Amazon ist cool. Roy Price ist cool. Das zumindest soll der erste Eindruck sein, wenn man den Head of Amazon Studios auf der Bühne des Edinburgh International Television Festival erlebt. In schwarzer Lederjacke, nur mit einem weißen T-Shirt drunter, meist lässig aber nach vorne gelehnt und mit gestyltem Haar sitzt er dort als personifizierter Kontrast zu den Anzugträgern der Fernsehsender. Er erzählt vom Konzept hinter Amazon Studios und fasst zusammen: „Wir sind Network, Distributor and Studio in einem.“ Klingt aus Zuschauer-Perspektive nicht so sehr nach Revolution wie für das Fachpublikum.



In dieser universellen Rolle macht Amazon schließlich so ziemlich allen Marktteilnehmern Konkurrenz. Dass man dann noch eigene Empfangsgeräte verkauft, macht den einstigen Online-Buchhändler zu einer noch umfassenderen Bedrohung für das Fernsehen alter Schule als Netflix. Anders als der Wettbewerber aus Los Gatos fasziniert man die Branche darüber hinaus durch das bekannte Pilotierungssystem: Amazon stellt die Pilotfolgen neuer Serie seinen Kunden zur Abstimmung vor. „Ohne all diese Fokusgruppen ist das Feedback weit weniger zufällig. Unsere Kunden geben verlässlicheres Feedback.“

Hilft Datenerhebung wirklich dabei, besseres Fernsehen zu machen? Lässt sich eine Kunstform optimieren oder geht dann kreative Freiheit verloren? Roy Price: „Wir lernen durch das Feedback unserer Zuschauer zum Beispiel, welche Elemente einer Serie, einer Story oder eines Buches gefallen. Es geht aber nicht darum einzelne Details den Wünschen oder der Kritik des Publikum entsprechend zu ändern.“ Den Vorwurf, dass Amazon wie auch Netflix letztlich mehr auf Kennzahlen gucken als die linearen Fernsehsender, denen die Quotenfixierung vorgehalten wird, weist Price entschieden zurück.

„Es geht nicht mehr um das Programmieren von Fernsehen. Es geht darum Events zu schaffen“, sagt er. „Es ist ein bisschen wie in der Musikindustrie. Du konzentrierst Dich darauf, ein großartiges Album zu machen und nicht so sehr auf andere Leute. Du willst ein gutes Album machen und denkst nicht darüber nach, was dein Publikum wohl am Mittwochabend um 21 Uhr haben möchte. Wenn man so eventisiert, dann braucht großartiges Programm. Es muss sich abheben und Gesprächsthema werden können. Das kann über die Themen oder eine ungewöhnliche Umsetzung geschehen.“

„Die Quoten vom Vortag? Sowas interessiert uns nicht. Wir können unsere Zugriffszahlen stündlich betrachten.“

Also wirklich kein Blick auf die „Quoten“ der neuen Serien? „Die Quoten vom Vortag? Sowas interessiert uns nicht“, sagt Price über das immer wieder gerne auch von Journalisten verbreitete Argument, dass Amazon oder auch Netflix nicht nach Quote schielen müssten. Mit trockenem Humor fügt er dann aber grinsend hinzu: „Wir können unsere Zugriffszahlen stündlich betrachten.“ Natürlich messe man Erfolg daran, wie viele Menschen eine Serie bzw. Produktion abrufen. Aber es gebe - wie im linearen Pay-TV im Übrigen auch - zusätzlich die Frage, mit welchen Programmen man Aufmerksamkeit und Abonnenten gewinnt.

Gefragt nach konkreten Abrufzahlen gibt sich Price auch diesmal verschwiegen. Amazon und Netflix teilen in diesem Punjt die konsequente Leidenschaft zur fehlenden Transparenz. Was passiert, wenn man doch nachfragt? Auf den Versuch der Frage nach den Zugriffszahlen für die Pilotepisode der Amazon-Serie „Man in the High Castle“ kontert Price trocken: „Es waren viele“ - und grinst. Ein paar zehntausende? Da lacht Price kurz und sagt: „Oh, nein, nein. Mehr.“ Interessante Randnotiz: Während der SVoD-Markt aus europäischer Sicht in erster Linie ein Zweikampf zwischen Amazon und Netflix ist, erwähnt Price in Edinburgh jedes Mal auch Wettbeweber Hulu.