Die Unterhaltung soll also informativer werden. Gegenfrage: Wie seicht und unterhaltsam darf das ZDF informieren? Ich denke an belangloses Infotainment a la „Mc Donald’s gegen Burger King“ - was damals kurz nach Wallraffs Enthüllungen ziemlich alt aussah.

Jetzt muss man aber auch sagen: Wenn RTL mit wenigen Programmen große Aufmerksamkeit bekommt, während das ZDF das ganze Jahr hindurch und in vielen Formen umfassend informiert, dann ist der Vergleich zwischen zwei Einzelsendungen in Quantität wie Qualität erst einmal unfair. Ich würde aber schon konzedieren, dass es Grenzen hat und haben muss, wenn wir unterhaltende Elemente in die Information integrieren, erst recht wenn wir uns öffentlich-rechtlich definieren. Es kann aber auch sehr gut gelingen wie zuletzt beispielsweise bei „Projekt Hühnerhof“ mit Dirk Steffens. Das war eine Erlebnisdokumentation mit Tiefgang und Haltung des Protagonisten. Ich fände es schlimm, wenn jeder Versuch des ZDF, Wissen leicht zugänglich zu vermitteln, gegeißelt würde. Wir müssen Augenmaß beweisen.

Sie sprachen das inhaltliche Vorbild BBC an. Sind Sie manchmal neidisch auf die Flexibilität der BBC wenn es um Sendeplätze und Sendeschema geht? Das scheint in Deutschland ja heilig zu sein, während z.B. auf der Insel recht flexibel programmiert wird.

Wir sind flexibel und wollen noch flexibler werden. Es kommen auch kurzteiligere Produktionen im fiktionalen. Ich denke, dass das ZDF mehr „Signature“-Programme braucht. Und da reden wir nicht von Sendungen, die Sendeplätze füllen sollen, sondern von Programmen, bei denen die inhaltliche Lust und ein Anspruch im Mittelpunkt stehen - und man schon den richtigen Platz dafür finden wird. Das wünsche ich mir besonders in der Fiktion, wo wir ohnehin schon weit vorne sind. Dazu gehören unsere vier neuen Serien für 2015: „Schuld“ mit Moritz Bleibtreu, „Die Lebenden und die Toten“ mit Jürgen Vogel, „Morgen hör ich auf“ mit Bastian Pastewka und das mit unseren skandinavischen Kollegen produzierte „The Team“. Jedes dieser Projekte hat eigene Besonderheiten.

Das sagt sich so leicht. Können Sie das erläutern?

Bei „Die Lebenden und die Toten“ habe wir eine wirklich sehr intensive, horizontale Erzählweise, die auch eine besondere Programmierung brauchen wird. „Schuld“, basierend auf dem Buch von Ferdinand von Schirach, hat sich nach dem Erfolg von „Verbrechen“ noch einmal neu erfunden. Das sind ja in sich abgeschlossene Fälle in einer so noch nicht gesehenen Optik. Das programmieren wir prominent am Freitagabend um 21.15 Uhr. Und bei „Morgen hör’ ich auf“ erleben wir Bastian Pastewka in einer ungewöhnlichen Rolle. Das erste, was ich davon schon gesehen habe, ist großartig. Und „The Team“ wird am Sonntagabend sicher an unsere Erfolge mit „Die Brücke“ oder „Kommissarin Lund“ anknüpfen.

Mit welchen Highlights startet das ZDF denn ins Jahr 2015?

Da sind wir bei anderen Programmen, bei denen wir neben den „Signature“-Serien auch die editorische Kraft des ZDF betonen, also Themen setzen mit herausragendem Fernsehen. Da lässt sich unser Highlight im Januar, der Dreiteiler „Tannbach“, in einen Gesamtzusammenhang stellen. Wir hatten vergangenes Jahr „Unsere Mütter, unsere Väter“ mit einer ganz anderen Perspektive auf den 2. Weltkrieg. Nächste Woche beschäftigen wir uns in „Das Zeugenhaus“ mit den Folgen des NS-Regimes. Im Januar geht es in „Tannbach“ dann um ein geteiltes Dorf in den Jahren nach dem Krieg und die gespaltene Identität der Deutschen. Im Frühjahr 2015 folgt dann ein Mehrteiler zur Einwanderung der Gastarbeiter in den 60er Jahren. Das alles kombiniert mit dem Jahrestag 2015 - also 70 Jahre Auschwitz-Befreiung und 70 Jahre Kriegsende am 8. Mai.

Das klingt schlüssig und nach einer Qualität, die man pflegen sollte. Aber immerhin scheint sich die ZDF-Fiktion ja 2015 auch über Zeitgeschichtliches hinaus auch einfach Lust aufs Erzählen hat.

Diese Lust brauchen wir. Öffentlich-rechtlich erzählte Geschichten brauchen Tiefgang, den es aber auch ohne bedeutenden zeitgeschichtlichen Hintergrund geben kann. Substanz kommt bei diesen Geschichten aus dem Hier und Jetzt aus dem Zeichnen von Charakteren und ihren komplexeren Entwicklungen.

Das Vorabend-Programm meinen Sie damit jetzt aber nicht.

Das ist ungerecht, Herr Lückerath. Ich habe in den vergangenen Jahren im ZDF einige sehr beliebte, lang laufende Vorabend-Serien trotz guter Einschaltquoten zu einem Ende gebracht, damit wir mit neuen Themen und Erzählweisen auch in dem sicher auf populärere Geschichten angewiesenen Vorabendumfeld überraschen können. Da haben wir in den sauren Apfel gebissen, aber wir können jetzt mit „Dr. Klein“, und ab Januar „Sibel & Max“ und „Bettys Diagnose“ sagen: Das war die richtige Entscheidung. Gewisse Farben finden sich hier immer wieder, weil Fernsehen am Vorabend eine Frage der Gewohnheiten ist. Aber es sind allesamt moderne Serien.

Stichwort Orientierung also.

Ja. Von den Öffentlich-Rechtlichen wird erwartet, dass sie Orientierung geben. Wir müssen flexiber werden, aber in dem Wust von hunderten TV-Programmen sind gewisse Uhrzeiten und Gewohnheiten eben auch Orientierung für unsere Zuschauer. Und es wäre Unsinn, den Zuschauern das zu nehmen. Da setze ich lieber auf die Mediathek, um diejenigen zu erreichen, die zeitunabhängig und selektiv konsumieren wollen. Also die Stärke jedes Mediums ausspielen.

Orientierung ist natürlich nicht nur eine Frage von Sendezeiten.

Richtig, und deshalb würde ich inhaltlich gerne eine feinere Unterscheidung machen, die sich auf Englisch besser artikulieren lässt: Wir brauchen weniger „Navigation“, dafür mehr „Guidance“. In einer Welt, die zunehmend nur noch von schnellen Likes, Dislikes und Hashtags geprägt wird, sollten die Öffentlich-Rechtlichen antizyklisch Angebote machen, die den Zuschauern diese Guidance geben. Wir sind damit in einer viel komplexeren Verantwortung und das in der Information wie auch Unterhaltung und Fiktion. Wir müssen also am Puls der Zeit und in der Lebenswirklichkeit unserer Zuschauer sein. Das spiegelt sich z.B. auch in „37 Grad“-Produktionen wider.

Aber ein sehenswertes Experiment wie „Der Rassist in uns“ wurde bei ZDFneo versteckt statt das ZDF-Publikum damit im positiven Sinne zu irritieren.

Ich mag diese Betrachtung nicht. Wir verstecken nichts bei ZDFneo, weil der Sender in seiner Zielgruppe ein ernstzunehmendes Angebot ist, das tolle Erfolge erzielt. Und im Hauptprogramm laufen wiederum sehr viele Dokumentationen und Reportagen im Rahmen von „37 Grad“ und „ZDF Zoom“, die in die gleiche Güteklasse fallen wie „Der Rassist in uns“. Diese „Social Factuals“ von ZDFneo wiederholen wir im Übrigen auch im Hauptprogramm. Mich beschleicht das Gefühl, dass die Fülle an Dingen, die wir Woche für Woche liefern, manchmal an einzelnen Produktionen gemessen oder verglichen wird. Wenn wir einen Schritt zurücktreten und schauen, was das ZDF auf all seinen Kanälen, Plattformen und Beteiligungen wie 3Sat, Arte, ZDFneo und ZDFinfo anbietet und das zusammen bewerten, dann würden einzelne Sendeplatz-Fragen doch nichtig erscheinen.

Wie bewerten Sie eine Zusammenarbeit von ARD und Sky bei der gemeinsamen Serienproduktion „Babylon Berlin“?

Ich beobachte das mit Interesse. Allerdings bin ich der Meinung, dass das ZDF bestimmte Prestige-Projekte zunächst für sich alleine beanspruchen sollte. Genauer gesagt: Bei den von mir beschriebenen Event-Programmen möchte ich die deutsche Erstausstrahlung und den damit einhergehenden Image-Gewinn mit niemandem teilen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht mit internationalen Partnern Programme produzieren, die wir sonst in Deutschland allein nicht hätten stemmen können. „The Team“ ist das beste Beispiel dafür. Aber bei solchen Produktionen, die Themen und Standards setzen, halte ich nichts davon, zweite Geige zu spielen. Mit Sky verbindet uns dennoch eine langjährige Geschäftspartnerschaft.

Wie sieht die aus?

Wir sublizensieren unsere Programme für das Pay-TV, allerdings erst nach der Erstverwertung auf unseren Plattformen. Ich freue mich so auch, dass wir jetzt auch einen Zugang zu HBO-Produktionen haben, so dass wir im nächsten Jahr bei ZDFneo beispielsweise die HBO-Serie „The Knick“ als Free-TV-Premiere zeigen werden. Und darüber hinaus werden wir bei ZDFneo im kommenden Jahr ja auch stärker in die Eigenproduktion von Serien einsteigen.

Noch eine Frage: Hat die Champions League bei Ihnen den Appetit auf mehr Bundesliga geweckt, deren TV-Rechte im kommenden Jahr neu verhandelt werden?

Nein, ich glaube es wäre vermessen, wenn das ZDF gleichzeitig Champions League und Bundesliga beheimaten würde - und dies wäre zudem nicht zu bezahlen. Da finde ich den Status quo gut, so wie er ist.

Herr Himmler, herzlichen Dank für das Gespräch.