Vor wenigen Tagen ist der Fernsehmoderator Andreas Hahn gestorben. Gut möglich, dass Ihnen sein Name nichts sagt. Das liegt möglicherweise daran, dass Sie, so wie der Autor dieses Textes, aus dem Westen Deutschlands stammen und es eher selten vorkommt, dass Sie das Fernsehprogramm des RBB schauen.
Bei dessen Vorgänger, dem ORB, machte Hahn einst Karriere. Zunächst als Sportreporter, später vor allem mit seiner Sendung "Der Sonne entgegen", die über zehn Jahre hinweg für hohe Quoten sorgte. Vermutlich nicht, weil ihr Konzept besonders innovativ gewesen ist, sondern weil sie im allerbesten Sinne so volksnah daherkam wie wohl kaum eine andere Show.
Das Konzept: Bewundernswert simpel. Ab 1997 lief Andreas Hahn alle zwei Wochen durch ein brandenburgisches Dorf, um einen Menschen in den Urlaub zu schicken. Nicht irgendwann, sondern sofort. Wer sich darauf einließ, bekam allenfalls einige wenige Minuten Zeit, um den Koffer packen, ehe es auf direktem Wege Richtung Flughafen ging, wo ein anderer Kandidat bereits wartete und die Reise antreten würde, sollte es Hahns Zufallsbekanntschaft nicht rechtzeitig zum Schalter schaffen. Wer flog, bekam eine kleine Kamera überreicht und musste filmen, was er fernab der Heimat erlebte. Die oft verwackelten Bilder, meist ähnlich unperfekt wie der Rest der Sendung, wurden schließlich zu Beginn der nächsten Ausgabe gezeigt.
Jüngst hat der RBB anlässlich des Todes von Andreas Hahn zahlreiche Folgen von "Der Sonne entgegen" noch einmal bis tief in die Nacht hinein wiederholt, und obwohl sie wahrlich unspektakulär produziert waren, entwickelte sich erstaunlich schnell so etwas wie eine Sogwirkung. Es war, als befinde man sich plötzlich mittendrin im ungeschönten Alltag der Nachwendezeit, in dem Männer in blauen Kitteln die Straßen pflastern, motivierte Floristinnen die Weihnachtsausstellung ihres Blumenladens für den nächsten Tag vorbereiten und Teilchen in der Bäckerei noch für eine Mark zu haben sind.

Von den meisten Menschen, denen Andreas Hahn einen kurzen Urlaub schenken wollte, erhielt der Moderator eine Absage. Weil sie Besseres vorhatten als einige Stunden später in ein Flugzeug zu steigen. Oder weil sie das zumindest vorgaben. Meist, so wirkt es in der Rückschau, waren es vorgeschobene Gründe. Die Hüfte, der Hund, der Chef, die fremde Sprache – und überhaupt, nein, so schnell geht das doch nicht.
Dazwischen sagt eine Frau eher beiläufig, sie könne nicht weg, weil sie gerade auf dem Weg zu ihrem ABM-Job sei. Eine andere erzählt, sie sei zuletzt irgendwann in den 70ern geflogen, noch zu DDR-Zeiten also – nach Moskau und Sotschi. Lange her, sagt Hahn, da habe sie es sich doch verdient, einmal in die Sonne zu fliegen.
Das Bemerkenswerte: Während Hahn durch die Dörfer pilgert, scheint es kaum einen Menschen zu geben, der ihn und seine Sendung nicht kennt. Kaum einen, der nicht schon einmal darüber nachgedacht zu haben scheint, wie er sich entscheiden würde, sollten der Moderator und sein Kameramann einmal bei ihm auf der Matte stehen und die Möglichkeit eröffnen, für eine Woche dem Alltag zu entfliehen. Glücklicherweise finden sich dann doch einige Glückliche, die sich trauen, die Reise anzutreten, wie eine junge Frau, die so unvorbereitet ist, dass sie sich zunächst noch einen Reisepass ausstellen muss und gemeinsam mit dem Moderator ins Fotostudio geht, um die notwendigen Passfotos machen zu lassen. Oder Otto, Mitte 70, der seiner Tochter Bärbel am Telefon erklärt, dass er kurzfristig nach Malta reist: "Socken hab' ich keene mit, aber das macht nüscht. Da gehen se alle Barfuß."
Wer sich die alten Folgen heute, teils über 25 Jahre später, ansieht, dem offenbart sich ein vielschichtiges Sittengemälde einer Zeit, in der viele Hoffnungen längst der harten Realität gewichen scheinen. Ein Eindruck, ermöglicht durch die beeindruckende Bürgernähe, die diese auf den ersten Blick so unscheinbare Sendung vermittelte. Ungefiltert und auf Augenhöhe kam Andreas Hahn mit den Brandenburgern ins Gespräch. Nicht belehrend, sondern Respekt zollend für das, was sie leisten. Hahn gelang mit seiner Show spielerisch, woran viele ernsthafte Fernsehformate bis heute scheitern: Er nahm die Menschen ernst.
Andreas Hahn wurde 59 Jahre alt.