Herr Baron, als Joint CEO von Mindshare in Europa und Nahost haben Sie den internationalen Vergleich: Wie zufrieden können wir mit dem deutschen TV als Werbeträger sein?

Wir haben hier nach wie vor eine einzigartige TV-Umgebung. Im Vergleich zu anderen Märkten ist das schon noch wie im Schlaraffenland, sowohl beim Umfang als auch bei den Inhalten. Allerdings stelle ich leider fest: Von einem sehr hohen Niveau kommend, verflacht das Gesamtangebot seit geraumer Zeit. Man spürt, dass die Sender viel Geld aus dem Produktionssektor abgezogen haben. Gleichzeitig werden mit einigem Ehrgeiz neue Angebote in den Markt gebracht. Wobei man "neu" meist in Anführungszeichen setzen muss, denn Sender wie ProSieben Maxx, Sat.1 Gold oder RTL Nitro bestehen ja zu 80 Prozent aus recyceltem Programm. Aber dass Disney den Mut hat, mit einem eigenen Free-TV-Sender an den Start zu gehen, oder Discovery einen eigenen Frauensender starten will, das ist schon beachtlich.

Da können Sie sich über mehr Auswahl bei den Werbeflächen freuen.


Na ja, grundsätzlich ist mehr Auswahl immer schön. Sie führt aber nicht zwangsläufig dazu, dass man als Industrie besser oder effektiver planen kann. Was dort an neuen Programmflächen entsteht, ist zum überwiegenden Teil nicht unique, sondern eher eine spezifische Bündelung bestimmter Zielgruppen. Unter dem Gesichtspunkt der Reichweitenmaximierung spielt das für uns so gut wie keine Rolle. Erstens ist der Beitrag zur Sehdauer äußerst gering, zweitens schöpfen wir alle diese Zielgruppen ohnehin schon recht gut aus.



Sie haben vorhin die zu geringen Programminvestitionen der Sender kritisiert und befinden sich damit in guter Gesellschaft etlicher Media-Agenturchefs. Wie schlägt sich das in Ihrem Planungsalltag nieder?


In einer teils erheblichen Erosion der Leistungswerte von TV. Über den Sommer hatten wir beispielsweise bei RTL Inflationsraten von 20 bis 25 Prozent zu verzeichnen. Diese kamen nicht zustande, weil die IP die Preise drastisch hochgezogen hätte – nein, das waren pure Leistungsverluste. Dass sich die mangelnden Investitionen ins Programm irgendwann negativ auswirken würden, war allen Beteiligten schon vor zwei Jahren klar. Wir haben immer wieder gefragt: Wo bleiben die Innovationen? Wo sind die großen Trends? In was wird investiert? Und jetzt wird eben die Quittung serviert. Der Absturz des Marktführers RTL – relativ bei den Zuschauer-Marktanteilen und absolut bei den Tagesreichweiten – hat zwei wesentliche Gründe: mangelnde Investitionen und Ideen. Erst an zweiter Stelle würde ich das Thema Fragmentierung nennen. Dass ein Sender in so kurzer Zeit so massiv verliert, ist sonst nicht erklärbar. Die Medienlandschaft hat sich ja nicht innerhalb von ein paar Tagen radikal verändert.

Wie problematisch ist diese Entwicklung für die Mediawirtschaft?


Da gibt es natürlich immer verschiedene Perspektiven. Aus rein kommerzieller Sicht könnte man sagen: Da gerät plötzlich ein Marktführer ins Wanken und wird damit elastischer beim Thema Werbepreise. Und das wiederum hat einen Einfluss auf den Gesamtmarkt. Das ist sicherlich ein positiver Effekt für die Nachfrageseite, wenn ein Vermarkter in so einer Situation beweglicher werden muss. Auf der anderen Seite hat man aber irgendwann die bewusste Entscheidung getroffen, einen bestimmten Sender zu belegen – und plötzlich stellt man fest, dass dieser seine Leistung nicht mehr im erwarteten Umfang erbringt. Damit wird es schwieriger, den ursprünglichen Mediaplan noch zu realisieren. Und es wird auch schwieriger, die fehlende Leistung über andere Sender zu kompensieren, zumal bestimmte Budgets geblockt sind. Dabei geht auch Vertrauen in die Senderleistung verloren. Mit beiden großen Sendergruppen sprechen wir seit Jahren über die Leistungsverluste, ohne Erfolg. Gerade bei Sat.1 geht es doch kein Stück nach oben, im Gegenteil. 

"Man muss wohl oder übel akzeptieren, dass es Inflation und Fragmentierung gibt"

Christof Baron, Mindshare


Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus? Fahren Sie die TV-Anteile zurück?

Nicht unbedingt. Klar ist natürlich, dass man Budgets breiter verteilen muss. Wenn ein Teil der Verluste durch die Fragmentierung entsteht und die Vermarkter ja selbst daran mitwirken, dann muss man zwangsläufig das Geld breiter streuen. Auch wenn man in Summe nicht mehr die Nettoreichweiten erreicht, die man in der Vergangenheit hatte. Der Trend in diesem Jahr ist ja sogar, dass die TV-Investitionen trotz der Leistungsverluste eher noch gestiegen sind. Immer dann, wenn es um Reichweite geht, kann kein anderes Medium TV Paroli bieten. Deshalb muss man wohl oder übel akzeptieren, dass es Inflation und Fragmentierung gibt, auch wenn das schmerzhaft ist.