Herr Berben, über das deutsche Fernsehen wird ja gerne gelächelt, das amerikanische Fernsehen für seine Serien gefeiert...

Das regt mich irrsinnig auf; diese undifferenzierte Betrachtung des Themas. Das ist so durchschaubar, weil es häufig nur darum geht, auf das deutsche Fernsehen draufzuhauen, weil irgendjemand denkt, dass das Applaus bringen würde. Aber die Deutschen lieben doch ihre Schauspieler und ihre Geschichten. Das deutsche Fernsehen ist hervorragend, wenn es denn auch hervorragend sein will. Ich gebe zu, dass dieser Anspruch oftmals fehlt. Natürlich haben wir zu viel Mittelmaß. Aber da empfehle ich jedem, mal in den USA den Fernseher einzuschalten: Man schaltet schneller als gedacht entnervt und verzweifelt ab.

Aber warum liest man so viele Abgesänge auf das deutsche Fernsehen? Scheint eine schwierige Frage zu sein...

Nein, überhaupt nicht. Viele Medienunternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand, weil es sie in der bekannten Form nicht mehr lange geben wird. Das wissen die meisten inzwischen auch. Dem gegenüber steht ein öffentlich-rechtliches Fernsehen, das finanziert ist und auch die nächsten Jahrzehnte noch sicher finanziert sein wird. Dass das zu einer Unzufriedenheit führt, verstehe ich. Sehr gut sogar. Ich finde es nur so ärgerlich, dass es auf dem Rücken der Kreativität im Fernsehen ausgetragen wird. Erreicht eine Produktion ein Millionenpublikum, wird kritisiert, es gehe ja nur noch nach Quote. Holt eine Produktion aber ein überschaubares Publikum in der Nische, heißt es wiederum: Gebührenverschwendung.

Im Bereich der Serien hat das deutsche Fernsehen wirklich nicht viel zu bieten. Die Fernsehfilme oder Mehrteiler werden aber meist übersehen.

Völlig richtig. Diese Form der Programmierung, die in Deutschland sehr populär ist, finden sie nur in wenigen anderen Ländern ansatzweise. Und in den USA zum Beispiel gar nicht. Da finden Sie hier und da mal einen „Movie of the week“. Aber das ist mitnichten mit der Qualität mancher US-Serie zu vergleichen. TV Einzelfilme sind im US-Fernsehen oft Ware zweiter Klasse. In Deutschland ist es genau umgekehrt.

"Die Frage, ob die Amerikaner es besser können, ist völliger Quatsch."

Warum aber gelingt uns kein, sagen wir „Borgen“, wenn selbst in einem kleinen Markt wie Dänemark so eine tolle Serie entstehen kann, die international auf Nachfrage stößt...

Eine tolle Serie. Ich bin großer „Borgen“-Fan, aber muss leider sagen, dass die dritte Staffel nicht mehr so gut war. Das war eine Abhandlung von politischen Themen, aber die Mischung die die Serie ausgemacht hat, war da nicht mehr drin. Aber ich komme von ihrer Frage ab. Die Erzählform von „Borgen“ ist ja nicht einmal neu. Das haben wir auch schon beispielsweise im „Großen Bellheim“ gesehen. Das ist handwerklich einfach sehr gute Arbeit. Was „Borgen“ so besonders macht: Es ist sehr realistische Fiktion, die sich traut, aktuelle politische und wirtschaftliche Themen identifizierbar darzustellen, und sehr kritisch zu behandeln. Das war bei „Borgen“ neu und demonstrierte, wie klassische Gesellschaftskritik in Serienform aussehen kann. Dietl hat das in seinen besten Zeiten auch gemacht, wenn man an „Kir Royal“ denkt.

Das ist leider schon sehr lange her. Aber es stimmt, wir hatten das auch alles schon einmal.

Sehen Sie (lacht), und genau darüber sollten wir reden. Dass uns das heutzutage fehlt und das obwohl wir einiges, was wir derzeit im Ausland feiern, auch schon mal im deutschen Fernsehen hatten. Fiktional war schon einmal so viel mehr möglich. Die Frage, ob die Amerikaner es besser können, ist völliger Quatsch. Die viel wichtigere Frage ist: Warum konnten und wollten wir das denn mal und sind heute so zögerlich?

Wir arbeiten lieber vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse auf. Das scheint bei Sendern sehr beliebt zu sein, weil offenbar risikoärmer.

Ich glaube nicht, dass das der alleinige Grund ist. Die Deutschen sind ein Volk, dass sich sehr mit der eigenen Geschichte beschäftigt. Das tun längst nicht alle Völker. Zeitgeschichtliche Produktionen mit guten Einschaltquoten sind ein ermutigendes gesellschaftliches Zeichen. Man kann uns nicht vorwerfen, wir würden unsere Geschichte verdrängen. Da gibt es kaum andere Fernsehnationen, die die eigene Geschichte so intensiv aufarbeiten und damit meine ich jetzt nicht nur das Dritte Reich. Es geht auch um die DDR, um die RAF, um einzelne wichtige Momente der Nachkriegszeit. Das interessiert das deutsche Publikum.

Das reicht dann für einen Eventfilm oder Mehrteiler. Aber in Serienform hat man sich abgesehen von „Weissensee“ bislang kaum herangetraut. Und das obwohl Period Drama international starken Zulauf hat.

Wir sind gerade dabei. Bisher war das ein finanzielles, aber auch ein planungstechnisches Problem, weil sie niemanden finden konnten, der bereit war, auf der einen Seite viel Geld zu investieren und andererseits klare Sendeplätze dafür zu haben. Die Zeiten ändern sich hier allerdings.

Was ändert sich?

Die Bereitschaft und der Mut derer, die investieren müssen, hat zugenommen. Weil man endlich merkt, dass durch neue Anbieter und sich ändernde Konsum-Gewohnheiten der Zuschauer die Stimme des Zuschauers lauter geworden ist. Der Zuschauer lässt sich nicht mehr so einfach irgendetwas vorsetzen, weil er immer mehr Alternativen hat.

Kommt da angesichts mancher weltweiten Hits auch so etwas wie ein Prestige-Denken auf?

Produktionen wie „Mad Men“, „House of Cards“ oder „Breaking Bad“ sind alles Prestige-Projekte. Natürlich.

"An der Mischung der Genres im deutschen Fernsehen müssen wir also noch arbeiten."

Gerade bei diesen Serien räumt RTL-Chef Frank Hoffmann allerdings ein, dass das keine Programme für die Masse seien und ein Sender wie RTL anders denken müsse.

Damit hat er für einen Sender wie RTL sicherlich recht. Die Programme laufen auch in den USA in Spartensendern und nicht auf CBS. Trotzdem: Es gibt in Amerika auch „Bachelorette“, „The Voice“ und „American Idol“. Aber es gibt eben selbst bei den großen US-Networks doch weit mehr fiktionale Produktionen als bei RTL hier. An der Mischung der Genres im deutschen Fernsehen müssen wir also noch arbeiten, aber ich verwehre mich gleichzeitig auch dagegen, eine Qualitätsdebatte über unsere deutsche Fernsehlandschaft zu führen, weil wir beim Blick in eine Programmzeitschrift für jeden einzelnen Sendetag mehr gutes Programm im deutschen Fernsehen finden, als ein Mensch in einer ganzen Woche gucken kann.

Dennoch: Im Bereich der Serie, immerhin Auslöser des derzeit viel besprochenen New Golden Age of Television, kommt wenig aus Deutschland. Viel weniger als früher einmal.

Ich glaube, was den deutschen Markt vom US-Markt unterscheidet, ist die noch nicht sehr ausgeprägte Sparten-Bildung. Wir erleben zwar gerade, dass selbst die großen Öffentlich-Rechtlichen und privaten Sendergruppen eigene Spartensender starten, aber das ist noch lange nicht so konsequent und vor allem mit gezielten, eigenen Inhalten versehen wie im US-Kabelmarkt. Da hinken wir noch etwas hinterher, weil wir sehr lange einen sehr stabilen und unveränderten Markt hatten mit den vier Säulen ARD, ZDF, RTL und ProSiebenSat.1.

Brauchen wir also mehr Mut und Investitionsbereitschaft in der zweiten Reihe?

Die Vielseitigkeit, die jetzt vom amerikanischen Fernsehen vorgelebt wird, ist ja dadurch entstanden, dass die kleinen Sender sich plötzlich etwas getraut haben. Das wird bei uns auch noch passieren. Ganz sicher. Für Kreative bedeutet das ein Ende des Fernsehen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, wenn man bei kleineren Sendern spitzer sein darf. Ich brauche dann nicht mehr fünf Millionen Zuschauer erreichen, sondern vielleicht zwei Millionen. Wenn diese Nischensender vortreten würden, würde das die deutsche Serie aus dem Zwang zum Mainstream-Erfolg befreien. „Klimawechsel“ und „Verbrechen“ waren für uns großartige Erfolge. Nicht nur nach absoluten Zuschauerzahlen, sondern auch gerade in der Zielgruppe, die wir damit erreichen wollten.

Welche Rolle spielt in diesem sich wandelnden Markt eigentlich noch die klassische Auftragsproduktion eines Senders?

Gar keine, so einfach ist das. Auch das ist aber ja ein positives Signal für alle, die in gute Stoffe investieren wollen. Sie können diese künftig günstiger haben, weil wir als Produzent oder gemeinsam mit dem Sender weitere Auswertungswege einkalkulieren können. Sender müssen sich als Auftraggeber verstehen, dessen Interesse an einer Produktion über den First Run hinaus gehen muss. Weil da doch erst das richtige Geld verdient wird. „Breaking Bad“ ist ein sensationelles Beispiel dafür. Der Sender AMC wurde am Ende für die Weitsicht belohnt. Wir könnten uns da doch auch mal über andere Reihenfolgen der Verwertung unterhalten.

"Wenn SVoD nur Marktanteile klaut ohne einen eigenen Beitrag zu leisten, blutet die Kreativität im Fernsehmarkt aus."

Was meinen Sie damit?

Es bleibt abzuwarten, wann die erste Serie bei SVoD, also Subscription Video on Demand wie z.B. Netflix Premiere feiert, später erst ins frei empfangbare Fernsehen kommt und danach oder parallel dann via DVD, Bluray und werbefinanziertem VoD ausgewertet wird. Da könnte man doch über viele Auswertungsvarianten nachdenken, die allen Beteiligten finanzielle Vorteile bzw. Erleichterung brächten. Warum tun wir immer alle so als gäbe es irgendwo festgeschriebene goldene Regeln, die wir nicht missachten dürfen? Aber zu glauben, dass Netflix ein Allheilmittel ist, mit dem dann alles gut wird, ist natürlich naiv. Sie werden nicht nach Deutschland kommen und gleich in eine lokale Eigenproduktion investieren. Allerdings wird der Markteintritt von Netflix den Wettbewerb verändern und beschleunigen. Und wir brauchen SVoD-Anbieter, die bereit sind, in neue Inhalte zu investieren, denn sie nehmen dem linearen Fernsehen Reichweite und Marktanteile weg. Wenn auf mittelfristige Sicht als Folge dessen weniger Gelder im linearen Fernsehen investiert werden, dann brauchen wir neue Anbieter, die diese Lücke schließen. Wenn SVoD nur Marktanteile klaut ohne einen eigenen Beitrag zu leisten, blutet die Kreativität im Fernsehmarkt aus.