Bert Habets © Seven.One / Benedikt Müller
In den vergangenen fünf Jahren gab es zwischen ProSiebenSat.1 und dem größten Einzelaktionär Media for Europe (MFE) nur eine kurze Phase der Entspannung. Das war Ende 2022 und Anfang 2023, also kurz nach dem Amtsantritt von Bert Habets als CEO. Nachdem der Konzern in Unterföhring lange eine Abwehrschlacht gegen die Italiener geführt hatte, wurde das Verhältnis plötzlich besser. Man tauschte sich in Arbeitsgruppen aus und MFE unterstützte den Vorstand in dem Bestreben, den Fokus auf den Unterhaltungsbereich zu legen.

Doch dann hat das scheinbar gute Verhältnis schnell wieder Risse bekommen. Vor rund vier Wochen überrumpelten die Italiener ProSiebenSat.1 mit diversen Anträgen, über die nun auf der Hauptversammlung am kommenden Dienstag abgestimmt wird - und die großen Einfluss auf die Zukunft des Konzerns haben könnten. Und das gleich auf mehreren Ebenen. 

So will MFE ProSiebenSat.1 bekanntlich zu einer schnelleren Aufspaltung zwingen: Die nicht zum Kerngeschäft gehörenden Unternehmensteile (Flaconi, Verivox, ParshipMeet Group etc.) sollen ausgelagert werden (DWDL.de berichtete). ProSiebenSat.1 hatte zwar angekündigt, sich im Rahmen der neuen Strategie perspektivisch von Beteiligungen trennen zu wollen, den Italienern geht das aber nicht schnell genug. Sie würden die Beteiligungen, die nur wenige Synergien mit dem Kerngeschäft Entertainment haben, lieber heute als morgen loswerden. 

Trotz der Tatsache, dass man sich beim eigentlichen Ziel (Fokus auf Unterhaltung, Verkauf von Beteiligungen) einig ist, ist man mittlerweile heillos zerstritten bei der Frage, wie man dieses Ziel erreicht. ProSiebenSat.1 hat den Antrag von MFE abgelehnt und warnt vor dem Vorhaben, teils mit drastischen Worten. So geht man davon aus, dass eine Abspaltung zur Folge hätte, dass das verbleibende Unternehmen nicht nur hochverschuldet wäre, sondern wohl auch ziemlich leicht übernommen werden könnte. 

Vielleicht ja von MFE selbst? 

Immer wieder gibt es Spekulationen darüber, ob und wenn ja wann MFE seine Anteile an ProSiebenSat.1 auf über 30 Prozent aufstockt - spätestens dann müsste man allen Aktionärinnen und Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreiten. MFE-Boss Pier Silvio Berlusconi machte zuletzt bereits klar, dass ProSiebenSat.1 erst einmal seine Beteiligungen loswerden müsse - damit kann man in Mailand nämlich überhaupt nichts anfangen. ProSiebenSat.1 befürchtet, dass eine Übernahme von MFE bei einer Abspaltung auf Kosten der anderen Aktionärinnen und Aktionäre gehen könnte. "Die Aufspaltung liegt damit nach Auffassung von Vorstand und Aufsichtsrat im singulären Interesse von MFE", ließ man zu den Plänen von MFE wissen. Und für das internationale Publikum wurde man noch deutlicher: "MFE is seeking to gain control of ProSiebenSat.1 without paying a premium."

MFE braucht 75 Prozent Zustimmung

Die Hürde für den Antrag ist allerdings recht hoch: 75 Prozent der auf der Hauptversammlung abgegebenen Stimmen müssen den Vorschlag befürworten. Geht man davon aus, dass rund 60 Prozent der Aktionärinnen und Aktionäre am Dienstag auch tatsächlich an der Veranstaltung teilnehmen werden, sind diese 75 Prozent ein ambitioniertes Ziel - auch wenn MFE knapp die Hälfte dieser 60 Prozent ausmacht. Das Ergebnis in diesem Tagesordnungspunkt wird wohl sehr stark davon abhängen, ob mit PPF der zweite Großaktionär mitzieht oder nicht. 

Wie ernst man die Situation in Unterföhring nimmt, zeigen allerlei Maßnahmen, die man ergriffen hat. So wehrt man sich nicht nur über die Presse gegen die MFE-Pläne, man hat für Aktionärinnen und Aktionäre auch extra eine eigene Webseite eingerichtet und sie in Bettelbriefen ("Persönliche Bitte des CEOs Bert Habets") auf die Situation aufmerksam gemacht. So will man möglichst viele von ihnen dazu bringen, an der Abstimmung am Dienstag teilzunehmen - in der Hoffnung, dass die Chancen von MFE so schwinden. Auch vor Vorlage der Geschäftszahlen für das erste Quartal 2024 hat man zuletzt überraschend um mehrere Wochen nach vorn gezogen - wohl auch um zu signalisieren, dass die bestehende Führung die Situation im Griff hat. 

Der Stuhl von Bert Habets wackelt, wenn...

Erreicht der Antrag die 75 Prozent, steht ProSiebenSat.1 vor einer unsicheren Zukunft. Der Großaktionär zweifelt zwar nicht an den Kompetenzen von Bert Habets und Aufsichtsratsboss Andreas Wiele, nachdem sich Vorstand und Aufsichtsrat auf der einen und MFE auf der anderen Seite zuletzt gegenseitig mit Vorwürfen überzogen hatten und beide Seiten in ihrer Positionierung sehr klar sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass Habets und Wiele schnell zurücktreten, um den Weg frei zu machen für eine neue Führung, die dann unbelastet in Sachen MFE wäre. 

Die wahrscheinliche Variante ist aber, dass der Abspaltungsantrag eine Mehrheit erreicht, aber das Quorum von 75 Prozent verfehlt. Vermutlich könnten sich dann alle ein bisschen als Gewinner sehen: ProSiebenSat.1, weil sie den MFE-Plan abgewehrt haben. Und MFE, weil sie argumentieren könnten, durch den Antrag an sich schon viel erreicht zu haben. ProSiebenSat.1 hatte zuletzt schon ganz konkret den Verkauf von Flaconi und Verivox angekündigt, mit der Unterstützung von Banken wurde der entsprechende Prozess angeschoben. 

MFE hat immer betont, dass es nicht unbedingt eine Abspaltung sein muss. Wird ProSiebenSat.1 die Beteiligungen durch Verkäufe los, wäre man damit wohl auch zufrieden. Ob es den Preisvorstellungen jedoch zuträglich ist, wenn potenzielle Käufer wissen, dass ProSiebenSat.1 die Unternehmen verkaufen muss, steht auf einem anderen Blatt. Eins hat der ganze Wirbel jedenfalls schon einmal gebracht: Seit der Ankündigung des Abspaltungsantrags ist die ProSiebenSat.1-Aktie um rund 20 Prozent gestiegen. Streng genommen zeigt der Trend aber schon seit dem vergangenen Herbst wieder nach oben. Allerdings kommt die Aktie von einem niedrigen Niveau, auch im ersten Habets-Jahr ging es steil bergab. Das ist wohl auch Grund, weshalb MFE nun reagierte und den Vorstand zum Handeln zwingen will. 

Es geht um mehr als nur die Aufspaltung

Doch MFE geht es bei der Hauptversammlung längst nicht nur um die Abspaltung der Beteiligungen. So greift man an verschiedenen Fronten an, um den eigenen Einfluss auf ProSiebenSat.1 zu erhöhen. So will man mit Rolf Nonnenmacher nicht nur den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden absägen, sondern mit Simone Scettri und Leopoldo Attolico auch zwei weitere Kandidaten in das Kontrollorgan bringen. Mit Katharina Behrends hat MFE bereits eine Vertreterin im Aufsichtsrat und auch Thomas Ingelfinger wird den Italienern zugerechnet. 

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Vorstand und Aufsichtsrat haben sich aus mehreren Gründen dagegen positioniert. Allen voran kritisieren sie, dass der Einfluss von MFE auf den Aufsichtsrat bei einer Annahme der Vorschläge überproportional groß wäre. Scettri hat früher in Italien außerdem lange für EY gearbeitet - also die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, gegen die ProSiebenSat.1 im Rahmen des Jochen Schweizer Mydays Debakel wahrscheinlich juristisch vorgehen wird - hier sei ein Interessenskonflikt zu erwarten. 

Und es ist längst nicht nur MFE, das die ProSiebenSat.1-Hauptversammlung mit eigenen Anträgen torpediert. Mit PPF hat auch der zweite Großaktionär eigene Vorstellungen - diese beschränken sich aktuell aber vor allem darauf, dass man mit Christoph Mainusch auf einen anderen Kandidaten für den Aufsichtsrat setzt als Habets und Wiele. Auch diesen Vorschlag hat ProSiebenSat.1 abgelehnt. Bei Mainusch geht es dem Aufsichtsrat aber erkennbar nicht um eine mögliche Kritik an seiner Expertise, sondern vor allem um die Tatsache, dass PPF durch Klára Brachtlová bereits viel Einfluss in dem Gremium hat. Diese Haltung wiederum kritisiert PPF, denn Mainusch wurde von den Tschechen als unabhängiger Kandidat vorgeschlagen, er ist (mittlerweile) weder mit PPF oder einem Tochterunternehmen verbunden. 

Unterstützer auf beiden Seiten 

Doch zurück zu MFE, das nämlich auch eine Satzungsänderung anstrebt, durch die der Vorstand in seinem Handlungsspielraum wohl deutlich eingeschränkter wäre - und bei Akquisitionen ab einer bestimmten Grenze schon früher als heute das Okay des Aufsichtsrats bräuchte. Darüber hinaus will man festlegen, dass mögliche Zukäufe durch ProSiebenSat.1 nur noch dann erfolgen können, wenn sich die Hauptversammlung damit beschäftigt hat. Das würde ProSiebenSat.1 bei möglichen Zukäufen ausbremsen. Am liebsten würde MFE Zukäufe aktuell wohl komplett verhindern. Aus der Sicht der Italiener ist man ja gerade wegen des Gemischtwarenladens in der Situation, aus der man sich aktuell zu befreien versucht. 

Beide Seiten verweisen übrigens auf ihre Unterstützer: So hat Amber Capital, ebenfalls bei ProSiebenSat.1 investiert, angekündigt, die MFE-Vorschläge zu unterstützen. "Wir glauben, dass auch andere institutionelle Aktionäre den Vorschlag unterstützen werden", erklärte Joseph Oughourlian, Chairman und Gründer von Amber Capital gegenüber Reuters. ProSiebenSat.1 erhielt dagegen Unterstützung von den Stimmrechtsberatern von ISS und Glass Lewis, diese haben den Aktionärinnen und Aktionären empfohlen, gegen die Vorschläge von MFE zu stimmen. Die Deutsche Schutzvereinigung (DSW) spricht gar von einer "Bad Bank", die MFE durch die Ausgliederung der Beteiligung schaffen wolle - damit würde vor allem der Wert dieser Beteiligungen vernichtet. 

Und so liegen nun kurz vor der Hauptversammlung alle Karten auf dem Tisch. Wer den Machtkampf am Ende für sich entscheiden wird, ist trotzdem nicht absehbar. Letztlich wird es wohl auch auf die vielen Kleinanleger und ihr Abstimmungsverhalten ankommen. Auch deshalb warb man in den zurückliegenden Wochen um diese Gruppe. Oder wie es auf der eigens von ProSiebenSat.1 für die Hauptversammlung eingerichteten Webseite heißt: "Jede Stimme zählt!"