Herr Keese, war 2011 ein gutes Jahr für das deutsche Fernsehen?

Ja, 2011 war ein gutes Jahr für das deutsche Fernsehen. Es gab außergewöhnliche Leistungen in allen Kategorien. Die Jury hat es sich, nach wie immer heftigen Debatten, nicht leicht gemacht mit der Auswahl zur Nominierung. Insgesamt war es ein Jahr, in dem wir eine gewisse dialektische bzw. gegensätzlich Entwicklung beobachten konnten. Zunehmende Formatierung auf der einen Seite und gleichzeitig zahlreiche inhaltliche und formale Experimente, für die wir den Begriff "Konzeptfernsehen" geprägt haben. Als Beispiel hiefür kann man “Dreileben“ nennen, ein Programmexperiment der ARD, bei dem drei Spielfilme - von Dominik Graf, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler an einem Abend gesendet - miteinander verwoben waren. Das war mutig. Ähnliche Innovationsfreude haben wir im rbb gesehen mit „20xBrandenburg“ oder bei ZDFNeo mit „Wild Germany“, nominiert in der Kategorie „Beste Reportage“ oder auch immer wieder bei den großen Samstagsdokumentationen bei Vox.

Bei den Nominierten im Bereich Unterhaltung sind allerdings eher die ganz großen Shows als neue Experimente nominiert...

Als Jury des Deutschen Fernsehpreises darf man nicht den Fehler begehen, beim Blick auf die interessanten Experimente  aus dem Auge zu verlieren, was groß und erfolgreich ist und die Menschen erreicht hat. Beispielsweise der „Eurovision Song Contest“ oder „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus“. Hinter diesen Formaten stehen großartige Produzentenleistungen, enorme Professionalität in allen Gewerken und mehr als das, es ist Ihnen gelungen, haben das Tagesgespräch der Republik bestimmt..

Die Nominierung von „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus“ trifft auf ein geteiltes Echo. Was macht das Dschungelcamp preiswürdig?

Produktion, Moderation, Autoren, Casting  – hier kommt Vieles zusammen. Man muss das Genre nicht mögen, aber man muss anerkennen, dass hier Außergewöhnliches geleistet wurde. Wer das nicht glaubt, kann einmal selbst den Versuch unternehmen, Protagonisten der 68er-Revolution für ein solches Format zu gewinnen und ihnen dann so viel Eigenartiges zu entlocken, dass der Blick auf die Person sich massiv und jener auf die Generation zumindest ein Stück weit ändert. Das Dschungelcamp wird von intelligenten Leuten gemacht und auch gesehen. In dieser Staffel war das besonders gut zu erkennen.

Gab es denn im deutschen Fernsehen keine neuen Entwicklungen, keine kleinen Formate, die preiswürdig sind?

Unser Nominierungstableau ist voll von kleinen Formaten und Entdeckungen. Ich hatte schon gefürchtet, man würde der Jury vorwerfen, sich zu sehr im Kleinen verloren zu haben. In der Dokumentation und der Reportage haben wir präzise, zum Teil sehr junge Autorenarbeiten, in den Vordergrund gestellt. Beim Sport haben wir den Frankfurt-Marathon vom hr und „sport inside“ vom WDR nominiert,– das sind Preziosen für ein kleineres Publikum. Klein oder groß sind aber für die Jury keine Maßstäbe. Es geht uns um Qualität innerhalb eines Genres, Vielfalt und Bandbreite des Fernsehschaffens. Und in der Kategorie Unterhaltung sind es in diesem Jahr nun mal die großen Eventshows. Warum? Weil es die besten waren.