Egal ob im Fiktionalen, bei der Information oder Unterhaltung: Die Jury muss ein Qualitätsverständnis definieren, dass sowohl privates wie öffentlich-rechtliches Fernsehen berücksichtigt. Die Königsklasse aller Fragen: Was ist Qualität im deutschen Fernsehen? Lässt sich das so einfach beantworten?

Für unsere Arbeit lässt sich das relativ gut beantworten, weil die Jury in jedem Jahr mit der Grundsatzdebatte darüber beginnt, was Qualität eigentlich bedeutet und wie sie diese für sich definieren will. Unsere erste Grundregel: Bewerte das Genre innerhalb des Genres. Der Maßstab ist nicht, ob man ein Genre mag oder nicht. Es gilt, die Formate nach den Kriterien des jeweiligen Genres zu beurteilen. Regel 2: Es muss das Besondere und das Innovative geleistet werden. Nur bereits Bekanntes zu variieren, reicht nicht. Das gilt insbesondere auch bei den Longrunnern. Es geht darum, Neues und Weiterentwicklungen aufzuzeigen. Im Fiktionalen müssen Inszenierung, Buch und Leistung insgesamt überzeugen und über das hinaus gehen, was man bisher gesehen hat. Da hat beispielsweise „Hindenburg“ ein oft schon beschriebenes Thema erstmals so bildgewaltig inszeniert. Und Regel 3: Die Stimmigkeit aller Gewerke. Es reicht nicht, wenn die Regie stimmt, aber das Buch überzeugt. Oder die Schauspieler stark sind, aber die Kamera schwach, ein Moderator überzeugt, aber das Format nicht stimmt. Aber die Qualität des Fernsehangebotes ist in allen Kategorien so gut, dass die Jury es sich leisten kann, auf die gleichzeitige Erfüllung aller drei Kriterien zu bestehen.

Sie sagten bereits, dass es darauf ankomme, dass langlaufende Formate gerade im vergangenen Jahr noch einmal besonders überzeugten. Was hat Sie denn bei „Goodbye Deutschland“ überzeugt?

Für die Kategorie „Dokutainment“ hat die Jury hatte in diesem Jahr fast ein halbes dutzend Auswanderer-Formate gesichtet. Ein interessantes Formatfeld zwischen Reportage und Unterhaltung, an dem wir nicht vorbei kamen. Und „Goodbye Deutschland“ ist eines der best gemachten Formate dieser Art. Es handelt sich in weiten Teilen um Scripted Reality, aber „Goodbye Deutschland“ erzeugt dennoch eine Aura der Authentizität, ein Interesse für seine Protagonisten, die dieses Format über seine Konkurrenten hinauswachsen lässt. Bei „Stellungswechsel“ – einem Jobtausch-Format – erleben wir höchst unterhaltsam, was von beruflichen Identitäten übrig bleibt, wenn man plötzlich in eine ganz andere Kultur versetzt wird. Und wenn Markus Lanz sich dem Wettlauf zum Südpol stellt, dann entsteht in der Verbindung von Reportage, sportlichem Wettbewerb und persönlicher Herausforderung eine ganz eigene Form von Dokutainment öffentlich-rechtlicher Prägung.

Letzte Frage: Hoffen und erwarten Sie in diesem Jahr einen ruhigeren Fernsehpreis als im vergangenen Jahr?

Etwas Unruhe und Bewegung ist gut für jeden Preis. Preise, über die nicht diskutiert wird, sind tot. Von der im vergangenen Jahr gegründeten Deutschen Akademie für Fernsehen gehen wichtige Anregungen aus. Akademie-Mitglied Hans-Werner Meyer hat in diesem Jahr in der Jury mitgewirkt und ausgezeichnete Arbeit geleistet, an vielen Stellen gerade dadurch, dass er angeregt hat, neu zu denken. Das ist gut. Denn unser Ziel ist, dass unsere Auswahl auch über den Tag hinaus Bestand hat. Sie ist fair, kenntnisreich und unabhängig. Aber wir können sicher noch besser werden. Fehlt Ihnen etwas?

Es gäbe dann noch „Pelzig hält sich“ beispielsweise. Oder das gerade emmy-nominierte „Die Säulen der Erde“, aber da wird es wohl an der Tatsache scheitern, dass es eine internationale Co-Produktion war...

„Pelzig“ ist eine ausgezeichnete Leistung mit vielen Freunden in der Jury. Dieses Jahr fand eine Mehrheit andere Arbeiten aber noch besser. Versteckt hinter der Rollenfigur gelingt es Frank-Markus Barwasser, seinen Gesprächspartner zu entlocken, was sie gar nicht preisgeben wollten. „Pelzig“ gehört genau zu jener Art Fernsehen, die wir hervorheben und auszeichnen wollen, auch wenn es dieses Mal nicht ganz reichte. Den CNN-Korrespondent Frederik Pleitgen hätten wir gerne nominiert wie auch die „Säulen der Erde“. Beides konnte laut Statuten nicht nominiert werden, weil es sich um internationales Fernsehen handelt bzw. der deutsche Anteil an der Produktion nicht majoritär ist. So sind die Regeln, aber wir haben uns erlaubt, Frederik Pleitgen und die Arbeit deutschen Produzentin Rola Bauer für ihre beispielhaften Leistungen mit einer „Lobenden Erwähnung“ zu bedenken. Hochverdient. 

Herr Keese, herzlichen Dank für das Gespräch.