Wenige Stunden nach dem Zugunglück von Bad Aibling ist auf YouTube ein Video veröffentlicht worden, das unmittelbar nach der Kollision zweier Bahnen entstanden ist. Mehrere Minuten lang sind darin Opfer zu sehen und hören. Kaum zu ertragen seien die Eindrücke, schreibt ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke im "Tagesschau"-Blog - und erklärt, weshalb man sich dennoch dazu entschied, eine ganz kurze Sequenz daraus auszustrahlen. Das Weinen, Stöhnen und die Hilferufe habe man jedoch "auf keinen Fall dokumentieren" wollen, erklärte Gniffke mit Verweis auf den "Respekt vor den Opfern".

Und weiter: "Außerdem würde es mit Sicherheit viele Zuschauer verstören, die nicht schnell genug an die Fernbedienung kommen." Auf der anderen Seite sei das Video jedoch "ein authentischer Blick auf das Unglücksgeschehen" und man zeige schließlich auch die Bergung von außen. Gniffke gibt allerdings zu, dass die Entscheidung, keinen Ton und keine Bilder der Verletzten zu zeigen, als "halbherziger Kompromiss" aufgefasst werden könne. "Ein Kompromiss vielleicht, aber einer, der dem journalistischen Informationsauftrag ebenso gerecht wird, wie dem Respekt gegenüber den Opfern - und den Zuschauern."

Weit mehr als 100 Kommentare befinden sich inzwischen unter Kai Gniffkes Blog-Eintrag - die meisten davon äußern sich kritisch zur Ausstrahlung der Bilder aus dem Inneren des Zuges. "Es ist unerträglich, dass die 'Tagesschau' immer mehr der angeblichen Sensationsgier des Publikums nachgibt", schreibt einer. Und ein anderer fragt: "Welche Eindrücke soll ich durch dieses Wackelvideo gewinnen? Und noch wichtiger: Wem soll das dienen?" Tatsächlich kann der Nutzen der gezeigten Bilder in Zweifel gezogen werden, schließlich zeigte die "Tagesschau" kaum mehr als vereinzelte Trümmer, Sitze und einen Feuerlöscher.

"Wenn man wirklich einen Eindruck von dem Geschehen sehen und es ertragen möchte müsste man es komplett schauen", gibt ein Leser in den Kommentaren zu bedenken zu ergänzt: "Die Vorstellungskraft der Zuschauer geht weit über diese sinnlosen Wackelbilder hinaus, mit denen hier ein Informationsgewinn vorgegaukelt wird." Die britischen Kollegen der BBC haben sich übrigens dazu entschlossen, längere Sequenzen aus dem bei YouTube hochgeladen Video auszustrahlen, sprachen gleichzeitig aber mit dem Mann, der in den Minuten nach dem Unglück mit dem Handy filmte - womöglich ist das der deutlich ehrlichere Kompromiss, sofern man sich dazu entscheidet, das Material für die Berichterstattung zu verwenden.

Die Frage, wie ein Mensch überhaupt in einer solchen Situation mit seinem Smartphone über mehrere Minuten mit dem Smartphone einfach "draufhalten" könne, will ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke übrigens nicht in Gänze beantworten. "Dieses Verhalten ist doch eigentlich empörend", schreibt er im "Tagesschau"-Blog. "Aber auch dieser Mensch hat das Unglück im Zug miterlebt, ist möglicherweise traumatisiert und hätte sich anders verhalten, wenn er als Unbeteiligter an die Unglücksstelle gekommen wäre. Ich möchte mir über ihn kein Urteil erlauben."