Über das persönliche Wiedersehen statt Videokonferenzen freuten sich natürlich alle der nach Cannes gereisten Fernsehschaffenden, wurden dabei aber zunächst von den sehr lockeren Corona-Regeln überrascht - und dann der spürbaren Leere im Palais, ums Palais und in der Stadt. Ausstellungsflächen sind geschrumpft, die Pavillons großer Distributoren vorm Palais eingespart und sonst omnipräsente Werbeflächen für TV-Produktionen waren Mangelware. Dass man überhaupt bemerkte, dass drinnen im von außen werbefreien Palais des Festivals am Hafen etwas stattfindet, war dem rosa Teppich des Serienfestivals Canneseries zu verdanken, mit dem schon seit einigen Jahren die Frühjahrsmesse gestärkt werden soll.

Wie schon im Herbst bei der MIPCOM, der großen Schwester der Frühjahrsmesse MIPTV, waren die meisten Besucher jedoch erneut aus Europa. Gerade aus Asien waren die Besucherzahlen aufgrund der Pandemie weiterhin überschaubar, aus Osteuropa und Russland aus naheliegender Gründen ebenso. So war es es eine sehr europäische MIPTV, abgesehen von einem Talk zum Netflix-Hit „Squid Game“, den man allerdings schon im vergangenen Herbst erwartet hätte als die Serie gerade aktueller Hype war. Die Ausstellerliste war so übersichtlich wie noch nie, was die Aussagekraft der Messe als Trendbaromenter der Branche schmälert.

Einzelne Marktteilnehmer machten das Beste daraus: ZDF Studios beispielsweise wusste die ruhige Messe sehr effektiv für sich zu nutzen: Das Rebranding von ZDF Enterprises in ZDF Studios war omnipräsent in Cannes. Neben dem obligatorischen Sundowner am Strand - zusammen mit dem Brunch von Beta Film einem der wenigen Events rund um die MIPTV, die es noch gab - war der neue Markenauftritt auch in allen internationalen Publikationen zur Messe mit massiver Werbepräsenz vertreten. Ein 40-Seiten-dünnes „Variety“-Special enthielt gleich sieben Seiten Werbung für die neuen ZDF Studios.

Canneseries bei der MIPTV © DWDL Immerhin wies der rosa Teppich für Canneseries darauf hin, dass im Palais etwas stattfand

Politisch war diese MIPTV, wenn auch in Maßen: In seinem traditionellen StandUp vor Beginn der Präsentation des eigenen Angebots erwähnte Beta Film-CEO Jan Mojto den Krieg, die Hoffnung auf Frieden und die Zuversicht dass eines Tages die Heldengeschichten, die es in der Grausamkeit eines Krieges gebe, von ukrainischen Kreativen erzählt werden können. Und Virginia Mouseler eröffnete ihre „Fresh TV“-Präsentation mit einem elf Jahre alten Comedy-Format aus der Ukraine - dem erfolgreichsten TV-Export des Landes - aus der Feder von Wolodymyr Selenskyj. Ein eigener Programmpunkt im Kongressprogramm widmete sich ukrainischen Produktionen - was angesichts von Kämpfen um Leben und Tod aber doch etwas schräg wirkte.

Highlight in diesen Tagen in Cannes war für viele Besucherinnen und Besucher daher der Austausch am Rande der Messe. Das persönliche Wiedersehen von Geschäftspartnerinnen und -partnern. Die MIPTV als Anlass aber nicht Mittelpunkt der Reise nach Cannes. Mitunter konnten die im Wettbewerb von Canneseries gezeigten Serien mehr begeistern als das Geschäftspotential der Messe angesichts vieler fehlender großer Distributoren. Einmal mehr können auch deutsche Produktionen noch auf Festival-Glamour und -Auszeichnung hoffen: Die Preise von Canneseries werden am Mittwochabend vergeben.

Veranstalter RX, ehemals Reed Midem, hat jetzt noch eine Chance: Sollte die Pandemie bis nächstes Frühjahr abklingen, Reisebeschränkungen fallen, mehr Fachbesucher aus Asien wieder dabei sein können und auch der Krieg in Europa ein Ende finden, besteht für die MIPTV 2023 noch einmal die Chance auf eine Wiederbelebung mit mehr Besucherinnen und Besuchern. Sollte das nicht gelingen, kann im Frühjahr ein ausgebautes Serienfestival mehr Sinn machen als an der MIPTV festzuhalten. Wäre da nicht Series Mania, was spätestens in diesem Jahr zur attraktiven Konkurrenz für Cannes geworden ist.