Fast scheint es, als könnten Internet und Fernsehen doch noch Freunde werden. Hieß es noch vor wenigen Jahren "die oder wir", so scheinen die Branchen jetzt die ersten Harmonien im vielstimmigen Chor der verschiedenen Mediengattungen schätzen zu lernen. Das jedenfalls ist der Eindruck, der sich im Verlauf des Bewegtbildkongresses TVKomm am gestrigen Dienstag in der Messe Karlsruhe bot.

Thema des Tages: Digitale Transformation. Einmal mehr, so mag man meinen. Doch statt zäher Grundsatzdiskussionen konzentrierte man sich bei dieser Tagung auf Präsentationen aus der Praxis im ausgewogenen Mix von Fernsehen, Online, Online-Fernsehen und Werbung. „Wir wollen einen möglichst breiten Horizont abdecken und den Austausch der Branchen fördern“, erklärte Projektleiter Axel Dürr.

Nach und nach reift nicht nur die Erkenntnis, sondern belegen auch harte Zahlen, dass die sinnvolle Verknüpfung von Fernsehen und webbasierten Medien erstaunliche Effekte haben kann. Klar, dass "Berlin - Tag & Nacht"" – das Fernseh-Web-Erfolgsformat von RTL II und Filmpool – in Karlsruhe in der Reihe der Best Practice-Vorträge nicht fehlen durfte. "Wenn es gut gemacht ist, wird TV immer davon profitieren", ist RTL II-Onlinechef Markus Piesch vom Mehrwert der Webaktivitäten überzeugt.

In seinem Vortrag gab er Einblick in Erzähl- und Produktionspraxis und nicht zuletzt auch Zahlen rund um den Erfolg des Vorabendhits, der 24 Stunden lang im Netz verlängert wird. Vordergründig werden in der Regel die immensen Fanzahlen bestaunt – fast 2,6 Millionen sind es derzeit. Bis zu 400.000 sind laut Piesch pro Woche tatsächlich auf den Seiten aktiv.

Von Kannibialisierungseffekten keine Spur: Mit dem Erfolg bei Facebook kam nach schwachem Start auch der Erfolg im Fernsehen. Und was erstaunlich und dennoch gut nachvollziehbar ist: Mehr als 80 Prozent der Facebook-Freunde verpassen keine Folge der Soap. Mehr als 90 Prozent schauen die Sendung sogar zumindest hin und wieder klassisch im TV.

Aller Technik zum Trotz: Das wirksame Instrument für die Zuschauerbindung heißt harte Arbeit. Je ein Redakteur beim Sender und in der Produktion sind vollständig für den Social Media-Strang der Sendung abgestellt. "In Spitzen kommt Unterstützung aus dem Team dazu", erklärt Piesch. Der Online-Chef warnt davor, das Thema auf die leichte Schulter zu nehmen: Die Online-Begleitung müsse von der ersten Stunde an konzeptionell und produktionell mitgedacht werden, so seine Mahnung. Als zentrales Erfolgskriterium nennt er "das gemeinsame Erleben und den intensiven Austausch".

Was Piesch am praktischen Beispiel erläutert, konnte Prof. Dr. Boris Kühnle in seinem Impulsvortrag, der in den Tag einführte, wissenschaftlich untermauern. Die Zeiten in denen das Netz als Gegenstück oder gar großer Vernichter des Fernsehens gedacht werden kann, sind ihm zu Folge vorbei. "Die Medien verstärken sich gegenseitig", so sein Fazit.

Das Fernsehen sieht er dabei nach wie vor in einer Spitzenposition. Es liefert nicht Gesprächsstoff, sondern steht laut einer Studie, aus der er referiert, nach wie vor bei den Digital Natives hoch im Kurs. Internet-Hits wie der Gangnam-Style seien außerdem erst zum Massenphänomen geworden, als das Fernsehen sich des jeweiligen Themas angenommen habe.

Doch die Entwicklung steht nicht still. Hat sich die Branche ganz allmählich auf die neue inhaltliche Bandbreite der digitalen Medien mit ihrer neuen Dynamik in der Kommunikation eingestellt, so stehen weitere Neuerungen vor der Tür. Mit der Internetlogik werde bald auch die technische Seite des Netzes Einzug auf den großen Bildschirm im Wohnzimmer halten, prognostiziert Kühnle. Mit technischen Faktoren wie verschiedenen Betriebssystem-Formaten und der Möglichkeit Cookies zu setzen, stehen dann bald schon Themen wie Targeting und Datamining auf dem Fernsehprogramm. Die Individualisierung kommt, da ist Kühnle sicher. "Nur anders als vor zehn Jahren gedacht".