Als die Stimmung unter den öffentlich-rechtlichen Diskutanten gerade zu harmonisch zu werden drohte und man sich gegenseitig der spannenden Umbruchzeiten in der Fiction versicherte, sorgte eine Wortmeldung aus dem Fachpublikum für den nötigen Realitätscheck. "Es ist ja toll, dass Sie so viel neues Mutiges vorhaben", sagte die Grimme-Preis-gekrönte Drehbuchautorin Hannah Hollinger ("Grenzgang"). "Jetzt sollten Sie aber nicht nur über Mut reden, sondern ihn auch an den Tag legen. Denn bei uns ist der Mut, von dem Sie sprechen, noch nicht angekommen. Noch herrscht eher die Respektlosigkeit im Umgang mit unseren Stoffen vor."

Festivalchefin Klaudia Wick schrieb ihren Gästen prompt den entsprechenden Arbeitsauftrag ins Stammbuch und drohte mit Überprüfung im nächsten Jahr. Zur abendlichen Diskussionsrunde in Baden-Baden hatte sie die ZDF-Vertreterinnen Heike Hempel (Fernsehfilm/Serie II) und Katharina Dufner (Fernsehfilm/Serie I), SWR-Fiction-Chefin Martina Zöllner und Degeto-Redaktionsleiter Sascha Schwingel eingeladen, um über neue Stoffe für den Fernsehfilm zu sprechen. Es war abzusehen - und in Zeiten der neuen deutschen Serienwelle auch angebracht -, dass es dann mindestens genauso intensiv ums serielle Erzählen ging.



Auch wenn SWR-Managerin Zöllner davor warnte, Serie und Fernsehfilm gegeneinander auszuspielen, machte sie doch klar, dass es am Ende eine Frage des Geldes sein könnte: "Wir haben nicht zu wenig, wir müssen es künftig nur anders ausgeben." Ein Stück weiter schien da bereits Heike Hempel mit ihrem Befund: "Das Gerangel zwischen Fernsehfilm und Serie ist international längst zugunsten der Serie entschieden. Und auch bei uns wird sie bald die klare Königsklasse sein." Wenn es nun darum gehe, horizontaler und komplexer zu erzählen, gebe es noch einige To-Do's, bevor man das amerikanische, britische oder skandinavische Qualitätsniveau erreichen könne. Ihr Appell an Autoren und Produzenten: "Lassen Sie uns die Lücken gemeinsam schließen! Ziehen Sie uns, wenn nötig, an den Ohren!"

Dass das bei ARD und ZDF manchmal tatsächlich nötig sein könnte, machte die oftmals kontroverse Diskussion deutlich. Immer wieder ging es um Sendeplätze und Formatierungen - und wie viele Experimente diese überhaupt zulassen. Als Beispiel widmete die Runde sich der gerade abgedrehten ZDF-Miniserie "Die Lebenden und die Toten", die Autor und Regisseur Matthias Glasner mit einem jungen Writers' Room in Berlin entwickelt hat und die von der Studio-Hamburg-Tochter Real Film produziert wird. Ursprünglich als Krimireihe mit starker horizontaler Linie zwischen den 90-Minütern geplant, wurde sie mitten im Prozess zur Serie umformatiert. Das Ergebnis sind nun ein 90-Minüter und vier 60-Minuten-Folgen. "So einen Sendeplatz haben wir nicht. Jetzt müssen wir ihn finden, das wird sicher eine Herausforderung", sagte die zuständige ZDF-Redakteurin Dufner.

Tröstliche Erkenntnis: Solche Formalien können die anrollende Welle allenfalls bremsen, aber nicht stoppen. "Neue Miniserien brechen sich bahn, auch wenn unsere Strukturen, Sendeplätze und Finanzierungen noch nicht darauf ausgelegt sind", ist sich jedenfalls Martina Zöllner sicher. "Deshalb werden solche Miniserien momentan in mehreren ARD-Anstalten entwickelt - ohne Gewähr, denn bisher waren sie ja nicht vorgesehen."

Für noch mehr Realitätscheck im Baden-Badener Kurhaus sorgte Degeto-Mann Schwingel, dessen Redaktion den vergangenen Freitag mit 50 repräsentativ ausgewählten Stammzuschauern verbracht hatte, um deren Vorlieben hautnah kennen zu lernen. Eines von mehreren Ergebnissen war laut Schwingel, dass nicht unbedingt der Wunsch nach neuen unkonventionellen Erzählformen im Vordergrund steht, sondern: "Kamera ruhig halten, genug Licht und deutlich sprechen!"