ja auch gern Filme gehabt. Aber Kirch hat ihm keine verkauft.

Helmut Thoma
: Für uns kam der Durchbruch in dieser Hinsicht erst ein paar Jahre später, als wir Verträge mit Universal und mit Horst Wendlandts Tobis Film schließen konnten. Bis dahin waren wir aber schon gezwungen gewesen, erfrischend anders zu sein, manchmal auch erschreckend anders – aber eben anders. Und dieses "anders" hat sehr viel bewirkt.

"Ich musste immer spontan eine Talkshow machen, wenn der Film wieder mal kürzer war als auf der Kassette angegeben"

Jürgen Doetz


Jürgen Doetz
: Hinzu kam, dass RTL plus für die Deutschen schon einen guten Klang hatte, weil die Marke aus dem Radio bekannt und populär war. PKS oder Sat.1 kannte keiner. Außerdem hatten wir in den ersten Jahren keine einheitliche Lizenz, sondern zehn Lizenznehmer. Das Programm wurde also nicht nur von Kirch angeliefert. Auch von Springer aus Hamburg kamen Kassetten, von Bauer, von Burda, vom Otto Maier Verlag aus Ravensburg oder von der APF, in der 126 Zeitungsverleger vereinigt waren. Wir saßen in Ludwigshafen, später in Mainz und waren eine reine Betriebsgesellschaft, die die Zulieferungen der zehn Gesellschafter zu koordinieren hatte. Schon allein deshalb waren wir viel behäbiger als das bunte Programm aus Luxemburg. Der erste Programmdirektor, der so etwas wie ein Programm mit durchgängiger Handschrift schaffen durfte, war der langjährige ZDF-Unterhaltungschef Peter Gerlach, der 1986 zu Sat.1 kam. Bis dahin litten wir manches Mal unter falschen Sendelängen. Ich musste dann immer einspringen und spontan eine Talkshow machen, wenn der Film wieder mal kürzer war als auf der Kassette angegeben.

Jürgen Doetz und Helmut Thoma© DWDL.de / Tilman Schenk

Was viele nicht mehr wissen: Bertelsmann gehörte ursprünglich zum Sat.1-Konsortium und hat erst kurz vor Sendestart die Seiten gewechselt. Wie kam es dazu?

Helmut Thoma: Bertelsmann kam eigentlich nur zu uns, weil sie bei Sat.1 nicht so richtig unterkommen konnten und dort nicht die Position kriegten, die sie für angemessen hielten.

Jürgen Doetz: Da gab es bei uns großen Krach. Wir standen vorm Sendestart am Flipchart, um zu planen, wer wie viel Programm beisteuern wollte. Ich hatte von Kirch den Auftrag, alles, was ging, zu besetzen. Das Ergebnis war, dass die PKS bei 40 Prozent der Anteile landete – zum Entsetzen der Verlage. Bertelsmann fühlte sich unter Wert geschlagen und von Kirch rausgedrängt. Es gab dann eine Geheimkonferenz der Verlage in Hamburg und Bertelsmann erklärte seinen Austritt.

Helmut Thoma: Wir kannten uns, weil Bertelsmann den Hörerclub von Radio Luxemburg betreute. Mark Wössner, der Vorstandschef, und Manfred Lahnstein, der Vorstand für Neue Medien, kamen nach Luxemburg und wir haben ihnen 40 Prozent gegeben. Was ich vorher nicht bedacht hatte: Weil Lahnstein SPD-Mann war und frisch als Minister aus dem Kabinett Helmut Schmidt kam, wurde es in den unionsregierten Bundesländern schwierig für uns, Frequenzen zu bekommen.

Jürgen Doetz: Herr Thoma, wo wir so in Erinnerungen schwelgen: Können wir uns nicht wenigstens darauf einigen, dass RTL und Sat.1 gemeinsam ARD und ZDF das Fürchten gelehrt und die Landschaft ziemlich umgepflügt haben?

Helmut Thoma: Ja klar, das ist doch gar keine Frage. Der Punkt ist nur, dass es zwei völlig unterschiedliche Ansätze von Fernsehen waren.

Jürgen Doetz und Helmut Thoma© DWDL.de / Tilman Schenk


Herr Doetz, tut es Ihnen rückblickend eigentlich weh, dass Ihr Sat.1 im Jahr 2000 Teil der ProSieben-Gruppe wurde? Die Strategie, den Marktführer RTL mit einem starken Einzelsender anzugreifen, hatte sich damit ja endgültig erledigt.

Jürgen Doetz
: Lassen Sie mich das so beantworten: Wir hatten vor ein paar Monaten zum ersten Mal ein Ehemaligen-Treffen der Mitarbeiter, die bei Sat.1 in Mainz gewesen waren. Es kamen ungefähr 70 Leute. Nach zehn Minuten war das so, als ob man sich zuletzt gestern gesehen hätte. Hätte ich an dem Abend die Leute gefragt, ob wir's nochmal versuchen wollen, dann hätten wohl alle mitgemacht. Wenn ich mir die spätere Entwicklung von Sat.1 unter dem Konzerndach vor Augen führe, wird man mir persönlich hoffentlich nachsehen, dass ich sage: Ja, das tut weh. Also, auch wenn's nicht mehr zeitgemäß ist – irgendwie bleibe ich wohl immer ein Sat.1-Mann.