Die Deutschen gelten ja nicht unbedingt als leidenschaftliche Optimisten. Umso verblüffender ist die durchweg gute Stimmung in Cannes, was nicht allein am Wetter liegt. Auch wenn die Stimmung und Atmosphäre oft durch solche Banalitäten bestimmt wird, kann es am Montagabend keine Rolle gespielt haben: Als das Medienboard Berlin-Brandenburg und die Film- und Medienstiftung NRW zum German MIP Cocktail an den Pool des Hotel Majestic baten, traf sich die gesammelte deutsche Branche - jedoch bei dichter Bewölkung mit Chance auf Regen. Das tat der Stimmung jedoch keinen Abbruch. Die MIPTV 2012 ist, da folgt sie dem Trend der letzten Jahre, nicht mehr das große Spektakel. Doch die Reduzierung der Teilnehmerzahlen schade nicht der Qualität des Publikums, wie viele deutsche Produzenten und Senderverantwortliche übereinstimmend urteilen. Weniger MIPTV-Tourismus sorgt für die Konzentration auf das Wesentliche: Das Geschäft. Und das läuft gut.
Des einen Freud ist des anderen Leid: Das trifft natürlich auch auf die MIPTV zu. So freuen sich die Produzenten über zahlreiche Baustellen im deutschen Fernsehen, die es kurz- oder mittelfristig zu bestücken gilt. Bei Sat.1 will der Vorabend und mit ihm gleich der ganze Sender gerettet werden, bei RTL braucht man dann doch bald ein Rezept für mindestens zwei Abende pro Woche, an denen man jahrelang sorgenfrei mit US-Serien arbeiten konnte, doch derzeit mit strauchelnden Quoten kämpft. Dazu kommen die Experimente der Öffentlich-Rechtlichen in ihren Digitalkanälen und das 2012 sehr lebendige deutsche Pay-TV sowie Video-on-Demand-Plattformen als neue potentielle Abnehmer. Hier hat im vergangenen Jahr besonders das Engagement von US-Player Netflix die Fantasien der TV-Produzenten beflügelt. Nach Jahren der Spekulation über die Zukunft des Fernsehens und insbesondere die Verwertungskette von professionellem Content, zeigt die MIPTV in Cannes in diesem Jahr besonders eins: Der Reiz des Möglichen hat die Zweifel besiegt.
Dass sich einmal mehr die US-Player zur Frühjahrs-MIP rar machen, stört inzwischen nicht mehr. Noch im vergangenen Jahr wurde es als Makel der MIPTV empfunden, doch dass die Hollywood-Studios sich bis auf Warner Bros. im Frühjahr angesichts der bald anstehenden Upfronts und LA Screenings die Reise an die französische Mittelmeerküste sparen, ist verständlich und schadet dem Branchentreff nicht. Im Gegenteil: Schon seit einigen Jahren erlebt die europäische oder besser gesagt non-Hollywood-Koproduktion einen neuen Höhenflug. Auch diesmal. Beispielsweise mit der vorgestellten Jean Reno-Serie "Le Grand" - in Frankreich gedreht, von SevenOne International vermarktet - oder der für BBC America in Kanada gedrehten Krimi-Serie "Copper" mit u.a. Franke Potente. Ohne Hollywood vor Ort spielen diese Produktionen nicht nur die zweite Geige. Die MIPTV ist in diesem Jahr weniger verblüffend aufgrund neuer Hit-Formate als aufgrund zahlreicher ungewöhnlicher Kooperationen. Da arbeitet etwa die BBC plötzlich mit dem chinesischen Dokusender CCTV9 zusammen, deutsch-amerikanische Doku-Allianzen werden geschmiedet. Selten zuvor war die TV-Welt so vernetzt, aber auch gleichzeitig so komplex. Die Branche denkt neu und sorgt so für frischen Wind.
Neben neuen Verwertungsketten dank neuer Plattformen weckt auch der Themenschwerpunkt Branded Entertainment die vielleicht zu lange zu konservativ denkende TV-Branche auf. Nicht, dass Branded Entertainment ein neues Thema des Jahres 2012 wäre. Aber das sind neue Möglichkeiten im Web ja auch nicht. Nur: Die manchmal zu stolze TV-Branche öffnet sich. Ob das schnell genug geschieht, fragt sich mancher. Aber die Bewegung ist da. Vielleicht auch, weil die albernen Diskussionen um Web-Content und Mobile-Content der Vergangenheit angehören. Darauf hatten die TV-Produzenten nie große Lust und haben bei einigen Versuchen in erster Linie viel Geld verloren. Jetzt jedoch nähern sich beide Seiten an. Die Sexyness von Smartphones und Tablets verlockt die Produzenten - und so mancher Internet-Riese stellt sich als Abnehmer genau dessen heraus, um das es in Cannes schon immer ging: Gutes Fernsehen. Die MIPTV 2012 - keine Messe der Trends, aber der Chancen.