"Ob eine Sendung 'funktioniert' hängt nie davon ab, wie begeistert die Zuschauer sind oder wie leidenschaftlich sie darüber debattieren, sondern nur wie viele sich am Ende messen ließen", stellt Harald Staun in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" fest. Er greift noch einmal das Thema eines kurzen Beitrages von ihm vor einigen Wochen auf und kritisiert die Einschaltquoten-Messung. Sein Mix aus Quoten-Kritik und leichtgläubiger Twitter-Euphorie an diesem Sonntag liest sich zwar so süffig wie ein gefälliger Wein über den Gaumen geht - sorgt aber für ähnliche Kopfschmerzen.

"Mad Men", "Breaking Bad", "Homeland" oder "Girls" seien in den USA auch keine Quotenerfolge, aber trotzdem zeitgenössische Popkultur. Wegen Twitter, so Stauns Erklärung. Das hilft der Popularität der Serien zweifelsohne. Aber von Retweets und Followern allein, so viel darf man wohl annehmen, werden auch US-Fernsehproduzenten nicht ihre Rechnungen bezahlen können. Das gelingt, weil alle von Staun genannten Serien in den USA im PayTV bzw. CableTV (und damit letztlich auch PayTV) laufen. Es wäre übrigens auch ein Teil der Erklärung, warum es bei ihnen nicht primär auf die Quote ankommt. Und dass mittlerweile bezahltes VoD, DVD und Bluray beliebte Wege sind um anspruchsvolle Serien am Stück schauen zu können, lässt Staun auch gleich ganz außer Betracht. Er preist stattdessen die Idee des US-Quotenerhebers Nielsen, die Reaktionen auf Twitter in die Messungen einfließen zu lassen. Als wäre das dann aussagekräftiger.

Doch die Annahme, dass Sendungen automatisch besser sind, wenn gleichzeitig getwittert und bei Facebook diskutiert wird, ist etwas leichtfertig. Sie verwundern jedenfalls für jemanden, der in Fernsehen und Film auch so etwas wie Kunst sieht, wie man es Harald Stauns Texten sonst entnehmen kann. Packende Fernsehunterhaltung, die mir für Tweets und Kommentare keine Zeit lässt, wäre demnach also ein Verlierer, wenn die Parallelbeschäftigung ein Indikator für die Qualität von Inhalten wäre. Der Wunsch hinter dem Twitter-Gedanken ist verständlich: Endlich qualitative Aussagen zum Programm zu bekommen. Das jedoch auf automatischem Wege mit einer einheitlichen Auswertung von Tweets zu probieren, ist dann doch etwas zu kurz gedacht. Genauso wie die naive Annahme, dass Twitter allein Social Media umfassend abdecken würde. Stichwort: Facebook.

Dass sich übrigens auch die Quotenmessung in Deutschland ändern soll - es findet mit keinem einzigen Wort Erwähnung in Harald Stauns Kritik an der aktuellen Messung: "Diese Methode ist nicht nur deshalb dürftig, weil sie die Zuschauer der Online-Mediatheken nicht berücksichtigt, die auch in Deutschland bei manchen Sendungen die des traditionellen Fernsehpublikums schon übersteigen. Sondern auch, weil sie das, was Programmmacher (und auch Werbekunden) eigentlich interessiert sein müsste, nicht messen kann: Ob die Menschen mögen, was sie gucken." Auch da muss man Staun widersprechen. Minutenverläufe geben immerhin Aufschluss darüber, ob während einer Sendung abgeschaltet wurde - oder sogar Zuschauer gewonnen wurden.

Mehr ist in der Tat nicht drin. Aber das erwartet auch niemand von ihr. Die Quote ist in erster Linie Orientierung für Erfolg und Misserfolg im Privatfernsehen. Dort geht es letztlich um nichts Anderes als den Verkauf von Werbespots. Und stimmt die Reichweite der Werbeumfelder nicht, kostet das die Sender Geld und schlimmstenfalls Arbeitsplätze beim Produzenten. Wenn die Quoten also von Branchendiensten analysiert werden, dann liegt es an der wirtschaftlichen Relevanz für eine ganze Fernsehlandschaft. Das unterschlägt Harald Staun ganz elegant. Er suggeriert stattdessen, das in die Quote hineininterpretiert werde, was allerdings in erster Linie durch ihn geschieht. Nicht durch die, die mit der Quote arbeiten. Die unterscheiden schon zwischen Erfolg am Markt und inhaltlicher Qualität.

  • Was sagt das Endergebnis schon über die Qualität des Fußballspiel aus?
  • Was sagt ein Aktienkurs schon über die Qualität eines Unternehmens und seiner Produkte aus?
  • Was sagen die Besucherzahlen eines Kinofilms schon über die Qualität aus?
  • Was sagen Verkaufszahlen von Büchern oder Zeitungen schon über die Qualität aus?


Nichts. Und es gibt sie trotzdem. Man könnte Herrn Staun den Gefallen tun und Verkaufszahlen, Besucherzahlen, Aktienkurse und Sport-Endergebnisse abschaffen. Willkommen in einer Traumwelt. In der Realität jedoch gibt es all das - und die Quote auch. Warum? Weil das Fernsehen - Überraschung - nicht nur Kunst ist, sondern auch Geschäft. Eine offenbar schockierende Erkenntnis für das Feuilleton. Es hätte eine interessante Analyse werden können zur Zukunft des Fernsehens abseits der derzeit gemessenenen Empfangswege. Aber so wurden spannende Fragen umschifft und allein durch Twitter-Kult ersetzt, der keine belastbaren Antworten liefert. Schade.