Echte Leistung statt Geschmacksfrage

In Castingshows geht es nur bedingt um Leistung. Geschmack und Sympathie spielen oftmals ebenso eine, wenn nicht sogar die wichtigere Rolle. Man musste zuletzt kaum noch was können im deutschen Fernsehen - Hauptsache man war schräg genug. „Ninja Warrior Germany“ ist anders: Bei der Action-Gameshow zählt allein das Können. Sie ist damit eine willkommene Abwechslung, weil es hier allein auf Sportlichkeit und Geschick der Kandidatinnen und Kandidaten ankommt. Die Herausforderung ist objektiv.

Echte Kandidaten statt Promi-Faktor

Viel zu viele Showideen wurden schon verschenkt weil sich ein Sender nicht traute, auf Normalo-Kandidaten zu setzen. An Promi-Wettkämpfe zur besten Sendezeit - welcher Art auch immer - mangelt es im deutschen Fernsehen wirklich nicht. „Ninja Warrior Germany“ ist ehrliches Fernsehen: Die Kandidaten, die hier antreten, verbinden ihren sportlichen Ehrgeiz mit einem möglichen Gewinn, der durchaus Leben verändern kann. Der Anreiz ist echt, die Motivation auch. Deswegen gönnt man es (fast) jedem Kandidaten und fiebert vom heimischen Sofa aus mit.

Der Zuschauer wird zum Klugscheißer

Bei großen Fußball-Turnieren hat Deutschland mehr als 80 Millionen Bundestrainer - und auch im Falle von „Ninja Warrior Germany“ wird man auf dem Sofa schnell zum Klugscheißer. Am Ende ist es ja schließlich ein großer sportlicher Wettkampf. Und auch wer als Zuschauer selbst schon an der ersten Hürde scheitern würde, weiß bzw. glaubt durch die sich wiederholenden Versuche den Parcours zu meistern, zu wissen, welche Schritte zu gewagt waren, welche Sprünge zu kurz sind oder entscheidende Momente verpasst wurden. Und in der Finalshow, die auf Tempo setzte, erwischte man sich mehrfach beim Gedanken: „Toll gemacht, aber die Zeit reicht jetzt nicht mehr.“

Echte Dramatik statt Inszenierung

„Das kannste Dir nicht ausdenken! Sowas kannste Dir nicht ausdenken!“, seufzt Jan Köppen - fertig mit den Nerven - als es nach unzähligen erfolglosen Versuchen der erste und einzige Kandidat der diesjährigen Staffel in die zweite Runde der Finalshow schafft - mit nur noch 1,3 Sekunden Restzeit auf der Uhr. "Ich liebe diese Show", brüllt Frank Buschmann hinterher. „Ninja Warrior Germany“ lebt von echter Dramatik eines nachvollziehbaren Wettkampfs. Die Show braucht kein Storytelling und keine inszenierte Dramatik, weil die Spannung direkt vor den Augen der Zuschauer und für die Kommentatoren sogar live vor ihren Augen passiert.

Ninja Warrior Germany© RTL

Leidenschaftliche Kommentierung

Das Duo Köppen und Buschmann hatte sich vorher vielleicht nicht gesucht, aber glücklicherweise gefunden: Als würde sich Frank Buschmann nicht schon allein durch tragisches Scheitern oder heldenhaftes Meistern des Parcours in Rage reden, wird der deutsche Brüllmeister der spontanen Wortschöpfungen und Redewendungen durch Jan Köppen und seine Rolle des nüchternen Analytikers auf die Palme gebracht: Oft reicht schon ein kurzer Einwurf oder Anmerkung von ihm und die Show bekommt durch das Wortgefecht zwischen den Beiden eine weitere Ebene. Man merkt Köppen und Buschmann den Spaß an. Nicht unerwähnt bleiben soll: In der etwas undankbareren Rolle der Interviewerin am Rande des Geschehens machte auch Laura Wontorra einen guten, wenn auch unauffälligeren Job.

Starke Bilder und Zeitlupen

Schadenfreude ist bekanntlich die schönste Freude - und natürlich gehört auch die zum Erfolg von „Ninja Warrior Germany“. In Zeitlupe noch einmal den Fehltritt oder zu kurzen Sprung zu sehen, ist schon sehr oft amüsant - besonders dank der enttäuschten oder überraschten Gesichtszüge der Kandidaten. Aber auch wenn die sportliche Herausforderung gelingt: Der Parcours, seine Helden und Opfer - sie lassen sich bildgewaltig in Szene setzen und liefern so allein visuell mehr Dynamik als die meisten gewöhnlichen Studioshows.

Endlich einmal keine Jury!

Bei Sendungen wie „Superkids“ (Sat.1), „Puppenstars“ (RTL) oder auch „Versteckte Kamera“ (ZDF) wurde zuletzt so manche im Kern schöne Show durch belanglose Jurys in unnötiger Art und Weise geschmälert. Ob es passt oder überhaupt Sinn macht: Damit die Pille fürs Publikum leichter zu schlucken ist, wird da nochmal analysiert, was der Zuschauer gerade gesehen hat - und das mit sich wiederholender Rhetorik. Dass sich bei „Ninja Warrior Germany“ nicht jeder Kandidat nach seinem Auftritt noch das Urteil einer Jury abholt - es ist äußerst wohltuend.

Ninja Warrior Germany© RTL

Keine falschen Versprechen

„Ninja Warrior Germany“ ist eine Gameshow. In ihrer Form und Inszenierung außerordentlich und spektakulär, aber im Grunde simpel: Kandidatinnen und Kandidaten treten an, um einen Gewinn zu ergattern. Sie könnten sich noch mit einem Fantasie-Titel des „Ninja Warrior“ schmücken, aber das war es auch. Hier werden keine Karrieren versprochen. Hier wird auch keine große Liebe versprochen. Und ebenso wenig ein besseres Leben. Fernsehunterhaltung verspricht seit Jahren immer wieder einfache Wege zum Ziel. Diese Show nicht. Sie ist ein Spiel, das sich selbst genügt.

Euphorisches Publikum in der Halle

Dass bei einigen Aufzeichnungsterminen zu wenig Publikum da war - es störte letztlich überhaupt nicht. Die Stimmung in der Halle wurde in allen Ausgaben der Show großartig transportiert - und während mancher angesichts der für das deutsche TV-Publikum ungewohnten Euphorie und lautstarken Beteiligung von den Zuschauerrängen irritiert war, so tat das der Show sehr gut. Es entsprach dem energischen Mitfiebern bei Sportevents. Übrigens: Manch andere Showidee, die sehr auf ein mitgehendes Publikum setzt (etwa "Deal or no Deal"), tat sich da in Deutschland sehr viel schwerer. Das WarmUp hat hier seinen Teil zum Erfolg beigetragen.

Ein selten gesehenes Tempo

Als RTL vom Erfolg der „Ninja Warrior“ selbst ein wenig überrascht wurde, hat man gestreckt und noch etwas mehr aus dem Material herausgeholt. Doch auch so behielt die Show ein enormes Tempo bei. Weil auf ein Storytelling weitgehend verzichtet wird und auch keine Jury die Sendezeit streckt, ist die Taktung der aufeinanderfolgenden Kandidatinnen und Kandidaten ungewöhnlich schnell für heutige Fernsehverhältnisse. Bleibt zu hoffen, dass man bei RTL und Norddeich nicht den Versuchungen erliegt, da in der zweiten Staffel zu viel zu ändern.

Ein offenes Ende

Bei „Bild.de“ hat man die Show nicht verstanden und kürt Oliver Edelmann am Abend zum Sieger der Show. Doch einen Sieger, den gab es gar nicht bei dieser ersten Staffel von „Ninja Warrior Germany“. Der 22-Jährige Edelmann kam zwar am weitesten, aber meisterte doch nicht alle Hindernisse. Weder gewann er den Titel, noch die 100.000 Euro Preisgeld. In den USA dauerte es sogar sieben Staffeln lang, bis jemand stark und schnell genug war. Ein solch offenes Ende ist in einer weitgehend durchgetakteten und durchgeplanten Fernsehwelt ein überraschendes Element - und steigert die Neugier auf Staffel 2 und die Antwort auf die Frage: Wird es im nächsten Jahr jemand schaffen?

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