Besucher einer Fachmesse sind häufig kein allzu einfach zu begeisterndes Publikum. Doch es dauerte am Dienstag nur wenige Minuten, ehe bei der Weltpremiere der Neuauflage von "Akte X" im bis auf den letzten Platz gefüllten Grand Auditorium des Palais des Festivals in Cannes Applaus aufbrandete: Die bekannte "Akte-X"-Melodie und der Original-Vorspann sorgten dafür. Und das lag nicht etwa daran, dass der Vorspann der neuen "Akte X"-Serie aufgrund der erst vor kurzem beendeten Dreharbeiten noch nicht vorgelegen hätte: "Wir haben über Änderungen im Vorspann nachgedacht – aber es wäre uns wie ein Sakrileg vorgekommen", erklärte Serienschöpfer Chris Carter im Anschluss auf der Bühne. So wird also beim neuen "Akte X" das gleiche Intro zu sehen sein wie bei den letzten 202 Folgen.
Das zeigt schon exemplarisch: Die Macher von "Akte X" setzen alles daran, die Fans von damals mitzunehmen und am besten niemanden zu enttäuschen. Um es kurz auf den Punkt zu bringen für diejenigen, die an dieser Stelle lieber nicht weiterlesen möchten um so wenig wie möglich zu wissen, nur so viel: Es werden viele Erwartungen erfüllt. Natürlich sind die Geschichten modernisiert, aktuelle Entwicklungen wie der Überwachungsskandal der NSA aufgegriffen und auch Scully und Mulder sind von Klapphandys zu Smartphones gewechselt und genießen die Vorzüge des Internets. Doch sonst: "Scully ist noch immer Wissenschaftlerin durch und durch, Mulder glaubt noch immer, dass die Wahrheit hinter den Grenzen der Wissenschaft zu finden ist", erklärt Carter.
Während die beiden zuletzt ein Paar waren und unter demselben Dach wohnten, gehen sie zum Start der neuen Folgen beruflich wie privat getrennte Wege. Wie es dazu kam, wird in der Premiere kurz angerissen - weitere Details zu den letzten 13 Jahren sollen folgen. Die Macher nehmen sich aber auch die Zeit, eine Folge lang herzuleiten, wieso die beiden nun wieder zusammenfinden und die "X-Akten" wieder zu öffnen. Auch sonst setzt "Akte X" auf die klassischen Zutaten, von Entführung durch Außerirdische und Alien-Technologie bis zur Regierungs- oder gar internationalen Verschwörung, von Director Skinner über das Büro mit den Stiften an der Decke bis zum geheimnisvollen Raucher ist alles an Bord.
Passt eine Serienidee der 90er Jahre mitten ins neue, goldene Zeitalter für Fernsehserien? Auf die Frage, ob sich "Akte X" ändern müsse, um dem Zeitgeist zu entsprechen, scherzt Serienschöpfer Carter: "Stimmt, heutzutage muss man in seiner Serie ja möglichst schnell eine Hauptrolle sterben lassen", sagt er nach der Weltpremiere im Palais des Festivals und lacht. "Ich könnte ihnen jetzt... nein, kann ich nicht", fügt er noch hinzu und lacht erneut. Einige besonders eingefleischte "Akte X"-Fans im Publikum mussten den Gag erstmal verdauen.
Während man annehmen könnte, dass bei gerade mal sechs Folgen dem aktuellen Zeitgeist entsprechend nur eine horizontale Geschichte erzählt wird, versichert Chris Carter: Das Monster-of-the-Week bleibt. Die Folgen 2 bis 5 bilden demnach eigentlich abgeschlossene Geschichten, nur die erste und die letzte Folge beschäftigen sich ausschließlich mit der übergreifenden Mythologie. Dabei gebe es einen Mix aus den düstereren Folgen, wie man sie aus den ersten Staffeln kennt, und eher leichteren, lustigeren Folgen wie in späteren Staffeln. Bloß keinen Fan verprellen, das scheint auch hier die Devise.
Unweigerlich stellt sich nur die Frage, ob das nicht alles etwas zu viel des Guten für nur sechs Folgen ist. Vielleicht werden es auch mehr - eine Fortsetzung will Chris Carter bei seinem Auftritt in Cannes jedenfalls nicht ausschließen. Schon die Neuauflage nach 13 Jahren erscheine ihm surreal und wie ein wahr gewordener Traum, weil er einfach gerne aus den X-Akten erzähle. "Wenn es gut läuft und die Zuschauer zufrieden sind, dann findet sich bestimmt eine Möglichkeit der Fortsetzung." Und mit einem Augenzwinkern schickt er hinterher: "Mulder und Scully werden im Rollstuhl sitzen ehe diese Serie endet."