Alles beginnt mit einer Motorrad-Gang und ihren weiblichen Mitgliedern. „Ich will wissen, ob sie neben Verkehrsgesetzen auch Knochen brechen“, sagt Thilo Mischke. Er führt durch die neue ProSieben-Reihe „Uncovered“ und ist für die erste Folge den gefährlichsten Gangs der Welt auf der Spur. Ein Ansatz, der den Auftakt der neuen Reihe völlig unnötigerweise falsch verkauft. Aber vielleicht braucht die Zielgruppe diesen Superlativ. Die Motorrad-Gang aber auch Untergrund-Boxkämpfe seien so etwas wie die Nachwuchsschmiede für die Yakuza, die japanische Mafia. Um die soll es zuerst gehen. Ein schwacher Einstieg.

Als erste Konfrontation mit den Yakuza in Japan wird das unpassende Outfit von Thilo Mischke inszeniert. „Krass respektlos. Selbst unser Assistent hat einen Anzug an“, urteilt Sebastian, ein seit zehn Jahren in Japan lebender Journalist, der den Kontakt zur Mafia herstellen soll, über dessen sportliches Outfit. Man kann an dieser Stelle gut finden, dass sich Mischke dem Thema so naiv nähert - oder sich wundern, dass Experte Sebstian so etwas nicht vor dem ersten Treffen mitteilt. Dass sich die Mafia - egal um welche es sich nun handelt - gerne mit einem vornehmen Äußeren schmückt, ist darüber hinaus eigentlich auch nicht so unbekannt. Geändert wird das Outfit für die weitaus später am Tag stattfindende Begegnung aber trotzdem nicht.

Dann hätte man schließlich eine inszenierte Eskalation. Diesen Quatsch anzuschauen, tut weh. Nach wenigen Minuten von „Uncovered“ macht sich Enttäuschung breit. Man will die neue Reportage-Reihe so gerne mögen, aber sie macht es einem schwer. Zumindest dann, wenn man sie ernst nehmen will. Sie ist schließlich ganz stimmungsvoll in Szene gesetzt und sehr bemüht darum, anders zu sein. Wenigstens ein Fleißpreis sollte drin sein. Fehlende Nachvollziehbarkeit der immer wieder betont gefährlichen Recherche und absichtlich oder aus mangelnder Vorbereitung heraus kreiierte Situationen trüben die Begeisterung. Es wird auch nicht erklärt, warum manche angeblich  so gefährliche Szene offen mit Kameras gedreht werden konnte. dabei würde das der Glaubwürdigkeit helfen.

Uncovered© ProSieben

Stark ist „Uncovered“ zu diesem Zeitpunkt nur dann dann, wenn die Reportage beobachtet; wenn Thilo Mischke nicht im Mittelpunkt steht oder die Off-Stimme inhaltlich überleiten muss. So folgt auf anfangs bewusst inszenierte Begegnung mit der Yakuza ein erkenntnsreicherer Austausch. Spannend sind Mischkes klug gewählte Fragen. Wovor habe er Angst, will er vom Mafiosi wissen. Immer vorausgesetzt, dass die vor Ort getroffenen Personen auch sind, was sie vorgeben zu sein. Leider schwingt das Misstrauen mit: Ist der japanische Mafiosi wirklich einer und seine Geschichten echt?

Das lässt sich schwer überprüfen und ist vermutlich unfair. Einmal mehr: Man möchte „Uncovered“ mögen und glauben, aber wenn ein identifizierbarer Gentleman in die Kamera gesteht, sechs Menschen umgebracht zu haben, dann mischt sich in die vermutlich erwartete Ehrfurcht die Frage im Hinterkopf: Und das erzählt er vor laufender Kamera? Nach einer weiteren vermeintlichen Eskalation des Gesprächs wird heiter getrunken, gelacht und Karaoke gesungen. Happy End. Immer und immer wieder kommt man bei „Uncovered“ ins Grübeln und das nicht auf die vermutlich beabsichtigte Art und Weise. Vielleicht besser abschalten?

Immer und immer wieder aber denkt man auch: Schmissig inszeniert und unterhaltsam ist es. So manchen Zuschauer werden Ungereimtheiten nicht stören. Dass ProSieben ein Team rund um die Welt schickt und sich mit diesen Themen beschäftigt, ist außerdem bemerkenswert. Nur die Form muss noch reifen. Wer an dieser Stelle von „Uncovered“ jedoch tatsächlich aufgibt, verpasst eine bemerkenswerte Steigerung. Es folgt der Sprung von Japan nach Brasilien. Die zweite Etappe führt zu den Pixadores. Wir hören portugiesisch - dazu deutsche Untertitel. Es geht eine Gang, die über den Dächern der Stadt mit Graffiti „unübersehbare Zeichen schaffen wollen“.

Sie wollen hoch hinaus und doch ist die Fallhöhe bei dieser Begegnung geringer: Die „Five Star Family Gang“ ist eben ein anderer Schlag; eine nicht gerade sympathische aber deutlich nahbarerere Gruppe von Graffiti-Künstlern als die japanische Mafia. Das hilft Thilo Mischke und dem Format. Für starke Bilder ist Graffiti über den Dächern natürlich auch sehr dankbar. Wichtiger aber ist die Tatsache, dass hier der persönliche Ansatz von Mischke besser wirkt und mehr erzielt. Nur das ständige Betonen von Gefahr und Angst - da sprächen die visuellen Eindrücke schon gut für sich allein. Es ist nur ein kurzer Teil der Sendung. Weiter geht es nach El Salvador, dem gefährlichsten Land der Welt. Das wird durch die durchgehend stylischen Infografiken und einige Statistiken untermauert.

Ein gerade ausgerufener Waffenstillstand unter den drei gefährlichsten Gangs des Landes ermögliche Dreharbeiten in sonst lebensbedrohlichen Vierteln, erfahren wir. „Ist das okay für Dich?“ fragt Mischke den Kameramann. Kurz blitzt einmal die Nachvollziehbarkeit der Dreharbeiten auf, die man sich häufiger gewünscht hätte. Aus dem Off kommentiert Mischke wenige Sekunden nachdem wir erfahren haben, wie gefährlich dieses Land sei und dass ein Waffenstillstand zwischen Banden eine wichtige Breaking News ist, er sei überrascht von der großen Präsenz von Polizei und Militär. Nun gut. Aber davon abgesehen: „Uncovered“ gibt sehr interessante Einblicke in ein Land im permanenten Ausnahmezustand.

Uncovered© ProSieben

Mischke gelingt ein gleichzeitiges Treffen mit Mitgliedern der drei sonst verfeindeten Banden. Mit Mütze, Sonnenbrille und Schal vorm Gesicht wollen sie anonym bleiben. „Uncovered“ belohnt jene Zuschauer, die sich vom schwachen Einstieg nicht haben abschrecken lassen und dran geblieben sind. Zur durchgehend schicken Inszenierung kommt jetzt auch echter Erkenntnisgewinn. Entscheidend sind auch hier wieder die richtigen Fragen von Mischke. So geht es plötzlich nicht mehr um die Faszination für Gewalt und Bedrohung - sondern die Frage, wer in einem korrupten Land eigentlich für was kämpft und wer die Guten bzw. Bösen sind.

Ausgleichend dazu dann danach die Perspektive der Staatsmacht in El Salvador. Es ist ein wohltuendes Korrektiv, das den Vorwurf im Keim entkräftet, sich in der Faszination für das Böse zu ergehen. Man bekommt Einblicke in den traurigen Pragmatismus, der wenig mit dem Verständnis von Rechtsstaat zu tun hat, wie wir es kennen. Spannend auch die Erkenntnis, dass sich Mischke in den Vierteln sicherer fühlte ohne die schwerbewaffnete Polizei als mit. Ein Gefühl, das durch die Bilder bekräftigt wird und verdeutlicht, wie sich Stimmungen hochschaukeln können. Die Suche nach vergrabenen Opfern der Gangs - beklemmend.

Die Faszination für die japanische Mafia wirkt wie ein billiges Gimmick gegen die wertvollen, hautnahen und weitaus nachvollziehbareren Einblicke, die das Team von „Uncovered“ in El Salvador gewinnt und das auch noch aus vielerlei Perspektiven. Beunruhigend im guten, weil Gedanken anregenden Sinne, ist die so aufgeworfene Frage nach Gut und Böse. Sie lässt „Uncovered“ auf einem Niveau enden, das man anfangs nicht für möglich gehalten hätte - mit einer Relevanz, die man so trotz einiger anderer Bemühungen von ProSieben, dem Sender so gar nicht zugetraut hätte.