Wie passt eigentlich das Königshaus dann in solche gesellschaftlichen Vorfälle?

Die Royals, vor allem Prince Charles und Camilla, haben betroffene Stadtteile besucht, mit den Menschen dort gesprochen. Was sollen die sonst machen? Charles fand ich gut, der wird ja eh unterschätzt. Er hat das gemacht, was Premierminister Cameron nicht gemacht hat: Er ist zu den Menschen hingegangen und hat zugehört. Und er hat kritisiert, dass man in diesem Land an den Symptomen herrumdoktort statt die Ursachen zu bekämpfen. Viel mehr kann er, kann das Königshaus ja nicht machen. Soll die Queen sich hinstellen und das Volk zur Ruhe aufrufen? Das würde merkwürdig wirken. Die Queen hält sich aus der Politik ganz generell heraus und das ist auch gut so und entspricht ihrer Rolle. Insgesamt hat das Königshaus schon angemessen reagiert.

Die Engländer gelten, zum Teil auch wegen ihrem Königshaus, als ganz eigenes Völkchen. Sind sie uns eigentlich näher als die Amerikaner?

(überlegt) Die Engländer sind uns schon näher. Sie sind eben auch Europäer, auch wenn sie das gerne bestreiten und sich als etwas anderes sehen. Amerika wirkt für uns nur auf den ersten Blick vertrauter, weil unsere Kultur sich so stark an den Amerikanern orientiert. Aber im Alltag sind uns die Engländer näher. Und so sehr wir über Äußerungen von Cameron hier in England mal den Kopf schütteln, so ist die ganze US-Politik uns insgesamt doch sehr viel fremder, mir jedenfalls. Mit europaeischer Logik jedenfalls ist da vieles oft nicht mehr zu erklären, wenn man gerade in diesem Sommer z.B. den Streit um die Schuldengrenze beobachtet hat.

Und was unterscheidet uns von den Engländern?

Die Geduld etwas hinzunehmen, was nicht in Ordnung ist, ist hier sehr groß. Es dauert sehr lange bis ein Engländer aufschreit und sich beschwert. Die freundliche, geduldige Höflichkeit gepaart mit dem Humor ist hier stärker als die lautstarke Emotionalität in den USA oder die ständige Nölerei in Deutschland. Das ist übrigens etwas, was mir mittlerweile ganz abgeht: Diese ständige deutsche Meckerei an allem, was nicht sofort funktioniert.

Ist Ihnen Deutschland fremd geworden?

Ich würde mich in Deutschland nach über zehn Jahre Ausland wohl nicht mehr wirklich zuhause fühlen. Ja, das Land ist mir fremd geworden. Diese Unfreundlichkeit und Mecker-Kultur in Deutschland - die versteht man nicht, wenn man die Höflicheit der anglo-amerikanischen Kultur kennengelernt hat. Und dann die Humorlosigkeit. Wenn in England was schief geht, wird erst ein Witz drüber gerissen und dann die Lösung gesucht. Bei uns doch zuerst der Schuldige. Aber tatsächlich lebt es sich viel besser mit Freundlichkeit, wenn mal etwas nicht gleich so geht, wie man es sich vorstellt. In London ganz sicher.

Was genau ist denn fremd geworden? Abseits der Meckerei?

Irgendwann hört man zuerst einmal auf, sich für deutsche Innenpolitik zu interessieren. Da verstehe ich viele Debatten nicht mehr und amüsiere mich bei den Röslers dieser Welt über unsere Kinderpolitiker. Klar wird einem vieles fremd, also sagen wir mal so: Es gibt viele Debatten, bei denen ich froh bin, dass wir sie in Deutschland führen. Beispielsweise bei Umweltthemen. Da bekommen wir manchmal Anfragen aus Deutschland, was die Briten denn zu so manchem Thema denken, wo ich dann antworten muss, dass das hier niemanden interessiert. Bei der Atomkatastrophe in Japan hat hier niemand eine Debatte über Atomkraft geführt. Ähnlich ist es auch beim Thema Datenschutz, was in Deutschland die Gemüter erhitzt Das werde ich hier in England meinen Lebtag lang nicht begreifen. Die wehren sich zwar mit Händen und Füßen gegen einen Personalausweis, aber das hier hunderttausende Kameras an jeder Straßenecke alles überwachen, das stört niemanden.

Ist London eigentlich einfacher oder schwieriger als New York, Ihre vorherige Station?

Es ist wesentlich interessanter, deswegen war ich sehr froh als ich das Angebot bekam, nach London zu gehen. Das war ein Geschenk. New York ist heute relativ langweilig geworden. Das ist eine Stadt, die ihren Höhepunkt in den 80er und Anfang der 90er hatte, als es noch ein Urban Jungle war und von dort die Trends kamen. Als die Künstler noch da waren. Gut, 9/11 war nochmal eine Zeit als die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes ein Brennpunkt war, aber danach kam nichts. New York ist heute nichts anderes als  eine überdimensionierte Shopping Mall. Und wenn Sie noch irgendwo ein Graffiti sehen, ist es garantiert Teil einer PR-Aktion.