Es war eine kluge Entscheidung der Veranstalterin RX France, bereits im Vorfeld der MIPTV in diesem Frühjahr klarzustellen, dass die 61. Ausgabe die letzte sein wird und man stattdessen 2025 einen Neuanfang in London wagen wird. Andernfalls wäre der Niedergang dieser traditionsreichen Fernsehmesse sicher das bestimmende Thema gewesen – denn der Trend der vergangenen Jahre hat sich in diesem Jahr unverändert fortgesetzt.

Die offizielle Teilnehmerzahl reduzierte sich um weitere knapp 2.000 auf nun noch rund 3.500 verbliebene akkreditierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das Palais selbst war weitestgehend verwaist, die letzten verbliebenen Messestände fanden fast ausschließlich im Erdgeschoss des angrenzenden Riviera Buildings Platz - immerhin dort herrschte aber durchaus reger Betrieb. Auch aus Deutschland waren erheblich weniger angereist als in den letzten Jahren, wobei es offenbar vor allem die größeren Konzerne waren, die ihre Präsenz weiter zurückgefahren hatten. Stattdessen traf man auf überproportional viele, die es eher mit sich selbst als mit dem Konzern-Controlling ausmachen mussten, ob sich die Reise lohnen würde.

Dass die Straßencafés also gut gefüllt waren, lag diesmal häufig mehr an Touristen als an Geschäftsterminen. Das hatte immerhin den netten Nebeneffekt, dass man zwar die Cola für 8 Euro weiterhin auf mancher Karte finden konnte – doch wer sich umsah, fand nur wenige Meter weiter das nächste Happy Hour-Angebot. Die Laune bei denjenigen, die sich auf den Weg nach Cannes gemacht hatten, konnte das nur wenig trüben, auch wenn sie mit einem Schuss Wehmut ob des Abschieds von einer der beiden Cannes-Reisen im Terminkalender der Branche geprägt war. So blieb jedenfalls auch diesmal wieder mehr Zeit für entspanntere Gespräche im Vergleich zur eng getakteten MIPCOM im Herbst. Und wer wollte, der konnte die MIPTV nutzen, um sich neue TV-Ideen aus weniger naheliegenden Ländern ansehen.

Denn beispielsweise in Asien verstand man es zuletzt auch als Chance, dass die MIPTV bei den großen Distributoren eine immer geringere Rolle spielte - bot das doch im Gegenzug Playern aus anderen TV-Märkten die Gelegenheit, mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dort sieht man nun die Verlagerung dementsprechend auch besonders kritisch, wie beim Ausblick auf die neue MIP London, die man an die in den letzten Jahren immer weiter gewachsenen London TV Screenings andocken wird, deutlich wurde.

Skepsis vor neuer MIP London

Lucy Smith, Direktorin der Entertainment Division von RX France, erläuterte am Dienstag, dass die MIP London sich von der MIPTV in Format und Größe erheblich unterscheiden werde. "Vergesst die Ausstellungs-Hallen, denkt an Screenings, Meetings und Networking", fasste sie es zusammen. Für die London TV Screenings gibt es keinen einheitlichen Organisator, vielmehr veranstalten dort inzwischen 29 Distributoren eigene Screenings und stimmen sich lediglich zeitlich ab. Dass dieses Modell für kleinere Unternehmen kaum geeignet ist, liegt auf der Hand.

Hier wittert nun also die MIP ihre Chance und will diesen - erstmals zwischen dem 24. und 27. Februar 2025 - die Möglichkeit geben, ebenfalls mit den in diesen Tagen so zahlreich in London vertretenen Einkäufern aus aller Welt in Kontakt zu treten, indem sie an einem zentralen Ort im Savoy Hotel Meeting- und Screening-Plätze anbietet. Messestände müsse keiner bauen, man wolle eine "One Stop Solution" bieten.

Zahlen müssen Einkäuferinnen und Einkäufer für den Zutritt übrigens nichts, kostenloses Catering gibt's obendrauf. Ob das reicht, um im mit den schon vorhandenen Screenings ja bereits eng getakteten Zeitplan wirklich genügend Gäste zur MIP London zu locken, steht freilich in den Sternen - und nicht nur in Asien ist man da skeptisch und fürchtet, zwischen all den in Großbritannien ansässigen Platzhirschen unterzugehen. Auch das war schließlich ein Vorteil von Cannes als Messe-Ort: Hier mussten Groß wie Klein anreisen, echten Heimvorteil hatte niemand. In London stellt sich das völlig anders dar.

Weniger stichhaltig erscheint hingegen eine andere große Sorge, die mit Blick auf den neuen MIP-Standort immer wieder vorgebracht wurde: London sei zu teuer. Es wirkt fast schon kurios, dass das in den vergangenen Jahren nicht gerade als Schnäppchenparadies bekannt gewordene Cannes nun als die günstige Alternative dasteht. Klar ist: Die Hotelpreise in London sind nicht günstig - aber die britische Metropole ist zugleich so groß, dass die zusätzlich zur MIP London anreisenden Gäste das Preisniveau kaum beeinflussen werden. Messepreise, wie man sie in Cannes über die Jahre gewohnt war, sind für die MIP London kaum zu erwarten. Trotzdem beeilte sich Lucy Smith zu versichern, dass man bereits daran arbeite, auch bezahlbare Unterkünfte anbieten zu können - und wies gerade für aus weiter ferne anreisende Gäste auf die deutlich bessere Erreichbarkeit der britischen Hauptstadt hin.

Wer sich nun gar nicht mit London anfreunden kann: Die MIPCOM verbleibt ja bekanntlich weiter in Cannes, daran soll sich auch in Zukunft nichts ändern. 2024 wird die Messe vom 21. bis 24. Oktober stattfinden, selbst für 2025 gibt's mit dem 13. bis 16. Oktober bereits einen festen Termin. "Und alle großen Player der Branche werden dabei sein", war sich Lucy Smith sicher.

Und was bleibt nun inhaltlich hängen?

In Cannes wurde natürlich nicht nur über London diskutiert, sondern auch neue Fernseh-Ideen gesichtet. Doch um es vorweg zu nehmen: Den großen neuen Hit hat man hier wenig überraschend nicht aufgetan. Als ein Trend ließ sich ausmachen, dass Realityshows nun häufiger mit Strategie-Elementen gekreuzt wurden - der große internationale Erfolg von "The Traitors" lässt grüßen. In dieses Genre fällt beispielsweise das französische "The Power" - eine Art "Big Brother", wo jede Woche ein Kandidat oder eine Kandidatin die Macht bekommt, das gesamte Geschehen zu kontrollieren - aber ohne, dass die anderen wissen, um wen es sich handelt. Oder auch "Whodunnit - Easter or die" aus Norwegen, wo es gilt, den "Mörder" oder die "Mörderin" unter den Teilnehmenden zu finden - was schon damit für skurrile Bilder sorgt, dass die Mordopfer im Haus liegen bleiben. Für angeregte Diskussionen sorgte das Format "The Jury: Murder Trial", in dem ein realer Mordprozess Wort für Wort nachgespielt wird - und zwei Jurys unabhängig voneinander ein Urteil fällen. Fällt dieses unterschiedlich aus, stellt sich ja immerhin die Frage, was dann von einem solchen Justizsystem zu halten ist. Auf Deutschland ist das Format freilich kaum übertragbar.

Im Fiktionalen fanden sich häufig Geschichten, die sich auf reale Personen oder reale Events stützen - wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Das reicht von "Becoming Karl Lagerfeld" über den deutschen Modeschöpfer, "Máxima" über die niederländische Königin bis zu "Operation Sabre" über die Ermordung des serbischen Premierministers Zoran Djindjic 2003 und wie das Land im Anschluss im Chaos versank und der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Doch auch die deutsche Serie "Die Zweiflers" feierte eine umjubelte Premiere bei Canneseries - und mit "Krank Berlin" hat Beta Film eine vielversprechende Medical-Serie gezeigt, die nach dem Ausstieg von Sky aus der deutschen Fiction vom ZDF übernommen wurde. Ansonsten stellten die fleißigen Datensammlerinnen von The Wit fest, dass generell das Comedy-Genre wieder im Kommen ist. Meistadaptiertes Format des vergangenen Jahres war "Dr. Foster" von BBC Studios.

Offen blieb unterdessen zunächst noch die Frage, wie es mit dem Serienfestival Canneseries weiter gehen wird - denn im Vergleich zur SeriesMania in Lille ist die Bedeutung der Veranstaltung äußerst gering, ohne die MIPTV als zeitgleich stattfindende Messe wird sie sicher nicht größer. Ob sie nun zeitlich verlegt wird oder wie die Pläne sonst aussehen, will man hier in naher Zukunft bekanntgeben.