Vielleicht hätte man es ahnen müssen in den vergangenen Wochen. Im Nachhinein jedenfalls sind die geheimen Hinweise in Phil Laudes Videos unübersehbar. Im Sketch "ALMAN spielt Landwirtschafts-Simulator" steigert er sich in den Rausch des korrekten Bildschirm-Trekkerfahrens hinein und wirft seinem Mitspieler mangelnde Gameplay-Weitsicht vor: "Im Leben kann man auch nicht einfach das Spiel neu starten!" Die "JUGENDWÖRTER 2025, erklärt für alte Menschen", sind ein einziger Schrei nach dem Sofortantritt des Quiz-Erbes von Johannes B. Kerner. (Das crazy.) Und in "Wenn ChatGPT zur SUCHT wird" bemüht er sich um einen Ausweg aus der Dauer-Prompterei: "Ich hab einfach verlernt, mir selbst zu vertrauen." Und: "Der erste Schritt ist der Wunsch zur Veränderung."

Trotzdem kam es vor einer Woche für viele ein bisschen überraschend, als in Laudes YouTube-Kanal ein Video erschien, in dem er ausnahmsweise mal was superernst meinte: "Ich würde ich euch gern erklären, warum ich mit YouTube aufhör."

Nicht der einzige, der Schluss macht

Zwischen Kaputtlachen über Versprecher, Gags über die eigene Unverzichtbarkeit ("Kann man den bringen – ja, oder? Schon") und Spontan-Sentimentalität mit dem Kollegen, der nicht aufs Cover darf ("Das waren jetzt acht Jahre Videos?" – "Oh Gott, hör auf, Digga." – "Crazy time. Ja, lass dich mal drücken") lautete die Kernbotschaft an die Community: "Vielen Dank an euch, das waren megaschöne Jahre."

Laude ist nicht der einzige, der Schluss macht. Einen Monat zuvor setzten sich bereits Dennis und Benni Wolter mit falschen Bärten vor die Kamera in ihrem "World Wide Wohnzimmer" und kündigten eine "Pause mit dieser Art von Content" an, bevor nach dem Dank ans ganze Team die Produktion neuer "WWW"-Folgen vorübergehend ausgesetzt wurde. Zwei Jahre zuvor hatte bereits Mai Thi Nguyen-Kim "Das Ende von maiLab" – und damit auch das ihrer Karriere als YouTuberin – erklärt.

Alle sind bzw. waren Mitte 30. Und alle sind müde vom Rennen im Content-Hamsterrad, bei dem regelmäßig neue Videos upgeloadet werden müssen, um den Erwartungen der abonnierenden Fans gerecht zu werden.

Dem eigenen Medium entwachsen

Die erste Generation der Youtuber:innen ist nun offiziell dem Medium entwachsen, das sie hat groß werden lassen. (Im wahrsten Sinne des Wortes.) Und die Begründungen für die Abschiede ähneln sich: "Seit ich 16 bin, mach ich mehr oder weniger lustige Videos auf YouTube. Das heißt: mein halbes Leben lang", erklärte Laude und formulierte den Wunsch nach Auszeit und Veränderung. Die Wolter-Zwillinge argumentierten, sie hätten zuletzt täglich neues Material gedreht: "Sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Es gab keine Freizeit." (Wobei: naja.)

Am deutlichsten aber brachte damals Nguyen-Kim das YouTube-Dilemma auf den Punkt: "With great Abozahl comes great responsibility." Wegen der wachsenden Reichweite sei auch der Ehrgeiz, besonders gute Inhalte abzuliefern, immer größer geworden – bis zur Blockade. Gleichzeitig verschoben sich ihre Prioritäten mit dem ersten Baby grundlegend. Als Mutter wisse sie es sehr zu schätzen, staffelweise fürs Fernsehen drehen zu können und dann auch mal "eine längere Kamerapause" zu haben.

Das ist nicht nur verständlich – sondern auch ein Indiz dafür, wie früh das klassische Fernsehen gemerkt hat, dass es zwar die lange vernachlässigte Nachwuchsförderung an eine amerikanische Videoplattform outsourcen kann, wo die Talente von alleine groß werden. Dass es dann aber auch den richtigen Zeitpunkt abpassen muss, sie ins dafür geschaffene Funk-Netzwerk zu holen, das junge Angebot von ARD und ZDF.

Brücken ins traditionelle Angebot

Auch wenn die Werdegänge der oben Genannten allesamt sehr unterschiedlich verlaufen sind: Die Verantwortlichen auf Seiten der Sender waren so schlau, ihren Stars das vertraute Medium zu lassen, aber gleichzeitig Brücken in die – sagen wir: traditionelleren Angebote zu bauen. Und zwar ohne ihnen direkt die Sachzwänge des Linearen überzustülpen.

Das hat so manche:r mit der Zeit von selbst zu schätzen gelernt. Nguyen-Kim ist schon seit Jahren im ZDF-Kosmos angekommen, unverzichtbarer Teil des "Terra X"-Markenkosmos und hat beeindruckende acht Staffeln ihrer sehr besonderen ZDFneo-Wissenschaftserklärshow "MaiThink X - Die Show" abgeliefert. Phil Laude darf sich in seiner für die ARD Mediathek produzierten Comedy-Satire "Almania" über den schwierigen Alltag an deutschen Schule auslassen, Staffel drei startet Ende Oktober.

Die Wolter-Zwillinge hingegen hat man der privaten Konkurrenz auf dem Silbertablett serviert, weil sie "der Funk-Zielgruppe entwachsen" sind. Woraufhin Joyn sie zunächst beauftragte, wwweiterzumachen wie bisher – um festzustellen, dass doch ein bisschen was anders werden muss. Für Ende des Jahres sind "WWW"-ausgekoppelte Spiele als ProSieben-Shows mit wöchentlicher Taktung angedeutet. (Im Idealfall ausgereifter als beim quotentechnisch überschaubaren letzten Mal.)

Lustiger, pointierter, vielschichtiger als im TV

Doch diese drei Beispiele täuschen über ein größeres Problem hinweg: Es gibt keinerlei erkennbare Systematik, mit der die Sender darauf reagieren, dass ihre Stars der nächsten Generation berechenbar in den YouTube-Burnout laufen. Etwa, um ihnen – im Idealfall schon vorher – einen festen Platz im regulären Programmangebot zu geben.

Nguyen-Kim ist die absolute Ausnahme und ein hervorragendes Beispiel dafür, wie erfolgreich die Sender mit bewusster Talententwicklung sein können.

Bei den Wolter-Zwillingen scheint es hingegen an Fantasie oder Lust gefehlt zu haben, eine gemeinsame Streaming-Zukunft unterm ARD-Markendach zu entwickeln – sie dann per Pressemitteilung aus dem Verbund hinaus zu komplimentieren, war aber (unabhängig davon, was man von dieser Art Entertainment halten mag) schlicht: dumm.

Und bei Laude fragt man sich, warum die Verantwortlichen auf Senderseite nicht schon vor längerer Zeit reagiert haben, um ihn (und sein Team) einem noch breiteren Publikum vorzustellen. (Sein Auftritt in "Smeilingen" zählt nicht mit.) Schließlich sind die Clips, die (noch bis Jahresende) regelmäßig auf seinem YouTube-Kanal erscheinen, schon jetzt größtenteils lustiger, pointierter, vielschichtiger und moderner geschnitten als alles, was sonst so in den klassischen Comedy-Schienen des Ersten entgleist. (Und niemand sonst macht so treffende Smartphone-Werbe-Kritik.)

Gerade noch so der Abschieds-PM entkommen

Ja, toll, dass Laude "Almania" fortsetzen kann – und seiner eigenen Der-Zielgruppe-entwachsen-Pressemitteilung entkommen konnte.

Aber warum kümmert sich der Sender verdammt noch mal nicht um eine neue, warum läuft in der Staffelpause der "Carolin-Kebekus-Show" nicht "Die Phil-Laude-Show" – mit derselben Vehemenz wie einst auf YouTube, aber in für die Kreativen verträglicherer Dosis? Und wäre das nicht voll okay, statt "Küchenschlacht XXL" auch "MaiThink X – Die Show XXL" mal im ZDF-Hauptprogramm zu zeigen?

So richtig will man sich nicht trauen, dem Stammpublikum die (Ex-)YouTuber:innen zuzumuten. In der Digitalsparte – kein Problem. In der ARD Mediathek – herzlich willkommen. Aber linear versendet das Erste "Almania" am Tag des Online-Debüts erst spät in der Nacht: ab 23.55 Uhr, alle acht Folgen am Stück. (Was ARD-intern sicher schon als Ritterschlag gilt, weil Staffel zwei diese Ehre nur im SWR zuteil wurde.)

Die besten Advokat:innen des Systems

Schöner kann man seinen Creator:innen nicht kommunizieren, dass man sie wertschätzt, aber nur, wenn sie bitte am Programmrand nicht so rumstören. Und das, obwohl sie inzwischen die besten Advokat:innen des Systems sein könnten, selbst nostalgisch auf ihre Anfangsjahre zurückblicken und kritisch betrachten, wie sich die Schwerpunkte in "ihrem" bisherigen Medium verschoben haben.

(Als Referenz an das "alte" YouTube – vor der Zeit der nun unvermeidbaren "Reaction Videos" – empfiehlt Laude die NDR-Doku "YouTube Changed My Life" anzusehen, an der er als Protagonist beteiligt war).

Es ist paradox: YouTube hat die Talente erst groß gemacht – und dann kaputt, weil sie sich von der ständigen Pflicht, neuen Content zu produzieren, getrieben fühlen und plötzlich wertzuschätzen wissen, wenn ihnen das alte Medium auch mal Luft zum Verschnaufen lässt. Das Fernsehen wiederum rettet sie aus der YouTube-Falle – und lässt sie dann hängen, weil lineare Programmplätze fehlen, Streaming-Eigenproduktionen immer nur auf Projektbasis beauftragt werden und niemand bereit ist, in Karrierewegen zu denken.

Die Sender versagen doppelt

So versagen die Sender quasi doppelt bei der Nachwuchsförderung: einmal, indem sie das notwendige Talent Scouting an externe Plattformen auslagern.

Und ein zweites Mal, indem sie es verpennen, endlich die dringend benötigte Stelle einer bzw. eines Funk-Transferbeauftragten zu schaffen, welche:r sich frühzeitig mit Talenten aus dem eigenen Netzwerk kurzschließt, um deren Algorithmus-Erschöpfung zuvorzukommen, eine systematische Mediatheken-Förderung zu lancieren und langfristige Bindungsstrategien zu besprechen. Damit die Stars, wenn sie aus dem Hamsterrad rauswollen, nicht wie Laude sagen: "Danke, und ich bin voll gespannt, wie's weitergeht und was als Nächstes kommt." Sondern: Kommt mit mir rüber zu meiner neuen Show, die wir in den nächsten Monaten für euch vorbereiten!

Das Praktische daran ist immerhin: Dieselben Fehler kann man demnächst alle nochmal so machen – mit den Stars, die gerade auf TikTok groß werden.

Und damit: zurück nach Köln.

„Almania“ läuft in der ARD Mediathek und bei Netflix; „MaiThink X – Die Show“ lässt sich auf zdf.de ansehen.